Jetzt, wo auch der Gerichtsmedizinerthriller so allmählich den Weg allen Hypes geht, wäre es an der Zeit für einen Werbeslogan. „Dominique Manotti! Die Frau, die das Skalpell durch die noch warme Leiche der französischen Gesellschaft zieht! Achtung, es kann zu Übelkeit erregender Gasentwicklung kommen!“ Das lassen wir dann in Leuchtschrift über alle Prachtstraßen und –plätze dieser Welt glitzern, von der Pariser Innenstadt, die weit entfernt von den Banlieues vor sich hin träumt bis zur New Yorker Wallstreet, wo gerade die Verarschten des amerikanischen Traumes aufzuwachen beginnen.
Nach der kriminellen Arbeitswelt („Letzte Schicht“) und der korrupten Politik („Roter Glamour“) liegen nun die Polizeiorgane auf dem Schneidetisch. Wiewohl: Zu trennen ist das alles nicht, die hohen Herren mit ihren marionetten Gesten dirigieren im Hintergrund, der Bodensatz krümmt sich weiterhin, alles gehört zusammen. Ein Polizeirevier in einer Pariser Banlieue, halb Ghetto, halb Slum, der tägliche Kampf gegen die Verbrechen, aber bloß nicht gegen die in den eigenen Reihen. Polizisten als Zuhälter, Polizisten als Totschläger, Polizisten als Wegschauer, Polizisten als Brandstifter, Helfershelfer, Mörder. Und die Chefin vom Ganzen, effizient / ehrgeizig / eloquent, eifrig um das Erreichen der gesetzten Planziele bemüht: den Augiasstall der Emigranten, der Eingebürgerten, der Sans Papiers ausmisten. Ein Schelm, der dabei an jenen kleinen Mann in den hohen Schuhen denkt, der das Schwängern kesser Schlagersängerinnen zum Wahlkampfargument erhoben hat.
Am Rande agierend, aber mittendrin: Noria Ghozali, die wir in „Roter Glamour“ kennen lernten, wo sie eine Berufsanfängerin war. Nun, zwanzig Jahre später, ist sie selbst ziemlich weit oben und begibt sich in die Niederungen des Alltags, um den kriminellen Kollegen samt Anführerin das Handwerk zu legen. Was, wir verraten nicht zuviel, nur sehr unbefriedigend gelingt. Aber da ist sie wieder: die nüchterne Tätigkeit des Sezierens, eine völlig illusionslose Beschäftigung.
Dabei brennt die Autorin, man kennt es von ihr nicht anders. Sie brennt in scharfen Sätzen, harten Szenen, sie beobachtet, ordnet, das Werten überlässt sie den nachfolgenden Instanzen, den Leserinnen und Lesern also. Manotti ist das, was man „engagiert“ nennt, eine gute alte französische Tradition (wir hätten doch nicht nur das Baguette von den Franzosen übernommen sollen) seit Zolas Zeiten. Schwarz / weiß wird das trotzdem nicht. Alles spielt ineinander: die Machtgeilheit trifft den Rassismus, permanente Untervögelung und permanente Überforderung ergeben in einer biochemischen Verbindung sozialen Sprengstoff.
Ja doch, Manotti seziert eine Leiche, aber die Leiche glaubt sich noch quietschfidel, wie das geköpfte Huhn, das über den Hühnerhof rennt. Die Leiche spricht sogar – und nicht nur Französisch, auch Deutsch und Englisch und Spanisch und Griechisch. Manottis Personal ist von jener exakten Schemenhaftigkeit, die das immer wieder für „gelungene Kriminalromane“ vorgebrachte Argument der psychologischen Fassbarkeit ad absurdum führt. Noria Ghozali zwischen dem Angekommensein und dem Umherirren, ein junger Polizist zwischen Pflichteifer und Gewissensbissen, ein anderer zwischen dem Tätersein und dem Opfersein. Bei Manotti wird eben nichts zurechtgebogen, was von Natur aus krumm ist. Sie schneidet sich durch den aufbäumenden Körper einer Gesellschaft, die von ihrem Ableben noch nichts weiß. Es stinkt, aber wir können uns nicht die Nasen zuhalten.
dpr
Dominique Manotti: Einschlägig bekannt.
Argument / Ariadne 2011
(Bien connue des services de police. 2010. Deutsch von Andrea Stephani).
250 Seiten. 12,90 €