Es herrscht Krieg. Kein heißer, kein kalter, eher ein lauwarmer, wie es dem Gegenstand angemessen ist. Es geht um etwas höchst Belangloses, um Kriminalliteratur, die nur für wenige mehr ist als das feierabendliche Quantum Entspannung und Ablenkung, Abzittern und Ablachen. In gewisser Weise also das, was man einen akademischen Krieg nennen könnte, wäre nicht „Krieg“, wenn ich es mir so recht überlege, die unpassende Bezeichnung. Nennen wir es also Scharmützel. Ein ulkiges Wort für eine im Grunde ulkige Geschichte.
Wer steht sich gegenüber? Hier „Print“, dort „Web“. Hier „Feuilletonisten“, dort „Blogger“. Klare Fronten. Klare Fronten? Bereits hier seien Zweifel gestattet. Denn, technische Details beiseite gelassen, wird fast ausschließlich im „Netz“ scharmützelt. Aus gutem Grund. Denn es ist eine schlichte Tatsache: Gibt es so etwas wie einen Diskurs in Sachen Krimi, findet er im Internet statt. Und was ich dort nicht verlinken kann, existiert nur am Rande, wenn überhaupt. Printmedien? Gibt es. Sind sie aber nichts sonst als in mehr oder weniger hoher Auflage unter das Papiervolk gestreute Beiträge, erleiden sie das Schicksal des Gelesen- und zum Altpapiergegebenwerdens. Im zeitlosen, wirren Topf des Digitalen, diesem so unüberschaubaren wie reichen Informationscluster, kommen sie nicht an.
Aber natürlich sind die meisten Print- auch schon längst Digitalprodukte. Unsere Ausgangssituation muss also gleich modifiziert werden. Es geht nicht um Kämpfe zwischen traditionellen und neuen Medien, es geht um die Positionierung in letzterem. Wiewohl auch das noch einmal auf den Prüfstand gehört, aber der Reihe nach.
Die ins Internet verpflanzten Printprodukte unterscheiden sich in wesentlichen Punkten von den original Digitalen. Ihre Verfasser werden – in der Regel – für die geleistete Arbeit entlohnt, sie stoßen an quantitative Grenzen (Artikellänge!) und bisweilen auch an qualitative. Wer jemals für Zeitungen gearbeitet hat, kennt die Angst der Redakteure vor dem Fassungsvermögen des imaginären Durchschnittslesers, dem man am besten nicht zuviel zumutet, nicht zu lang, nicht zu komplex, nicht zu viele Fremdwörter, thematisch dort verwurzelt, wo die größte Schnittmenge vermutet wird, also sehr gerne mit Mankell-Erwähnung, für ganz Kühne auch Verweise auf Ross Thomas oder Friedrich Glauser, aber bitte nicht Jim Nisbet, kennt eh niemand.
Dass es Ausnahmen gibt: geschenkt. Und dass die genannten Punkte beileibe nicht nur ex negativo wirken, sei zugegeben. Menschen für ihre Arbeit zu bezahlen, ist eine faire Sache. Die Leserschaft nicht vorsätzlich zu überfordern auch. Die Kolleginnen und Kollegen in den Redaktionen haben es schwer genug, der Gegenstand ihres Interesses wird häufig genug nur halbherzig durch die Feuilletons gejagt (die inzwischen oft auch gar nicht mehr „Feuilleton“ heißen, sondern als „Kulturelles Leben“ daherkommen), man will nicht abseits stehen, auch Krimis sind eine Art Kultur, wenngleich viel zu häufig Übungsgelände für Hospitanten, Praktikanten, Volontäre. Auch das trifft nicht immer zu, genauso wenig wie der hier nur pars pro toto erwähnte Jim Nisbet durchaus auch von Printkritikern geschätzt und behandelt wird. Im Kern ist es aber schon so. Fundierte Krimikritik in Zeitungen? Eher selten.
Und im Netz? Sitzen etwa dort die wahren Experten? Um ehrlich zu sein: auch nicht. Wer die Szene (die keine ist) seit Jahr und Tag verfolgt, stellt fest, dass mit dem Web 2.0, seinen Blogs und sozialen Netzwerken, vor allem eines Einzug gehalten hat: die freiflottierende, von Handwerk und Verständnis für (Kriminal-)Literatur unbeleckte Meinungsäußerung. Ich kenne etliche AutorInnen (und gehöre auch dazu), die sich vor der „Rezension“ ihrer Werke in bestimmten Blogs fürchten wie der Teufel vor dem Weihwasser, die selbst auf positive Besprechungen inzwischen allergisch reagieren, weil auch dort, wo gelobt wird, ein solch kritisches Stümpertum offenbar wird, dass es einem die Schuhe auszieht. Klingt jetzt arrogant, sicher, doch wer nur ein wenig von der Arbeit des Kritisierens versteht, wird mir zustimmen.
Auch hier: Gilt nicht für alle. Was zudem auffällt: Die meisten der Netzschreiber tun ihre Arbeit so, als würden sie am liebsten sofort für das Feuilleton ihrer Tageszeitung tätig werden. Sie folgen den alten Regeln des Print, haben zwar ihre „Kommentarfunktion“ aktiviert, doch regt sich dort so etwas wie „Kritik“ (gemeint ist die negative; für die meisten dieser Leute ist Kritik schon im Wortsinn negativ, was ihre Auffassung von dem, was sie tun, schon hinlänglich entlarvt), reagieren sie wie wildgewordene Schwäne im harmonischen Teich und pochen darauf, alles sei „Geschmacksache“ und wer das nicht so sehe eben ein ziemlich übellauniger Charakter. Wieder: Ausnahmen bestätigen die Regel.
So verwischen sich die Fronten. Die einen, die das im Netz aktive Sichbeschäftigen mit dem Genre aus einer Position des „Wir sind die Profis“ attackieren, sind längst selbst ein Teil des Digitalen. Die anderen, die „Blogger“, sind entweder verhinderte Printler oder generell Übelnehmer. Dabei wissen doch alle, um was es geht, um die bereits erwähnten Verteilungskämpfe nämlich.
Von denen gibt es derzeit so manche. Das gedruckte Buch wehrt sich gegen das digital verfügbare, der in einem „richtigen“ Verlag verlegte Autor gegen die falschen Kollegen des Book on Demand. Es geht um Urheberrechte, um Einschränkungen und Sanktionen auf der einen, um Ausweitungen, neue Formen der Honorierung auf der anderen Seite. Wobei das manchmal schon komische Züge annimmt, wenn etwa AutorInnen harmlosester Regionalkrimis fürchten, alle Welt werde sie jetzt „bestehlen“ und ihnen Honorare vorenthalten.
Es geht also, kurz, um Geld und Macht. Um Meinungs- und Deutungshoheit, um Pfründe und Renommee. Der Schlüssel zu allem liegt im Internet, soviel steht fest. Für den Normalleser, die Normalleserin ist das alles längst nicht mehr zu durchschauen, sie ahnen nichts von den Intrigen hinter den Kulissen, von den unsichtbaren Netzen, die da zum Behufe des Geldverdienens und der Machtergreifung gesponnen werden. Wenn es sie denn überhaupt interessiert. Und wenn: Dann suchen sie, vielleicht, nach den Schlachtfeldern, auf denen diese Scharmützel ausgetragen werden. Nur: Es gibt sie nicht. Der Ort für diese Kämpfe sind die vielen Büsche im digitalen Dschungel, hinter denen man mit geladenen Gewehren sitzt und gelegentlich einen Schuss auf den Feind abfeuert. Auf den Feind? Auf ein Phantom. Auf etwas, das einem im Wege ist. Mit offenem Visier wird nicht gekämpft. Wer das täte, müsste auch sehr schnell offenbaren, WOFÜR er eigentlich kämpft. Für die Kriminalliteratur? Schön wärs.