Translate this!

„Jackie Brown, sechsundzwanzig, sagte ohne Ausdruck im Gesicht, dass er ein paar Schnellfeuergewehre besorgen könne.“ (aus: George V. Higgins: „Hübscher Abend bis jetzt“. Hoffmann & Campe 1973, übersetzt von Ben Witter)

„Jackie Brown, sechsundzwanzig und ohne eine Regung im Gesicht, sagte, dass er ein paar Kanonen besorgen könne.“ (aus: George V. Higgins: „Die Freunde von Eddie Coyle“. Goldmann 1989, übersetzt von Jürgen Langowski)

Nicht irritieren lassen: Es handelt sich trotz unterschiedlicher Titel um die Übersetzungen EINES Textes, „The Friends of Eddie Coyle“ von George V. Higgins. Ja klar, sieht man doch, denn bis auf ein paar kleine Abweichungen haben Witter und Langowski doch „dasselbe“ übersetzt: „Jackie Brown at twenty-six, with no expression on his face, said that he could get some guns“ (aus: „The Friends of Eddie Coyle, Picador 2012. 40th Anniversary Edition, mit einem Vorwort von Dennis Lehane). Haben sie das wirklich? Schauen wir uns die Sache näher an. Jackie Brown ist 26 Jahre alt, sein Gesicht ist, laut Higgins und Langowski, ausdruckslos, ohne eine Regung. Bei Witter ist das Gesicht ebenfalls „ohne Ausdruck“ – aber nur in diesem speziellen Moment, da er etwas sagt. Er kann „guns“ besorgen, Schusswaffen, „Knarren“. Bei Witter sind es „Schnellfeuergewehre“. Erwähnen wir auch, dass Higgins das letzte Kapitel von „Eddie Coyle“ mit den Worten des ersten beginnt, nur dass Jackie Brown inzwischen 27 ist und vor Gericht steht. Langowski folgt dem im entscheidenden Punkt: „Jackie Brown, siebenundzwanzig Jahre alt und ohne eine Regung im Gesicht, saß in der ersten Reihe…“ Witter hingegen weicht von seiner Übersetzung des Eröffnungssatzes ab: „Jackie Brown, siebenundzwanzig, saß mit ausdruckslosem Gesicht in der ersten Reihe…“ Wieder wird diese Ausdruckslosigkeit auf die Situation bezogen und nicht wie im Original als Charakteristikum Browns hervorgehoben. Zudem variiert bei Witter die Wortwahl: „ohne eine Regung im Gesicht“ – „mit regungslosem Gesicht“.

Die Frage, wer hier „besser“ übersetzt, lässt sich allerdings jenseits des Vokabulars beantworten, wenn man sich das Original und seine beiden Eindeutschungen laut vorliest. Der Duktus, die Sprachmelodie wird bei Langowski besser getroffen, während man bei Witter nicht nur über die „Schnellfeuergewehre“ stolpert. „Perfekt“ sind natürlich beide Übersetzungen nicht. Bei Langowski stört das „und“, ein schlichtes Komma wie bei Higgins käme dessen Absicht einer lapidar addierenden Charakterisierung der Figur näher. Dennoch: Langowski trifft den Ton besser. Übrigens nicht nur in diesem kleinen Beispiel.

5 Gedanken zu „Translate this!“

  1. Ohne Kontext: „Jackie Brown, sechsundzwanzig, ausdrucksfreie Miene, sagte, er kommt an ein paar Knarren ran.“
    Falls da bei den guns ein kontextuelles „for them“ impliziert ist, wäre natürlich „kann besorgen/kriegen“ sinnvoller. Kann auch sein, dass er das „behauptete“ oder jemandem „erklärte“. Bei „erklärte“ könnte evtl besser „dass er…“ folgen. Bei „behauptete“ würde ich „komme“ nehmen, Konjunktiv.
    Generell ziehe ich aber den umgangssprachlichen Indikativ + (scheinbar falsches) Präsens dem schriftsprachlich gediegenen Konjunktiv vor.
    Nur mal so, freihändig, per Ferndiagnose.
    Statt Hawaii-Toast – aloha!
    P.

  2. Diese Stelle bietet Entscheidunsgmöglichkeiten, die noch nicht einmal aus Higgins‘ speziellem Stil erwachsen. In die Hölle kommt der Übersetzer, wenn „the man with the golden ear“, wie er mal betitelt wurde, die vulgarisierte Alltagssprache in seinen bratfettspritzigen Dialogen vor uns ausbreitet. Und dabei noch die Sprachnuancen der einzelnen Charaktere beachtet. Das ist dann zugleich realistisch wie ein Abhörtonband und eine hochartifizielle Redeschlacht, als würde DJ Higgins in nahtlosem Wechsel die besten Raps aller Zeiten auflegen.

    Beliebig mit dem Finger in die Seiten, Kapitel 14 von „The Rat on Fire“:

    „So, I sit there and I am drinking the Bally ale and I am naturally smelling like horse-piss as a result, and after a while I been there what seems like about a week and I am getting hungry again. So I get myself one of Danny’s belly-busters there, that a self-respecting dog would not eat, and I ate it, all them pieces of somebody’s old snow tires and that fuckin‘ grease and those goddamned canned green peppers that taste like old green socks, in the fuckin‘ roll that if you used it to beat a guy over the head with it, you would fuckin‘ kill him, and then naturally I got to drink some more of that ale to settle my stomach and everything, and I stayed there until me and Danny was the last two guys in the joint and he wants to close up so he throws me out.“

    Tja. Eat this, Jonathan Franzen.

  3. Ich bin ja nun – dem höheren Wesen, das wir verehren sei Dank – kein Übersetzer. Wenn ich Higgins auf Deutsch lese und er überzeugt mich, dann weil Higgins und sein Übersetzer mich überzeugen, und wenn ich Higgins im Original lese, muss der mich noch einmal neu überzeugen. Übrigens lese ich Higgins gerade im Original, aber ein „Sachbuch“ von ihm, „On writing“. Und meine Versprechen halte ich auch. Der Meister hat ab sofort seine Seite auf der Krimicouch und auch schon eine lütte Besprechung von – nein, nicht The Rat on Fire, aber von „Heißer Abriss“, was übersetzt bekanntlich The Rat on Fire heißt.

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