Das ZDF verfilmt „Ich war Dora Suarez“

10_raymond_dora_suarez.jpg„Totale! Halbtotale, ja! Und jetzt voll auf die Fresse!“ Helge P. Mauritz vibriert. Helge P. Mauritz zittert und schwitzt, schwitzt und zittert, auf seiner inneren Ejakulationsuhr ist es fünf vor Zwölf, Tendenz steigend. Endlich!

Kamerachecks, Kamerafahrten, wie lange hat er darauf gewartet, wie lange dafür gekämpft! Helge P. Mauritz schaut auf den Monitor, hm. Das Gesicht Edwin Drumms ist nicht zerfurcht genug, noch nichts erlebt, der Knabe, keine existentielle Krise, keine raffgierige Exfrau, nur die ewigen Promiempfänge, das Stolzieren auf roten Teppichen, das Posen vor Objektiven, schneller Sex zwischen aufgespritzten Lippen und natürlich Alk, Alk, Alk. Und Koks. Das Backpulver für Teigwaren, die Gesichter sein wollen. Helge P. Mauritz hasst Schauspieler. Er braucht sie aber.

Für Dora! Dora Suarez! Jenen großen Kriminalroman von Derek Raymond, Perle des Noir, Leuchtturm im pechschwarzen Mare Crisium Welt, die schreiende Depression im Stillen Ozean der Selbstzerfleischung.

„Wie heißt die?“ Möhnke, der zuständige Redakteur. Beamtenarsch von prekärer Intelligenz, Gehaltsempfänger, so schwul, dass er wieder auf Frauen steht. Do-ra-Su-a-rez. „Aha, Spanierin, gut. Und der Held?“ Hat keinen Namen. Ein Sergeant der Factory London, dort, wo die hoffnungslosesten der hoffnungslosen Fälle bearbeitet werden, die schlimmsten Schweinereien. Problembezirk, ja, ja, viele Emigranten. „Also Berlin Wedding, geht klar. Und die Disco heißt Factory? Geil“, winkt Möhnke durch, bleibt aber skeptisch. Das mit dem Namenlos gefällt ihm nicht, das ist Neues Deutsches Kino der Sechziger, das ist Alexander Kluge, keine Chance im ZDF. Also heißt er Jonas Prätorius, Jonas wie der Wal, der Wal ist der Leviathan, der Leviathan das Weltböse, Hobbes, … „genau, Hobbes, niemals die Hoffnung aufgeben“, sagte Möhnke jovial und denkt: Merkt keine Sau, können wir so lassen.“

NEIN! Nicht Christine Neubauer als Dora Suarez! Nicht Iris Berben! Nicht – wie heißt die andere? „Senta Berger“, murmelt Möhnke und weiter: „Aber okay, die ist zu alt. Wie wäre es mit Susanne Dröge?“ Helge P. Mauritz hasst Schauspielerinnen, hasst sprechende Namen, aber gebongt, der trifft hier ins Schwarze, der ist also noir. Die Dröge erinnert ihn immer an das Bild „Glutäugige Zigeunerin“, hing über dem Ehebett seiner Großeltern. Das lange Schwarzhaar ethnischer Minderheiten, sinnliche Lippen, Augen wie Autoscheinwerfer im Nebel, Titten wie… okay, besser als Christine Neubauer, die hat sowieso abgenommen und sieht aus wie Hannelore Elsner. „Nehmen wir“, winkt Mauritz seufzend ab, er ist ein Mann wie geschaffen für Opferaltäre.

„Und die verlieben sich jetzt ineinander oder wie muss ich mir das vorstellen?“ Dora Suarez wird ermordet, schrecklich verstümmelt, und der namenlose Sergeant aka Jonas Prätorius wird sich so in den Fall hineinsteigern, dass er quasi selbst zu Dora Suarez wird, der Leidenden, der wahrhaft Ausgeschlachteten, dem Menschenwerk, dem Nutzmädchen, das ist psychologisch, also Patricia Highsmith im Blutrausch, das ist antikapitalistisch, also Henning Mankell im Bett mit Heiner Geißler.
„Sauber“, kommentiert der Redakteur, „aber apropos: Ins Bett hüpfen die beiden schon, oder? Susanne hat einen geilen Arsch, den hält sie in jede Kamera, wenn’s nur irgendwie künstlerisch ist.“ Dann fällt ihm doch noch etwas ein, er faltet die Stirn wie ein vollgerotztes Taschentuch. „Der Name. Dora Suarez. Spanisch. In Berlin-Wedding. Hallo? Wie wär’s mit Aishe Özcan?“

Ich war Aishe Özcan. Mauritz wird übel, Derek Raymond würde übel, Derek Raymond ist tot und das ZDF lebt und beides ist beklagenswert, aber die ARD kannst du vergessen, nischt wie Tatort und Regioschmarren im Vorabendprogramm.

„Ich war Aishe Özcan – die Erste! Ruhe am Set!“ Die Fistelstimme der Regieassistentin, Maike, nur im Suff zu ertragen, eine Protégeuse des Redakteurs, knabenhaft androgyn. Totale: eine Mietskaserne im Wedding, davor eine Fahne im lauen Lüftchen, „Hartz-IV-Domizil“ steht drauf, die Sonne scheint kontrastiv, auch so eine Idee Möhnkes, wegen der Sozialkritik. Halbtotale: Fassade des Hauses Nr. 13, dort wohnt Aishe Özcan. Close Up: die Hackfresse Edwin Drumms, geschminkt wie das Leiden Christi nach einer Ecstasyorgie mit versauten jungfräulichen Schulmädchen.

„Setz deinen Arsch in Bewegung!“, schreibt Mauritz – und der Arsch bewegt sich auf die Tür zu, wieder Halbtotale, dann auf den Arsch Drumms gezoomt, Scheiße, denkt Mauritz, der Spast hat das Lacoste-Krokodil auf der rechten Jeansarschbacke, das gibt nur wieder Ärger, „Schnitt!“

„Aids?“ Ungläubiges Staunen beim Redakteur. „Haben Sie gerade AIDS gesagt?“ Sich allmählich überschlagende Stimme. „Ja“: Mauritz kleinlaut, was kann denn er dafür. Ist doch Derek Raymond dran schuld. „Puh“, macht Möhnke und schaut hoch zur Decke seines lichtdurchfluteten Büros. „Warum nicht Burnout, Alzheimer oder – Ehrenmord? Hey, Ehrenmord! Aishe ist TÜRKIN!“ „Oder doch Kurdin?“ Mauritz sagt es zögerlich, der Redakteur überlegt. „Solange sie keine Alewitin ist, okay. Politische Komponente, nicht schlecht. Falsche Spur, red herring, you know?“

Mauritz weiß. Am Ende wird Aishe Özcan ein Opfer der Finanzhaie, Aishe Özcan, die als Türkin sogar Abitur gemacht und beinahe studiert hat, dann aber doch nur Tippse in einer Investmentbank, zwei ältere Brüder, die sie Hure nennen, weil Aishe mit ihrem Chef poppt, Mauritz freut sich schon auf den Arsch der Dröge, die Titten riesige Silhouetten an der Schlafzimmerwand.

„Aishe Özcan – die Zweite! Ruhe am Set!“ Er wird sie eines Tages umbringen, Maike mitsamt ihrer Fistelstimme. Drumm alias Jonas Prätorius alias der namenlose Sergeant betritt den Flur des Hauses, in dem Aishe wohnt, das heißt: gewohnt hat, denn jetzt ist Aishe tot. Die Nachbarin, alt, deutsch, alkoholabhängig, neugierig, sie blickt dem Sergeant hinterher, wie er die Treppe hinaufschlurft, ein Bündel Noir, ein Haufen Depression. „Okay!“ ruft Helge P. Mauritz, „gut gemacht, Christine!“ Christine Neubauer nickt, das war’s, Nebenrolle, aber wenigstens Literaturverfilmung, wenn auch nur Krimi.

„Aishe Özcan – die Siebenundzwanzigste! Ruhe am Set!“ Im Bett nicht einmal so schlecht, diese Maike. Aber Achtung, „Close Up!“ Aishe Özcan liegt, mit einem Schal erdrosselt, auf dem Teppichboden, jede einzelne Pore muss man sehen, dann Überblendung, Rückblende, Aishe Özcan im Bett mit Jonas Prätorius, vier Arschbacken in der Halbtotalen.

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