Ja, ich widerspreche! Ich kann, verehrter Herr Rohm, Ihren Ekel vor dem kriminalliterarischen Katholizismus, dieser allerorten grassierenden Selbstbeweihräucherung, sehr gut nachvollziehen. Diese Monstranzengeilheit, dieses Konklavenklüngeln, das Dealen mit Volksopiaten schon auf Schulhöfen, die klammheimlichen Schweinereien in der halbdunklen Sakristei, wenn Messdiener zu Messlatten degradiert werden. Und, oh doch!, die Päpste! Die Päpste und ihre Li-la-letzter-Versuch-Soldateska! An der Spitze der doch so fruchtbaren Literatur thront die furchtbare Impotenz, aber sehen Sie, Meister, das ist eben Sprache, das ist Etymologie, das ist Arno Schmidt: fruchtbar, furchtbar, ein Aufwasch.
Aber Sie, verehrter Meister, schütten das Kind mit dem Bade oder, wie der Lateiner sagt, die Tränen des Herrn mit dem Messwein aus! Denn Literatur ist und bleibt Gottesdienst, hierarchischer Pomp, einer Liturgie unterworfen und dem Glauben verpflichtet, nicht dem Wissen. Der Kritiker, mag er nun Papst heißen oder Seelenhirte oder Schmierfink, er zelebriert und preist DAS WORT DES DICHTERS. „Gehet hinaus in alle Welt und verbreitet die frohe Botschaft, Friedrich Ani hat einen neuen Krimi geschrieben!“ – so spricht der Herr, so spricht der Verlag, so spricht dito der Kritiker. Und welches ist der Ort für die Lobpreisung des Herrn? Natürlich die Kirche, sprich das Feuilleton!
Oh! Ah! Welche Pracht, welche Herrlichkeit! Soeben noch hat der Kritikerpriester von der Kanzel gedonnert, contra malum!, wider das Böse! Gegen die Schmeißfliegen der Blogs, die anal-phabetischen Dilettanti, gegen all das intellektuelle Krimizeugs, die Häretiker, die Betreiber der Schismen! Gegen all die Leugner der reinen Lehre, welche besagt: Heutzutage werden nur in Südafrika, bisweilen auch in Südamerika und Hinterasien, gute Krimis geschrieben! Ja, donnert es weiter auf die Häupter der Schäflein, ja!, diese realitätsuntüchtigen Hanseln, welche unseren Bruder Arne Dahl von den Füßen auf den Kopf stellten und so ans Kreuz nagelten, diesen Märtyrer, dessen Reliquien wir verehren!
Und dann geschieht es, das Wunderbare! Eine Viererformation entzückendster Ministranten zieht ein, weihrauchschwenkend, Klappentexte litaneiend. „Dahahaas ist mehmehmehr ahahahahas ein Kri-hihi-mimi.“ So also litaneit und schwenkt die Knabenschar (ein Quotenmädel ist auch dabei, das Blondhaar jungskurz). Und nun nahet der Hohepriester, der Starkritiker, der potentielle Papst in Lauerstellung, seinen Schäflein, er hält etwas hoch — die Hostie, den Leib Christie, den wahren Krimi! Und sehet nur, wie ihm die Schäflein zuströmen! Auf den Knien kommen sie angerutscht, „Hosianna Fellatio“! ausrufend. Von der Empore stalinorgeln die Pfeifen der Verlagswerbung, „Dieser Krimi wird Ihr Leben verändern! Sie werden ihn nicht aus der Hand legen können!“, so bächelt es zu Tale.
„Sehet her“, spricht der Diener des Herrn, „dies ist der Leib des Allmächtigen, dies ist der neue Roman von Heinrich Steinfest, Friedrich Ani oder Oliver Bottini, dies ist der neue Listenkönig, wie er auf dem Esel nach Jerusalem einreiten wird, um die Tische der Geldwechsler vor dem Tempel – nein, nicht umzuwerfen, sondern mit neuer barer Münze zum Brechen zu bringen, auf dass die Pharisäer ebenfalls brechen, bis ihre Kotze…“
Weiter kommt er nicht, der Priester, der Kritiker. Schon haben die ersten auf ihren Knien rutschenden Leser ihn erreicht, strecken ihm ihre Zungen entgegen, lallen ein demütiges „Schieb mir den guten Stoff rein!“ – und der Priester tut wie geheißen, er legt das Buch auf die belegte Zunge, die wird eingefahren, um den Leib des Allmächtigen, des Allgegenwärtigen zu zermampfen, zu schlucken, auf dass er sich verdaue und zu jener Scheiße werde, aus der er wurde.
Durch die bunten Fenster dringt erstes Sonnenlicht. Ein Gotteszeichen! Ein Wink mit dem Zaunpfahl! Das Licht bricht sich an den Deckenfresken, ah!, der Finger Gottes, wie er den Finger des Kritikers berührt! Ein Kinderchor hat zu jubilieren begonnen, „Hardcover mit Lesebändchen, Hardcover mit Lesebändchen!“ Die Stimmung ist orgiastisch, ein euphorisches Hirnficken hebt an, ein Zucken und Jucken, ein Röcheln wie eine Melodei direkt aus dem Paradies!
DAS, Herr Rohm, ist Literatur! So soll sie sein! Wir brauchen keine Päpste, oh nein!, uns genügen die Kurienkardinäle der reinen kritischen Vernunft, die pausbäckigen Landpfaffen der Regionalpresse! Aber der Gottesdienst, Herr Rohm! Der Gottesdienst! Den werden Sie uns nicht nehmen, denn merke: Wer hier feiert, das sind WIR! Die LiteraturNEHMER! Nicht die LiteraturGEBER! Die, das ist bekannt, schmoren in der Hölle.
Domkapitular Philipp Raabe (dpr)
* Amen
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