Der Atem des Autors

Metakrimis machen Spaß. Wenigstens denjenigen, die sie schreiben. Und das werden immer mehr. Allein in letzter Zeit: Christine Lehmann, Gunter Gerlach, Guido Rohm und Ramiro Pinilla. Und was ist ein Metakrimi? Ein Metakrimi ist ein Krimi, der seine Entstehung thematisiert. Er ist Literatur über das Werden von Literatur, über das Einswerden von Protagonist und Erzähler bestenfalls, die Gleichzeitigkeit von Theorie und Praxis auch (die griechische Vorsilbe „meta“ bedeutet u.a. „über etwas anderem“, also quasi eine distanzierte, objektivierte Sicht). Als Autor die sichere Lizenz zum Auf-die-Kacke-Hauen, ein ideales Vehikel für jenen Spieltrieb, ohne den ein Autor Buchhalter geworden wäre. Und die Leser?

Sollten aufpassen, was sie da lesen. Denn so wenig wie Krimi Krimi ist, so wenig meta meta. Wie jede literarische Technik ist auch die des Metatextes in ihren gelungensten Formen nicht selbstreferentiell. Dahinter steckt eine dramaturgische Absicht, wie ein kurzer Blick auf die vier genannten AutorInnen und ihre Werke zeigt.

In Gunter Gerlachs „Frauen von Brücken werfen“ begegnen wir Herrn Händel, einem Krimiautor, der auch gleich in seinem eigenen Krimi mitspielt und zwar als Krimiautor, der eine Geschichte aufschreibt, die er gerade selbst erlebt. Gleich zu Beginn erfahren wir, warum er das tut: Sein Verleger hat ihn aufgefordert, jetzt doch etwas Gutverkäufliches zu verfassen, also schön mit viel Mord und so. Die Frage, die sich durch den ganzen Roman zieht, lautet also: Erfindet der jetzt das, was ihm widerfährt – oder widerfährt ihm das, was er da gerade erfindet? Wenn man so schön erfinden kann wie Gerlach, kann das eine spannende Frage sein.

Das Metahafte wird in Christine Lehmanns „Totensteige“ nur angedeutet. Die Protagonistin Lisa Nerz erzählt ihre Abenteuer im Nachhinein, indem sie sie aufschreibt. Warum? Das hat durchaus seinen guten Grund, aber den erfahren die Leser noch nicht. Bereits in „Malefizkrott“ war uns Lisa Nerz als Eventuellautorin begegnet, als sie sich am Buchmessestand des Ariadne-Verlages zeigte und von der Verlegerin gleich als kommende Autorin geködert wurde. Jetzt setzt sie das um. Aber eben nicht nur so. Es erweitert die eigentliche Handlungsebene, in der die Macht des geschriebenen Wortes eine besondere Rolle spielt.

Guido Rohm schießt in „Blutschneise“ wieder mal den Metavogel ab. Er tritt höchstselbst im Text als Guido Rohm auf, der einen Roman namens „Blutschneise“ schreibt. Und konsequent tritt er, professionell gemeuchelt, auch wieder ab. „Blutschneise“ ist ein Roman über das Morden als beiläufige Alltagshandlung, zum Ende hin aber auch ein Roman über die Opfer. Der Autor selbst wird nun zum Opfer seines Romans, der Roman wird zum Rohman.

Ramiro Pinillas „Nur ein Toter mehr“ erinnert von seiner Metastruktur her an Gerlach, wenngleich der Hintergrund ein sehr viel ernsterer ist. Die erlebte Wirklichkeit wird umgehend zur Fiktion, deren Ziel es wiederum ist, historische Genauigkeit herzustellen. Der Roman spielt 1945 im von Francos Schergen unterjochten Baskenland, ein Buchhändler eifert seinen Hardboiled-Helden nach und wird gleichzeitig zum Autor und Detektiv. Es geht hier vor allem um die Kraft der Fiktion, Ereignisse mit größerer Wahrhaftigkeit abzubilden als es eine offiziöse Geschichtsschreibung jemals vermag (ausführliche Rezension folgt).

Man sieht also, dass „Metakrimis“ keine neckischen Spielereien sein müssen. Wie es der Zufall will, ergibt das Palindrom von Meta das schöne deutsche Wort ATEM. Und wirklich: In Metaliteratur spüren wie den Atem des Autors, er ist anwesend, er macht auf sich aufmerksam (und erspart uns hoffentlich dabei seinen Mundgeruch). Der Metakrimi dokumentiert also auch Aspekte seiner Entstehung, was der reinen Lehre von der Wahrhaftigkeit der Fiktion zuwiderläuft. Diese Wahrhaftigkeit der Fiktion begreift das Erzählte als ein in sich geschlossenes System, dem man weder sein theoretisches Gerüst ansehen darf noch gar die gewollte Künstlichkeit seiner Konstruktion. Bestenfalls gilt Metaliteratur als „verkopft“, was, zumal bei Krimis, als ein Negativum aufzufassen ist. Nüchtern betrachtet, erlaubt das Metaelement jedoch vor allem eins: die Ausweitung des Fiktionalen. In den vier aufgeführten Beispielen ist die Anwesenheit des Autors / der Autorin mitnichten ein Scherz. Es greift direkt in die Handlung ein, beleuchtet sie differenzierend.

Als Großmeister der Metaliteratur gilt der in diesem Blog natürlich unvermeidliche Arno Schmidt, der die Anwesenheit des Autors zum strukturierenden Bauprinzip seiner Prosa erhoben hat. So beginnt etwa der Roman „Das steinerne Herz“ mit einer sehr expressionistischen Beschreibung einer kleinstädtischen Regenlandschaft („So hantierten wir im Stickstoff mit anaeroben Gebärden (…) und die Bäume schwankten wasserpflanzen (…)), bis es völlig unerwartet und aus dem vorangehenden Text heraus auch unverständlich heißt: „(Intelligenz lähmt, schwächt, hindert? : Ihr werd’t Euch wundern ! : Scharf wie’n Terrier macht se!!).“
Sofort ist der Autor im Text präsent, er springt uns entgegen, bleibt fortan mit seinem fiktiven Ich untrennbar verbunden.

Letztlich schürt Metaliteratur das Misstrauen in das Erzählte, es ist ein Abgesang auf den narrativen Naturalismus, wie er vor allem von gewissen Strömungen des Kriminalromans erwartet wird, Forderungen nach „Authentizität“, „Nachvollziehbarkeit“, „Abbildung des Polizeialltags“ etc. Wer sich etwas intensiver mit Literatur beschäftigt, weiß, wie naiv solche Parameter sein müssen. Die Literatur hat mit der Welt, die sie erschreibt, nichts zu tun, sie ist eine andere Welt mit eigenen Regeln, eine natürliche Metawelt, die das bewirkt, was man Metamorphosen nennt. Verwandlungen. Götter werden zu Menschen, Menschen zu Tieren, Faktisches zu Fiktion, Stichwörter zu Geschichten und umgekehrt. Am Ende erzählt sie mehr über die Welt des Faktischen, als dieses jemals selbst erzählen könnte. Meta ist ein Werkzeug, das, wie jedes andere Werkzeug auch, entweder veredelt oder verdirbt.

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