Kai Martins Inselliste

10 Alben für die einsame Insel, Ausgabe 2025

1) Watermelon Men – Past, Present and Future (1985)
Eine Platte aus dem Jahr 1985, die nicht nach 80er klingt – aber irgendwie doch: Die Underground-Musik dieser Zeit bestand oft aus Jingle-Jangle-Gitarren und Garagen-Sound, wie in den 60ern. Ganz wunderbar hat das die schwedische Band Watermelon Men zelebriert, mit tollen Songs und herrlichen Melodien. Einer der beiden Gitarristen hat später Karriere als Diplomat gemacht – und unter dem Namen Distant Days auch weiterhin Musik aufgenommen. Der andere Gitarrist starb 2004 durch den Tsunami auf Thailand.

2) Moneybrother – Blood Panic (2003)
Er heißt nicht Bruce Springsteen. Er heißt nicht Curtis Mayfield. Er heißt weder Joe Strummer noch Mick Jones. Moneybrother heißt er auch nicht – so nennt er nur sein Projekt bzw. seine Band. Er heißt Anders Wendin, kommt aus Schweden und hat 2003 beim Moneybrother-Debüt ein Album hingelegt, das nicht alt wird. Die andere Art Northern Soul.

3) Pete Townshend – All The Best Cowboys Have Chinese Eyes (1982)
Als der Gitarrist und Songschreiber der Who 1982 dieses Soloalbum aufnahm, hatte er gerade eine schwere Lebenskrise hinter sich. So steht‘s überall geschrieben. Liest man seine Autobiographie, drängt sich der Eindruck auf, die Krise war der Normalzustand. Fakt ist: Nie waren seine Texte schonungsloser, nie persönlicher, nie wortgewaltiger als auf den guten Songs dieser Platte – und davon gibt’s verdammt viele. Was ihn bei den weniger guten Songs geritten hat, bleibt rätselhaft. Aber auch die anzuhören, hat eine seltsame Faszination.

4) Isaac Hayes – Black Moses (1971)
Geht’s noch breiter? Noch länger? Noch deeper? Wer sein Album „Black Moses“ nennt, hat mit Monumentalem keine Berührungsangst. Die Musik von Isaac Hayes auf dieser Platte verhält sich zu normalen Popsongs wie 12 Stunden „Herr der Ringe“ zu herkömmlichen Kinofilmen. Das Wort „Drama“ ist angebracht, hat aber für den bärtigen Glatzkopf mit Sonnenbrille definitiv zu wenig Buchstaben. Can you dig it? Gern und immer wieder!

5) Veronica Maggio – Handen i fickan fast jag bryr mig (2013)
Hände in der Tasche, obwohl ich mich kümmere – ich bin tatenlos, aber egal ist es mir nicht. So heißt ein wunderbares Album von Veronica Maggio, die in ihrer Heimat Schweden jeder kennt. In Deutschland kennt sie niemand. Was sicher auch an ihren schwedischen Texten liegt. Irgendeiner hat mal die Formulierung in die Welt gesetzt, sie mache Popmusik „with a touch of darkness“. Ist nicht falsch. Was er vergessen hat zu sagen: Sie ist eine phantastische Sängerin und hat ein traumhaftes Feeling für Musik. Für mich die besten Popsongs, die’s gibt.

6) Bruce Springsteen – The Wild, The Innocent & The E Street Shuffle (1973)
„Born To Run“, die LP, die ihm 1975 zum Durchbruch verhalf, ist klasse. Aber „The Wild, The Innocent & The E Street Shuffle“ ist besser. Bereits auf seinem zweiten Album ist Bruce Springsteens Art, Songs zu schreiben, erkennbar, allerdings sind die Stücke länger, vielfältiger, überraschender als später. Der Boss ist jung, die 70er Jahre auch. Nicht umsonst steht im langen Albumtitel das Wort „Wild“. Die Platte atmet Freiheit und Aufbruch, glücklicherweise ohne Assoziationen zu rauchenden Cowboys oder ähnlichem Werbeschrott. Große Sache.

7) Blumfeld – Old Nobody (1999)
Hamburger Schule trifft Münchener Freiheit. So was konnte man 1999 lesen, als Jochen Distelmeyer und seine Band den Lärm hinter sich ließen und den Wohlklang entdeckten. Verrat an der Szene, der musikalischen Herkunft? – Geschenkt. „Im Selbstversuch den Schmerz zu lindern. Ein neuer Sound. Ein neuer Sinn.“ Oder auch: „Sorge braucht Zusammenhänge, Zärtlichkeit braucht Zeit. Musik für eine andere Wirklichkeit.“ So isses.

8) Santana – Santana III (1971)
Ein Album, das vor schierer Kraft zu platzen droht. Wenn jemand fragt „Was ist eigentlich Latin Rock?“, lautet die Antwort: Santana III. Best of both worlds – Latin Music und Rock ‘n‘ Roll. Funktioniert am besten in heißen Sommernächten, unterm Kopfhörer … laut. Sogar der Sound der Platte ist zeitlos und das musste man 1971 erst mal hinbekommen.

9) Styva Linan – Dallas (2023)
Junge Göteborger, die klingen wie eine Band aus den 70ern. West Coast, Yacht Rock – passt! Hat Göteborg auch alles. Wer mit dem Klang der schwedischen Sprache nicht vertraut ist, lauscht dem Mix aus Rock, Soul, Jazz und Country möglicherweise etwas irritiert. Aber das gibt sich. Die Jungs von Styva Linan wissen, was sie tun und kennen sich aus. Mehr noch: Mit welcher Hingabe und welcher Frische sie einen sympathisch-altmodischen Sound kreieren, ist großartig. Seit wann können junge Männer so altersweise sein?

10) Thin Lizzy – Black Rose (1979)
Der coolste Mann mit der coolsten Stimme, der je gelebt hat. Phil Lynott war solo und mit Thin Lizzy viel mehr als der Typ mit knallenger Lederhose und Nietenarmbändern. Hard Rock war sein Ding, aber Soul, Pop, Breitwand-Balladen und elektronische Klänge eben auch. Die Sprache seiner Lyrics ist einfach, aber wie er Wörter und Melodien miteinander verknüpft und klingen lässt, hat große Klasse. Bestes Beispiel: das Album „Black Rose“, wo eine Hymne die nächste jagt.

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==> Kai Martins Inselliste 1997

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