Jean Amila (1910 als Jean Meckert geboren, 1995 gestorben) war ein Vertreter der „série noire“, jener französischen Nachkriegsvariante des amerikanischen hard boiled. Eine sehr eigenständige Bewegung, die den moralischen Zynismus, die schriftstellerische Ökonomie der Vorbilder um einige Errungenschaften der „alten Welt“ ergänzte. Lakonische Parolen, wütend hinausgespuckte Moral, dabei politisch wach, literarisch durchaus am Experiment und an der Provokation interessiert.
Leo Malet fällt einem hierzulande ein, aber man sollte ihn, wenn man Amilas „Mond über Omaha“ aufschlägt, gleich wieder vergessen. Bei Malet erwarten uns Detektivgeschichten mit allem Drum und Dran, bei Amila geschieht zwar ein Mord, doch erst am Ende des Romans. Er ist nicht Auslöser der Ereignisse, sondern die Reaktion auf sie.
Omaha-Beach, Normandie. Hier beginnt im Juni 1944 die Invasion der Allierten, eine in ihrer Furchtbarkeit nicht mehr zu übertreffende Opferschlacht, die Menschen als Zielscheiben aus Landungsbooten wirft, immer mehr Menschen, junge Soldaten, mehr, als die deutschen Verteidiger der Küste abschießen können, das ist die Taktik. Unter diesen Soldaten befinden sich auch Sergeant Reilly und der Veteran Hutchins. 19 Jahre später liegt Hutchins auf dem Soldatenfriedhof an eben diesem Omaha Beach, und Reilly wacht über die Ruhe der Toten, sorgt dafür, dass Blumen blühen, allmorgendlich die Fahne gehisst und die Totenerde gut gedüngt wird.
Mit dem Ableben eines der französischen Friedhofsarbeiter spitzen sich die Dinge zu. Nicht nur kommt ans Licht, dass mit den Soldaten das während der Invasion verendete Vieh verscharrt wurde, auch mühsam zusammengebastelte Existenzen drohen auseinander zu brechen. Es geht um Erpressung, um das Überdrüssigwerden des eigenen Vegetierens, doch vor allem geht es um Lebenslügen auf allen Ebenen. Das hohle Heldenzeremoniell der Soldatenfriedhöfe wird dabei ebenso entlarvt wie die Nichtigkeit jener neuen Identität, hinter der sich ein Deserteur 19 Jahre lang versteckt hat, und all das wird in wenigen Tagen das sein, was es immer war: Lüge, Kulisse, Verkleidung.
Amila erzählt die Geschichten seiner Personen in einer so leichten wie dichten Mischung aus ironisch gebrochener Alltäglichkeit und großer, ehrlicher Tragik. Es geht um Kuhmist und Heldenverehrung, um Feigheit und den Mut, der sie erfordert, um einen Mann, der zu sich zurück findet und eine Frau, die sich dabei verliert.
Ein Krimi soll das sein? Ja doch; wenn man sich ein wenig von den Erwartungen löst, die das Genre in einem zementiert hat. Amila benutzt die Elemente des Krimis – Mord, Erpressung, Leben in ständiger Angst vor Entdeckung -, um ein verdichtetes Bild der Welt zu schaffen, und wenn er ihr dabei den Lack abkratzt und uns das billige Material zeigt, aus der diese Welt recht eigentlich beschaffen ist, dann haben wir in diesem Bild wahrscheinlich mehr an Verbrechen gesehen, als wir in unserem Leben zusammenlesen können.
Man kann dem Saarbrücker Conte Verlag nur dazu gratulieren, deutschsprachigen Lesern die Möglichkeit gegeben zu haben, mit dem Werk Amilas bekannt zu werden. Fortsetzungen erwünscht und, dies zur Beruhigung, Amila hat sogar „richtige Krimis“ geschrieben.
Anmerkung: Auf der Umschlagrückseite heißt es: „Erst beim Tod des Einheimischen Fernand Delouis, der die Gedenkstätte mit Dünger versorgt, stellt sich heraus (…)“. Dies ist nicht richtig. Fernand bleibt bis zum Schluss am Leben, es ist sein Vater Amédée, der das Zeitliche segnet. Beim Leser führt dieser Fehler zu dem putzigen Ergebnis, dass er darauf wartet, wie der nicht gerade sympathische Fernand um die Ecke gebracht wird. Und von wem? – Hier hat der Klappentexter unfreiwilligerweise Amilas Text jenen „suspense“ verpasst, den er gar nicht hat. Und auch nicht braucht.
Jean Amila: Mond über Omaha. Conte 2005. 211 Seiten, 10 €
Wie der Zufal – besser: das Conte-Marketing – es will, flatterte mir dieser Titel auch ins Büro. Und habe ihn recht flott gelesen. Allerdings komme ich bei weitem nicht zu einem solchen Urteil wie Du, dpr.
Den Grund dafür hast Du bereits selbst genannt: Mir gaukelt der Verlag mit ‚Serie Noir‘, Leo Malet, dem fetten Krimi-Etikett und dem Klappentext etwas vor, was der Roman in keiner Weise halten kann.
Wenn man´s so will: Ich bin darauf hereingefallen und habe entsprechend die „Suspense“ auf jeder Seite herbeigesehnt. Tja, Fehlanzeige.
Widersprechen möchte Dir in der Frage „Krimi? Ja oder nein?“. Für mich ist das nun wirklich kein Kriminalroman, auch wenn wir es mit einem Mord und Erpressung zu tun haben. Diese Aspekte bleiben sowas von im Hintergrund, dass unterm Strich „nur“ eine Tragödie übrig bleibt. Nicht jeder Mord macht einen Krimi.
Unter anderen Gesichtspunkten würde ich Amilas Roman als Zeitdokument empfehlen. Als Kriminalroman aber eine Enttäuschung im wahrsten Sinne des Wortes.
Meine Rezension gibt´s zur Septemberausgabe an bekannter Stelle 🙂
Gruß,
Lars
Hallo Lars,
ich stimme dir, was das „Krimi-Etikett“ angeht, zu. Auf den Unterschied zu Leo Malet habe ich auch selbst hingewiesen. „Mond über Omaha“ spielt mit den Krimielementen, und ich denke, das tut er sehr gut. Natürlich stolpert man, wenn man nur nach dem Klappentext geht, voll in die Erwartungshaltungs-Falle. Andererseits: Wie soll der Conte Verlag sonst für dieses Buch werben? Amila ist „séries noir“, und auch auf den französischen Spezialseiten wird „Mond über Omaha“ da nicht ausgenommen. Es ist, letztlich, eine Definitionsfrage. Was ist Krimi und was nicht? Dass wir da unterschiedlicher Meinung sind, ist gut so.
bye
dpr
Ja, ja, die Werbung. Das Thema hatten wir bei Ludger schon mal. Was da legitim ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Vorteilhaft, diesen Jean Amila ausgerechnet mit „Mond über Omaha“ als Krimi-Autoren einzuführen, finde ich das trotzdem nicht.
Hilf mir bitte doch in einem Punkt noch kurz auf die Sprünge:
Warum?
Gruß,
Lars
Hallo Lars,
wenn ich versuche zu definieren, was Krimi eigentlich ist, passiert etwas Merkwürdiges. Je präziser und genauer ich ansetze, desto „weicher“ werden die Genregrenzen. Ich enge den Begriff Krimi also nicht ein, sondern erweitere ihn. Es gibt ja diese Fünf-Satz-Definitionen von Krimi, aber ich halte sie, ehrlich gesagt, alle für ziemlichen Blödsinn. Was mich an diesem „Genre“ fasziniert, ist die Tatsache, dass es überhaupt kein Genre ist, sondern eine Technik, etwas zu sagen, was man ohne Krimielemente gar nicht oder nicht so gut könnte.
Nur mal ein kurzes Beispiel: Einer meiner absoluten Lieblingskrimis ist Heimito von Doderers „Ein Mord den jeder begeht“. 99% der „Community“ erklären mich jetzt für bescheuert, weil das für SIE überhaupt kein Krimi ist. Für mich schon. Und ich kann das begründen. Aber nicht hier, sondern – so viel Werbung muss sein – in einem längeren Essay, an dem ich gerade arbeite und das, so ein Zufall, „Was ist Krimi?“ heißen wird.
Wenn aber der Definitionsbereich von Krimi so ausladend ist, dann ist es selbstverständlich, dass dort unterschiedliche „Auswahldefinitionen“ existieren, denn natürlich nimmt sich jeder nur das heraus, was für ihn typisch Krimi ist. Wäre dem nicht so, könnte man also Krimi tatsächlich in fünf Sätzen definieren und wären wir ALLE einer Meinung, würde ich mir schleunigst eine andere Literatur suchen. Denn dann müsste Krimi etwas furchtbar Langweiliges sein.
Ach ja: Ludger und die Klappentexte. Das hat ja einigen Leuten nicht gefallen, aber vielleicht lernt man daraus schlicht, Klappentexte zu ignorieren.
bye
dpr
hi!!
ich habe mal eine kleine frage mein freund der möchte sich gerne das spiel omaha beach killers installieren aber irgendwie funktioniert das alles nicht könnt ihr mir weiter helfen wäre echt supi
dks für eure jetzige hilfe schon!!!
Dafür sind wir als „präpotenter Amateur-Blog“ (Thomas Wörtche) doch da, liebe Katharina! Zuerst müsst ihr auf jeden Fall die Jean Amila Virtual Playstation installieren! Die gibts in jedem French-Noir-Fachgeschäft! Die JAVP verbindest du dann über das Manchette-Interface mit der Camus-Engine. So. Dann einfach das Game aufplayen – und die Sache sollte laufen!
bye
dpr
Supi.