Wer sich 500 Seiten lang in die Turbulenzen Aberdeener Polizeiarbeit stürzen will, ist mit „Der erste Tropfen Blut“ von Stuart MacBride wie immer gut bedient. Stillstand, Reflexion: Fremdwörter. Protagonist Logan McRae peitschen keine inneren Dämonen nach vorne, nein, ganz normale Vorgesetzte sinds: ein dicker Choleriker mit Hang zu Süßigkeiten und Amateurtheater, sowie eine flapsig-zynische Lesbe mit schwerer Nikotinsucht.
Drei Fälle werden bearbeitet: eine Vergewaltigungsserie, bei der ein Fußballstar als Hauptverdächtiger im Visier ist, aber nicht überführt werden kann; der Tod eines Pornostars im SM-Milieu – und die seltsame Wandlung eines Achtjährigen vom süßen Jungen zum messerstechenden Killer. Diese Fälle hängen teilweise zusammen, was nicht ungewöhnlich ist. Ungewöhnlicher, wie viele Fehler den Polizisten unterlaufen, Fehler mit zum Teil tödlichen Folgen. – Kann man also lesen. Aber.
Das verflixte Serienkorsett. Drei Romane lang präsentiert uns MacBride nun schon sein festes Personal, und zumindest die beiden oben erwähnten Vorgesetzten hecheln wie marmorne running gags durch die zumeist regnerische Landschaft des tristen Aberdeen. Und wahrscheinlich schon im nächsten Logan-McRae-Krimi werden sie mir gewaltig auf den Senkel gehen, der wütige Dicke und die qualmende Alte, wenn sie zum 999. Mal Gummibärchen die Köpfe abbeißen beziehungsweise gierig an ihren Fluppen saugen. – Die Halbwertzeit solcher Humorismen ist bestürzend kurz, ein wenig Abstand von den vertrauten Personen täte Autor wie Leser gut.
Stuart MacBride: Der erste Tropfen Blut.
Goldmann 2008. 505 Seiten. 8,95 €
(Broken Skin, 2007. Deutsch von Andreas Jäger)
Ich fand ja die Eröffnungsszene ‚Wir brauchen einen Leitenden Ermittlungsbeamten…‘- Und dann passiert auch NIX (im ersten Teil) sensationell ! Aber dann konnte ich das Buch leider nicht auslesen, weil das PleitenPechPannen-Konzept recht schnell lang…..atmig wurde. beste grüße
MacBride ist so großartig, dass er einem auf den Geist gehen kann! Ach ja, wir wünschen uns eine Entwicklung der Personen – seht euch doch mal in eurer Umgebung um, welche Personen sich in den letzten zehn Jahren entwickelt haben! Was die Betreffenden DIs und DS als witzig meinen, ist doch in Wahrheit nur erbärmlich. Aber eben auch nicht nur Karikatur, sondern doch auch ein Stückchen Polizeiarbeit – wie im wirklichen Leben.
Interessanter Ansatz, lieber Albrecht, und im Prinzip auch nichts dagegen einzuwenden. Streiten wir uns auch nicht über das „wirkliche Leben“. Nur: Wenn ich den Gedanken weiterdenke, müsste MacBride seine Wiedergabe der Wirklichkeit (die ja tatsächlich alles andere als spannend sein kann) dann auch konsequent umsetzen. Zum Beispiel bei den Fällen, die ja teilweise zusammengehören, was nun aber vor allem durch ZUFÄLLE ans Tageslicht kommt (etwa die Geschichte mit dem Achtjährigen, der… du weißt schon). Hier arbeitet der Autor indes als Dramaturg, der Spannungsliteratur herstellt und nicht darauf aus ist, „realistische Polizeiarbeit“ wiederzugeben. Warum aber gerade bei diesen beiden DIs nicht?
Im Grunde geht es wieder um die alten und ungelösten philosophischen Fragen. Was ist Nachahmung / Abbildung, ist das Aufgabe der Literatur und wenn ja: wie soll sie das bewerkstelligen? Zumal in Spannungsliteratur, die nicht unbedingt gelesen wird, weil man ein Stück Alltag geliefert bekommen will.
bye
dpr
vielleicht lese ich also weiter…. vielleicht hat Herr Albrecht ja recht !?
Der Beginn hat mich schon sehr an die Figuren und Konstellationen von David Simon erinnert. Doch was dort spannend, komisch, tragisch und „echt“ schien, kam mir hier auf 200 Seiten so … ‚banal gesuchtgewollt‘ vor. Ist das denn das Konzept ?Reihung von Erbärmlichem ? Das gibt es doch schon – Eine minimale (andere) Dramaturgie ? Die mir aber zu konsequent durchgezogen schien –
Ja, liebe Ana, der Herr Albrecht könnte durchaus recht haben. Vielleicht ist das wirklich so. Die Frage ist dann aber, warum es nicht konsequent gemacht wird, warum MacBride eine durchaus gängige Spannungsdramaturgie pflegt, die in vielem „unrealistisch“ ist (was jetzt kein Vorwurf ist; Kriminalliteratur halt). Andere Frage: Mag alles so sein. Aber will ich mir als Leser das bändeweise antun? – Also nichts gegen die Lesart von Albrecht. Sie macht ihm das Buch noch zusätzlich interessant.
bye
dpr