Das musste man sich ja angucken. Mit der BBC-Miniserie „Sherlock“ sei praktisch das Fernsehen als Krimiaufbereitungsmaschine neu erfunden worden, so legten es die euphorischen Vorbesprechungen nahe, aber wieso, fragte man sich unwillkürlich, strahlt sie die ARD dann überhaupt aus, neckischerweise auch noch nach dem Sonntags-Tatort, für den man ja das Fernsehen nicht neu erfinden muss, sondern schleunigst bald abschaffen, wie es ebenfalls als Herzenswunsch gerade medial im Umlauf ist. Nun denn. Also die erste Folge schauen.
Die Grundidee ist simpel: Sherlock Holmes und sein Dr. Watson leben im Hier und Jetzt, 2010. Dr. Watson ist als Kriegsverletzter traumatisiert aus Afghanistan zurückgekehrt, er geht am Stock, psychosomatisch, meint seine Analytikerin und empfiehlt ihrem Patienten, sich einen Blog zuzulegen. Was der auch tut, aber kein Wort schreibt. Sympathisch. Dafür lernt er Holmes kennen, teilt sich mit ihm die Wohnung in der Bakerstreet und wird sogleich in den ersten Fall gezogen, eine Reihe mysteriöser Selbstmorde, die selbstverständlich keine Selbstmorde sind. Sherlock Holmes zeigt nun die verblüffenden Früchte seiner kombinatorischen Genialität, er deduziert zum Steinerweichen, verblüfft Watson, Inspector Lestrade und die Zuschauerschaft, aber natürlich nicht diejenigen, die wissen, dass Deduktion in Kriminalromanen selten ohne Induktion auskommt und das Ganze den berühmten Zirkelschluss produziert. Lege rein, was du rausziehen willst, auf dass man überzeugt ist, es sei schon immer drin gewesen.
Und genau das macht der Film tatsächlich grandios. Kameraführung und Schnitte sind nicht wirklich „neu“, aber gut eingesetzt und komponiert. Die Idee, Schrift einzublenden – am schönsten bei Holmes’ deduktiver Arbeit an einer Frauenleiche, der er einen zu ihren Lebzeiten hohen Liebhaberverbrauch attestiert -, diese Idee ist allerliebst. Hinzukommen durchdachte Dialoge, hübsche Situationswitze und überhaupt, wie es die Vorabkritiker einem schon versprachen, keine Minute Langeweile. Die Geschichte ist auch nicht sehr verworren, eigentlich sogar recht simpel, aber das muss man erst einmal hinkriegen ohne Füllstoff. „Sherlock“ schafft das.
Ansonsten werden so ziemlich alle Verbindungen zum Original souverän in den Film eingewoben. Die Geige, die Drogen, sogar die Frage, ob wir es bei Holmes und Watson mit dem ersten schwulen Ermittlerpärchen der Kriminalliteratur zu tun haben. Antwort: Klar doch, aber reden wir nicht weiter drüber. Dass Dr. Watson schon immer die interessantere der beiden Figuren war – nun denn, auch das unterstreicht der Film.
Am fiesesten der Schluss. Endlich sitzen sich Holmes und der Serienkiller gegenüber und der Detektiv erfährt, wie die Selbstmörder zu ihren Taten gezwungen wurden. Sie mussten eine Entscheidung treffen, eine 50:50-Angelegenheit – und der Mörder gewinnt immer. Aber wieso? Das möchte der Mörder von Holmes wissen, das möchte der Zuschauer von Holmes wissen – und erfährt es nicht. Der nämlich hat keine Ahnung, mag er auch beteuern, es sei ein Kinderspiel gewesen, hinter den Clou zu kommen. Der Zuschauer, die Zuschauerin, sie müssen also selbst die Lösung deduzieren (Ich hab eine mögliche gefunden, aber ich verrate sie nicht), auf jeden Fall eine hübsche Düpierung, Täuschung der Erwartungshaltung etc., dafür lieben wir die guten Krimis ja.
Meine Erwartungshaltung als Fernseher würde indes nicht enttäuscht. Schöner Einstieg (mit dem Titel „A Study in Pink“), zwei Filme an den kommenden Sonntagen, jeweils 21 Uhr 45 nach dem Tatort, Bruder Mycroft spielt auch mit, Moriarty wurde erwähnt, die Schauspieler sind klasse (am besten der Mörderdarsteller), das können nur die Briten, sagt man, aber Blödsinn, das könnten die anderen auch, aber sie trauen sich halt nicht.