(Vorbemerkung der Redaktion: Wir bitten unsere Leser, die in nachstehender Rezension vorkommenden Ausdrücke der Fäkalsprache sowie das manchmal rüde Urteilen des Kritikers zu entschuldigen. Herr Jochen „The Kid“ König absolviert in unserem Hause eine Ausbildung zum Krimirezensenten, um hernach dem Arbeitsmarkt als Fachkraft zur Verfügung zu stehen. In ihm brennt noch das heiße Rezensentenfeuer der Jugend, zudem versetzen ihn der dritte Versuch des Führerscheinerwerbs, die erste große Liebe sowie aufwendige Strategien der Aknebekämpfung in dauerhaften emotionalen Stress. Nichtsdestrotrotz sind wir davon überzeugt, dass Herr König seinen Weg in der Krimiindustrie machen wird.)
Um es kurz zu machen: die ersten 327 Seiten sind scheiße. Oder um es für freundliche Leser, die mit Fäkalsprache so ihre Schwierigkeiten haben, eloquenter auszudrücken: Qualitätsdiametral. Figuren vom Reißbrett, Handlung vom Reißbrett, die Wiederkehr des Ewiggleichen, das sich unglaubliche Mühe gibt etwas Besonderes zu sein: es ist wie früher in den MAD-Heften:
Schau – der Schönheitschirurg, der allerdings nicht aus Geldgeilheit alte Schlachtschiffe restauriert sondern ein soziales Gewissen hat!
Schau – die Ex-Geliebte, die zudem ehemalige FBI Agentin mit dunkler Vergangenheit ist.
Schau – die beiden Polizisten , wie sie dumm und sinnlos Papier vergeuden.
Schau – die Killerin, die könnte glatt einer Sitcom entlaufen sein. Keine Bange: sie ist.
Schau – der böse Schwiegervater; schwerreicher Goldesel. Und sonst? Sonst nix. Doch, vielleicht ist er böse.
Schauwerte wohin man schaut. Und das ist eigentlich nur – fragen wir Homer Simpson – : „laaaangweilig“.
Dann taucht mit Verne Dayton, dem gemütvollen White-Trash-Redneck, der erste sympathische, in seinem Verhalten nachvollziehbare Charakter auf, die Handlung gewinnt an Fahrt und trudelt, wenn auch auf schlecht geölten Achterbahnschienen ihrem Nachdenklichkeit heuchelnden Ende entgegen.
Mag sein, dass die Auflösung des Entführungs- schwere Körperverletzungs- Mordfalles ein A-ha Erlebnis evoziert, es ist und bleibt ein Papiertiger, der durch einen Feuerreifen springt.
Denn alle Handlungen, alle Begebnisse dieses Buches passieren nur, damit dieses Ende halbwegs passt, damit jede überraschende Wendung nicht nur überraschend, sondern auch sinnfällig erscheint – und das geht meistens in die Hose.
Als Leser interessiert mich die Intention des Autors nur mäßig, ich möchte schlüssige Stories, nachvollziehbare Charaktere (deren Handlungsweisen durchaus bis ins Irreale reichen können), aber vor allem einen Gestus, der seine Figuren und Inhalte ernst nimmt. Und das findet sich bei „Keine zweite Chance“ nirgendwo. Hier sind Schießbudenfiguren unterwegs, die bedenkenlos geopfert werden, wenn es einer noch so mageren Pointe dient. Und das ist schlicht und einfach eklig. Denn Coben schreibt keine düsteren Satiren über diffuse ‚Kollateralschäden’ sondern Spannungsliteratur. Bisweilen nicht ungeschickt – was ich ihm bei seinem „Just one look“ noch angerechnet habe. Aber wer sich mit dem „Mainstream“ anfreundet, kommt anscheinend darin um. Was vorliegendes Machwerk keineswegs eindrucksvoll unterstreicht. – doch in „No second Chance“ verhuscht er sich in eine Söldnermentalität, die Figuren nur erschafft, um sie für einen Hauch an Aufmerksamkeit auf’s Billigste über die Klinge springen zu lassen. Man sollte meinen, dass so was kein Mensch braucht. Leider zeigen die Zeitläufe Gegenteiliges…
„Die Kugel durchschlug das Glas und drang in Tatianas rechtes Auge. Blut spritzte. Lydia drückte noch einmal ab, wobei sie die Waffe instinktiv senkte.
Der Schuss traf das zusammenbrechende Mädchen mitten in die Stirn. Aber die zweite Kugel war überflüssig gewesen. Der erste Schuss war durchs Auge direkt ins Hirn gedrungen und hatte Tatiana sofort getötet.“
Nicht nur die zweite Kugel, der gesamte Mord ist überflüssig. Er steht in keinem Sinnzusammenhang zur vorigen und nachfolgenden Handlung – außer eine bestimmte Haltung zu provozieren:
Schau – wie cool die Killerin reagiert: ohne mit der Wimper zu zucken bringt sie eine schwangere Zeugin um die Ecke.
Schau – -was für ein Luder. Und sie kommt davon. Garantiert…
Ich glaube, ich schrieb es schon: Eklig. Letztendlich auch nach Seite 327. Trotz Verne Dayton.
Harlan Coben: Keine zweite Chance.
Goldmann 2004. 446 Seiten. 8,95 €
Danke, endlich mal jemand der meine Meinung zu Coben teilt. Ich fand schon seinen zweiten Roman schwer rezeptmäßig und seit dem dritten lese ich sie gar nicht mehr.
Weiter so Herr König.
LG
barb
Danke, Barb, dass du unseren Nachwuchs moralisch aufbaust. Dein Lob fällt ja auch ein wenig auf mich, seinen Lehrherrn, zurück. Mal gucken, ob er in zwei Jahren die Prüfung bei der Industrie- und Handelskammer besteht. Und dann heißt es: Auf zum Arbeitsamt!
bye
dpr
Arbeitsamt? Na lieber gleich ins Abseits (Taxifahren ist doch auch was feines) oder ins Ausland. Krimi ist halt Hobby. Oder?
LG
barb
Nein, nein, liebe Barb, da bist du nicht auf dem neuesten Stand. Kompetente Krimikritiker werden mittlerweile in Deutschland gesucht! Kaum kommen sie aus dem Arbeitsamt – zack, greift sie auch schon eine der großen Zeitungen oder Rundfunkanstalten weg! Prächtige Bezahlung! Hoher sozialer Status, noch vor den Apothekern! – Es gut sich was im Bildungsland Deutschland!
bye
dpr
Danke barb, das geht runter wie ein Honigbrötchen an einem sonnigen Sommermorgen…
Genauso, das nicht nur meine Frisur, sondern auch der liebe dpr mich mindestens 20 Jahre verjüngt. Gefühltes Alter halt;-)
Ansonsten habe ich mich redlich bemüht Cobens Buch gerecht zu werden. Es gab auch noch eine 2te Version in der das böse Wort mit „sch“ am Anfang nicht vorkommt. Der Rest schon. Aber dpr hat sich für die Hardcorevariante entschieden. Nun gut.
Ja, Azubi Jochen, weil die Hardcorevariante gerade noch rechtzeitig durch meinen lahmen Mailtunnel hier eingegangen ist. Nächstes Mal aber Fäkalien nur nach Rücksprache mit dem Ausbildungsbeauftragten! Und nu iss dein Honigbrötchen fertig und dann die Redaktion ausfegen!
bye
dpr