Bernhard Jaumann: Die Drachen von Montesecco

Bernhard Jaumanns Welt wird von fünfundzwanzig Personen bevölkert. Die meisten von ihnen sind alt und manche tot, wenn wir Jaumanns Welt wieder verlassen, das kleine Örtchen Montesecco in der Mitte Italiens. Wir gehen nicht gerne, wir mögen Montesecco und seine Geschichten. Nach den Vipern sind es nun die Drachen, deren mythische Existenz für ganz irdische Komplikationen sorgt.

Immer wenn uns Jaumann die Geschichten seiner Welt-Menschen erzählt, erhebt sich aus den Alltäglichkeiten ganz gemächlich das Existentielle. In „Die Vipern von Montesecco“ stürzte man zurück ins Archaische von Gerechtigkeit und Rache, „Die Drachen von Montesecco“ fliegen in die andere Richtung und landen im Materialismus einer durch und durch dinglichen Welt.

Der alte Benito Sgreccia haut noch einmal so richtig auf die Pauke. Er lässt drei Prostituierte aus Rom kommen, einen Pianisten, dazu erlesene Buffets und teure Möbelstücke, dann gibt er sich drei Tage lang sämtlichen Lastern hin und entschlummert am vierten friedlich auf der Terrasse. Friedlich? Sein Kumpel Gianmaria Curzio tippt auf Mord, es gibt gute Gründe für diese Annahme. Denn Sgreccia war, was zunächst niemand glauben will, ein reicher Mann, hatte durch Börsenspekulationen fünfeinhalb Millionen Euro eingenommen, deren Verteilung im Folgenden die Beschaulichkeit des Kaffs nachhaltig stört, die berühmten Begehrlichkeiten weckt, Intrigantentum und Anschleimerei befördert – und eine unbekannte Person auf eine schreckliche Idee bringt. Der kleine Minh, passionierter Bauer von Papierdrachen, wird entführt, nur zwei Millionen Euro Lösegeld können sein Leben retten.

War Jaumanns Vipern-Geschichte ihrer Absicht entsprechend ziemlich dunkel, durchzieht die „Drachen“ eine manchmal milde, manchmal beinahe berstende Heiterkeit. Die verwickelte und doch immer stringend erzählte Story führt die Bewohner des Örtchens hinaus in die Welt, bis nach Rom, zu den Nutten, den Börsenspekulanten, den Mafiosi, es gelangen Fremde nach Montesecco, ein Privatdetektiv aus Rimini beispielsweise, ein afrikanischer illegaler Einwanderer ebenso. In die Welt also geht man, die Welt gelangt nach Montesecco, dessen Einwohner hin und her gerissen sind zwischen Mammon und Moral.

Hätte eine gußeiserne Geschichte werden können, mit von Bedeutungsschwangerschaft prallen Botschaften, wurde es aber nicht. Jaumann erzählt gewohnt unaufdringlich, unspektakulär, sprachlich noch konzentrierter als in den „Vipern“, sehr dicht das alles, auch und gerade, was die eigentliche Kriminalhandlung betrifft, ein nach der bewährten Whodunnit-Dramaturgie hochgezogenes Gebäude ohne die modischen Assessoires einer selbstverliebten Krimiarchitektur.

Fazit: Bernhard Jaumann beweist auch mit „Die Drachen von Montesecco“ seine Ausnahmestellung innerhalb der deutschen Kriminalschriftstellerei, die ihm seine ruhige und souveräne Art, eine Geschichte zu erzählen, wohl auch in Zukunft garantieren wird. So lange, bis kein Mensch mehr in Montesecco am Leben ist.

Bernhard Jaumann: Die Drachen von Montesecco. 
Aufbau Verlag 2007. 278 Seiten. 19,90 €

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