Roaring Twenties. Berlin. Die Weimarer Republik, ein labiles Konstrukt, an dem die Extreme rütteln. Turbulente Zeit. Die nach dem turbulenten Krimi verlangt? Nicht unbedingt. Obwohl: Vielleicht hätte etwas mehr Turbulenz Susanne Gogas „Tod in Blau“ vor der Mittelmäßigkeit retten können.
Dieser nach „Leo Berlin“ zweite Fall für Kommissar Leo Wechsler spielt also im Berlin des Jahres 1922, mitten in der Wirtschaftskrise, mitten im rumorenden politischen Sektierertum, mitten in der Armut der sogenannten „kleinen Leute“. Ein Angestellter in einem Konfektionsgeschäft und augenscheinlich Anhänger deutschnationaler Theorien wird tot aus dem Landwehrkanal gezogen. Die Spur führt zur „Asgard-Gesellschaft“, wo sich ehemalige Offiziere der geschlagenen Armee in Dolchstoß- und Rachelegenden suhlen. Dann geschieht ein zweiter Mord, und auch er führt zur „Asgard-Gesellschaft“. Der Maler Arnold Wagner wird in seinem Atelier getötet, ein Bild gestohlen – und ein kleiner Junge weiß mehr, als für ihn gut ist.
So entwickelt sich gemach ein typischer Polizeikrimi mit, wie man sagt, zeitgeschichtlichem Kolorit. Susanne Goga hat recherchiert, sie klebt uns ein Bild jener merkwürdig nervösen Epoche deutscher Vergangenheit zusammen, Klebstoff ist natürlich „der Fall“. Wir steigen in die Niederungen des erbärmlichen Alltagslebens einer von der Krise gebeutelten Bevölkerung, sehen, wie sich aus Arroganz und Dummheit jenes Pflänzlein entwickelt, das ein Jahrzehnt später über das ganze Land wuchern wird, man gewährt uns zudem ein Einblick in die Kunst der Zwanziger Jahre, denn dieser Arnold Wagner malt „provokante Bilder“, ist eine Art George Grosz. Auch Kommissar Wechsler hat Probleme: mit der in einen Schieber verliebten Schwester, missgünstigen Kollegen und, natürlich, mit sich selbst. Er verliebt sich in eine Buchhändlerin, die ein Geheimnis hat, was sonst.
Nein, das ist alles nicht schlecht gemacht. Sondern routiniert, vorhersehbar, eine Geschichtsstunde für LeserInnen, die mit Andeutungen und Signalen zufrieden sind. Denn das ist der Schwachpunkt: An keiner Stelle dieses Romans schwindet der Verdacht, er spiele vor einer künstlichen, aus historischen Versatzstücken zusammengebauten Kulisse. Die großen Themen der Zeit werden sauber abgehakt, ihren Geist spürt man dennoch nicht. Es gibt sehr viel Armut in den Berliner Hinterhöfen, die Reaktionäre formieren sich, die Kunst widmet sich den Häßlichen – dass das alles zusammenhängt, sich durchdringt: das darzustellen, dazu reichen die Mittel Susanne Gogas nicht aus. Weder die kompositorischen noch die sprachlichen. Beides ist höchst bieder, höchst durchschnittlich, etwas Inspiration von den Literaten der Zwanziger hätte gutgetan.
Bleibt nur festzustellen: Wer Krimis einfach so wegliest, kann an „Tod in Blau“ durchaus seine gedämpfte Freude haben. Wer von Kriminalromanen, zumal „historischen“, ein wenig mehr erwartet, wird nur oberflächlich bedient.
Susanne Goga: Tod in Blau.
dtv 2007. 298 Seiten. 14,50 €