Nichts gegen Elmore Leonard. Aber manchmal wünscht man sich, die Krimiautoren blieben Krimiautoren und hielten sich bei den Gesetzgebungsverfahren des Genres zurück. Zehn „Schreibregeln“ hat Leonard zum Besten gegeben und Kollege Bußmer diese dankenswerterweise verdeutscht und → ins Netz gestellt. Grausige Regeln.
Dabei: Klingt zunächst alles sehr vernünftig. Dass man keinen Roman mit dem Wetter beginnen solle, etwa. „Es war eine stürmische Spätsommernacht, über Schloss Crimecastle braute sich ein Gewitter zusammen.“ Jo, nä, furchtbar. Oder Leonards Verdikt, man habe Prologe gefälligst zu vermeiden. Unterschreibt man ja gerne. Ebenso die Forderung, einen Dialog ausschließlich unter Verwendung des Verbs „sagte“ voranzutreiben und auf erklärende Adverbien („sagte höhnisch“ etc.) zu verzichten.
Aber irgendwie, je länger man drüber nachdenkt…Warum eigentlich soll es verboten sein, einen Dialog anders als mit „sagte“ zu bestücken? Sollte es sich hier wirklich um ein Naturgesetz handeln, in dem ein „’Ich liebe dich!’, sagte sie höhnisch“ nicht vorgesehen ist? Und warum nicht auch mal mit dem Wetter beginnen, wenn es dem Autor dramaturgisch sinnvoll erscheint?
Gänzlich ins Kopfschütteln kommt man bei Leonards Forderung, genaue Beschreibungen von Personen, Plätzen und Gegenständen zu vermeiden. Dass wir auch hier zunächst nicken, liegt schlicht daran, dass solche Beschreibungen häufig schlecht gemacht und/oder überflüssig sind. Es kann aber geradezu zwingend notwendig sein, eine Szenerie detailliert auszuleuchten, ja, die Konzeption eines Textes kann mit der Fähigkeit des Autors, kleinste Kleinigkeiten zu beobachten und an uns weiterzugeben, stehen und fallen.
Die schönste Regel aber ist die 10. und letzte: „Versuche die Teile wegzulassen, die der Leser überlesen wird.“ Das ist nun wirklich grausig. Woher weiß ich das? Sind es die „langweiligen“ Teile – und was ist dann langweilig? Sind es die vorgenannten Detailschilderungen? Nun ja, wenn die notwendig sind und der Leser überliest sie, dann ist im Zweifelsfall der Leser selber schuld – oder der Autor, weil ers halt nicht hingekriegt hat, den Leser von der Notwendigkeit solcher Passagen zu überzeugen.
Regeln sind schön und gut. Aber mal davon abgesehen, dass auch Leonards Qualitäten kaum auf der Befolgung solcher Leitsätze basieren dürften, sind sie die Feinde jeglicher Literatur. Die nämlich hat sich ihre Regeln gefälligst immer wieder neu zu erfinden. Oder die alten kritisch unter die Lupe zu nehmen, bevor man sie anwendet. Das ist nun kein theoretisches Gespinst, sondern lässt sich an der Entwicklung der Kriminalliteratur wunderbar nachvollziehen. Hätte man sich ständig an starre Regeln gehalten, dürften wir uns weiterhin ausschließlich an den wunderbaren Abenteuern im Stile eines Sherlock Holmes delektieren oder der zwölftausendneunhundertsten Inkarnation von Edgar Wallace zujubeln. Was viele ja auch immer noch tun. Aber das ist eine andere Geschichte.
Hi dpr,
in seinen Erklärungen sagt Leonard dann, wann und warum man davon Abweichen kann.
Im Wesentlichen sagt Leonard, dass die Geschichte im Mittelpunkt stehen muss und alles, was davon ablenkt, vermieden werden muss.
Wenn allerdings die Geschichte schwach ist, wird der Autor oft gegen die Regeln verstoßen. Er wird vom Wetter erzählen (meistens gähn). Er wird erzählen, an welchen U-Bahnstationen seine U-Bahn anhielt (meistens gähn). Er wird nicht auf den Dialog vertrauen, sondern ständig alles erklären (ich könnte ja überlesen, dass sie überhaupt nicht in den kleinen, dicken Milliardär verknallt ist) und er wird mit „!“ und „!!“ um sich werfen.
Insofern sind Leonards Schreibregeln, wie auch viele andere (teilweise ähnliche Regeln), keine Naturgesetze, sondern ziemlich brauchbare Leitlinien für’s Erzählen.
Sonnige Grüße
Axel
P. S.: Stimmt das? Ihr Saarländer seid Internetmuffel? Kann’s nicht glauben.
Nicht d’accord, Axel. Dass „die Geschichte“ im Mittelpunkt steht, mag ja noch angehen, wenn man weiß, was dazugehört und was nicht. Dass schlechte Autoren ins Schwafeln verfallen, nun ja. Dann erzählen sie halt nicht mehr übers Wetter, sondern über Fußball. Ich bezweifele auch, dass etwas als „brauchbare Leitlinien“ durchgeht, das das Spektrum der Möglichkeiten einengt. Generell akzeptiere ich nur eine einzige Leitlinie beim Schreiben: Richte dich nach deinem Text und der Idee, die ihm zugrunde liegt. Keinesfalls gehört dazu, sich ein Zettelchen, auf dem „ich darf nur SAGTE verwenden!“ steht, neben den Laptop zu legen. Irgendwann kommt noch jemand und dekretiert, seien nur noch im Imperfekt zu schreiben.
bze
dpr
Uh, diese Leitlinie musst du jetzt aber genauer erklären. Denn so ist letztendlich alles erlaubt, weil Text und Idee mir das alles einflüstern.
Warum nicht? Heißt ja nicht, dass so automatisch ein guter Krimi entsteht. Aber es entsteht genau der Krimi, der mir als Autor vorschwebt. Und wenn ich dafür „Regeln“ brechen muss – okay. Wobei vielleicht anzumerken wäre, dass das Genrekorsett inzwischen flexibel genug sein dürfte, so etwas zu verkraften. Zumal die meisten Regeln, die man bricht, in der Vergangenheit schon des öfteren gebrochen wurden. Und manchmal wurden diese Regelverstöße dann wieder Regeln, die darauf warten, ausgehebelt zu werden.
bye
dpr
Warum, lieber dpr,
sollen Ratgeber für Autoren allgemein gültiger sein als Ratgeber zur Bewältigung der Midlifecrisis ?
Leonards Buch ist ein Buch über seinen eigenen Stil (genauso wie Kings Buch). Gut wenn etwas für Dich hängen bleibt, wenn nicht unterhält es Dich (hoffentlich). Soweit ich weiß sind Leonards Dialoge berühmt. Nun denn, dann kann er seine Ausschmückungen auch auf „sagte“ reduzieren.
Wenn es denn Adressaten für dieses und ähnliche Bücher gibt, sind es junge unsichere Autoren amerikanischer Provinience – nicht Ellroy oder Rudolf – und die wollen nicht große, sondern unfallfreie Bücher schreiben.
Beste Grüße
bernd
Und jetzt redest du von Regeln, die’s dann anscheinend doch gibt.
Als Autor, denke ich, sollte ich die Regeln kennen. Denn nur so weiß ich, wann ich sie dehne oder breche; vielleicht sogar brechen muss.
Schreibregeln?
Gerade die Flut an Literaturinstitutstexten, die zwar handwerklich eine perfekte Oberfläche haben, aber keine eigene Sprache, keinen Sprachfluss und kein Sprachgefühl (und deren Autoren man sich folglich auch nicht merken kann). Klar darf man nicht zu viele Adjektive benutzen, und zu viele Substantive sind zu theorielastig, und auf Bandwurmsätze kann man sich nicht konzentrieren, und ein Roman muss ständig zwischen Beschreibung, Dialog und Erzählerkommentar wechseln, um lesbar zu sein – aber das merkt man auch so, wenn man einen Text liest.
Aber ich hab da auch noch „Schreibregeln“ bei Jack Kerouac:
1. Scribbled secret notebooks, and wild typewritten pages, for your own joy
2. Be submissive to everything, open, listening
3. Try never get drunk outside your own house
4. Be in love with your life
5. Something that you feel will find its own form
6. Be crazy dumbsaint of the mind
7. Blow as deep as you want to blow
8. Write what you want bottomless from bottom of the mind
9. The unspeakable visions of the individual
10. No time for poetry but exactly what is
11. Visionary tics shivering in the chest
12. In tranced fixation dreaming upon object before you
13. Remove literary, grammatical and syntactical inhibition
14. Like Proust be an old teahead of time
15. Telling the true story of the world in interior monolog
16. The jewel center of interest is the eye within the eye
17. Write in recollection and amazement for yourself
18. Work from pithy middle eye out, swimming in language sea
19. Accept loss forever
20. Believe in the holy contour of life
21. Struggle to sketch the flow that already exists intact in mind
22. Dont think of words when you stop but to see picture better
23. Keep track of every day the date emblazoned in yr morning
24. No fear or shame in the dignity of your experience, language & knowledge
25. Write for the world to read and see your exact pictures of it
26. Bookmovie is the movie in words, the visual American form
27. In praise of Character in the Bleak inhuman Loneliness
28. Composing wild, undisciplined, pure, coming in from under, crazier the better
29. You’re a Genius all the time!
Von oder by Jack Kerouac.
Dass es diese Regeln gibt, lieber Axel, zeigt ja Leonard eindrucksvoll. Und sie seien ihm, lieber Bernd, auch gerne gegönnt, solange er sie für sich behält. Denn „die Regeln“ gibt es, meines Erachtens, eben nicht für Autoren. „Die Regeln“ sind das,worauf sich Mainstream und dernier cry gerade geeinigt haben. Ich darf mir davon nehmen, was ich will, aber ich muss nicht. Muss ich aber „die Regeln“ oder überhaupt welche Regeln kennen, um ein GUTER Autor zu sein? Ich weiß nicht, welchen Regeln Poe gefolgt ist. Oder Conan Doyle. Auch Hammett muss das mit „den Regeln“ irgendwie falsch verstanden haben, als er Red Harvest schrieb (wobei der aber „Black Mask“-Regeln literarisch genutzt hat).
Hier aber dennoch meinen 7 GOLDENEN REGELN, wie du vielleicht einen guten Krimi schreibst, aber auch nur dann, wenn du eigentlich keine Goldenen Regeln brauchst:
Regel eins: Schreib einen spannenden und kurzweiligen Text.
Regel zwei: Wenns noch ein bisschen mehr sein soll, nur zu. Aber brich dabei nicht Regel eins.
Regel drei: Kein Schwein interessiert sich für deine Ansichten.
Regel vier: Wenn du keine hast, musst du auch nicht schreiben.
Regel fünf: Du schreibst für Publikum. Vergiss das nicht beim Schreiben.
Regel sechs: Beim Schreiben bist du dein einziges Publikum.
Regel sieben: Halte dich nicht an Regeln.
bye
dpr
…und Anobella hat völlig recht, das darf ich jetzt hier nicht unter den Tisch fallen lassen.
bye
dpr
Ach, Kinners, lest mal den Orignaltext, der trieft doch nur so vor Ironie. Außerdem zerlegt er die Regeln gleich wieder, die er selbst aufstellt:
1. Never open a book with weather. […] There are exceptions. If you happen to be Barry Lopez, who has more ways to describe ice and snow than an Eskimo, you can do all the weather reporting you want.
Und in Bezug auf Regel 10 erklärt er doch gleich im Anschluss, dass es letztlich ja doch nur eine Variation der „Show, don’t tell“-Regel ist, die besagt, man sollte sich als Autor nicht in den Vordergrund spielen.
Danke, lieber Jürgen. Dann entschuldigen wir uns ganz herzlich bei Herrn Leonard, aber nicht bei denen, die solche Regel ernsthafterweise aufstellen.
bye
dpr
Uff – geschafft, jemand IST auf das Stichwort Ironie gekommen! Makes my day! Danke, „albertsen“!!! Ich für meinen Teil kenne nur EINE Regel, und die lautet auf gut Bauhausisch: FORM FOLLOWS FICTION und tut meistens vor allem weh. Wer dennoch allen Ernstes Regeln, Listen & Kanon(en) braucht, um seines Schreibens sicher zu sein, dem sei eine Internet-Trouvaille vom Ende des letzten Jahrhunderts aufs Keyboard gepinnt:
SOME RULES
1. Don’t use no double negatives
2. Make each pronoun agree with their antecedent
3. Join clauses good like a conjunction should
4. About them sentence fragments
5. When dangling watch your particles
6. Verbs has to agree with their subjects
7. Just between you and I, case is important too
8. Don’t write run-on sentences they are hard to read
9. Don’t use commas, which aren’t necessary
10. Try not to oversplit infinitives
11. It is important to use your apostrophe’s correctly
12. proofread your wiritng to if any word out
13. Correct spelling is esential
14. No go a head and have funn!
Aloha und keep on keepin‘ on! P.
Ja, wenns denn immer ironisch wäre, liebe Pieke! Beim guten Herrn Leonard wollen wirs mal glauben, aber was einem da so regelmäßig als „Regeln“ ins Haus geflattert kommt! Form follows fiction? Im Sinne von form depends on fiction, hoffe ich doch. Wobei natürlich aber auch die Form selbst die Fiktion machen kann…nee, vatiefn wa jitz nich (no apostrophe’s).
bye
dpr
Och Mönsch, lieber dpr – für Ironie ist man doch sowieso meistens selber zuständig. Aber zum Trost für Dich noch schnell die Goldene Regel für olle Anarchos: „Regeln? Gar nicht erst ignorieren!“ Kopf hoch! P.
Danke, Pieke. Zur Belohnung erhältst du auch nächstens einen neuen Text von der Hirschin bei den ollen Krimis…
bye
dpr