Lawrence Block: Abzocker / Verluste

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Endlich wieder Lawrence Block auf Deutsch – und das gleich doppelt. Ausreden werden ab sofort nicht mehr akzeptiert, ran an die Lesearbeit und die Früchte derselben geerntet.

„Abzocker“, ein Jugendwerk Blocks aus dem Jahr 1961 („Mona“, 2004 als „Grifter’s Game“ in der Hard Case Crime – Reihe wiederveröffentlicht) und unter dem erwartbar dämlichen Titel „Die Mörderlady“ schon einmal in Deutschland erschienen, lässt bereits die Handschrift des späteren Meisters erkennen. Wohl steht er hier noch in Plot, Dramaturgie und Lakonik erkennbar auf den Schultern von Riesen, eigenständig ist „Abzocker“ aber allemal. Die Geschichte des Heiratsschwindlers und Zechprellers Joe Marlin entwickelt sich ganz im Banne des Noir, wobei die Grenzen zu Pulp und Hardboiled wie bei allen besseren Exempeln des Genres verschwimmen. Eine schöne Frau, reich und verheiratet, ein teuflischer Plan samt Ausführung – und dann das erwartete Desaster, gekrönt durch einen feinen gemeinen Schluss.

Alles ist bereits an seinem Platz. Die nur auf den ersten Blick flüchtige Skizzierung des „Zeitgeistes“, der eigenwillige Umgang mit Recht und Ordnung, der abseits gesellschaftlicher Normen im Subjekt selbst geregelt wird und sich deshalb mit moralischen Maximen gar nicht erst abgibt, ein „Happyend“, das so schwarz ist, dass es auf die Abgründe des Alltäglichen verweist.

Man kann das bei der Lektüre von „Verluste“ („Everybody dies“) sehr schön nachprüfen, dem 14. Werk aus der Reihe um den Expolizisten und Privatdetektiv Matthew Scudder. Das ist nun der gereifte Lawrence Block eindeutig auf der Höhe seiner Kunst. Scudder muss seinem alten Kumpel Mick Ballou, einem Gangster, aus einer ziemlichen Klemme helfen. Dem sterben die Angestellten wie die Fliegen weg – alle gewaltsam und niemand weiß, wer dahintersteckt. Auch Scudder gerät auf die schwarze Liste des mysteriösen Killers und hat mithin einen Grund mehr, die Hintergründe des blutigen Projekts aufzudecken.

Was uns dabei erwartet, macht gleich die erste Szene klar. Drei Männer sind mit dem Wagen unterwegs aufs Land. Sie reden über Fitness, Essen und ein wenig Religion, an ihrem Ziel angekommen, beginnen sie ein Loch zu graben. Es ist für die beiden Leichen vorgesehen, die im Kofferraum des Autos liegen.

Dieses Neben- und Ineinander von alltäglichem Smalltalk und „unerhörtem Ereignis“ wird für den Rest des Textes das stil- und handlungsprägende Element bleiben. Vor allem die Gespräche von Scudder und seiner Frau Elaine „entschleunigen“ die Handlung, man redet und redet, über Belangloses und Wichtiges, Grundsätzliches und völlig Banales, eine Welt-Atmosphäre baut sich auf, in der die Frage nach Gut und Böse gar nicht erst gestellt zu werden braucht. Man muss schon hoffnungslos auf ständige Action fixiert sein, um Blocks Strategie „langweilig“ zu finden. Sie ist im Gegenteil aufregend, eine Folie, auf der sehr gekonnt und eindringlich Wirklichkeit inszeniert wird. Am Ende wird es sehr blutig und sehr happyendig, und auch das ist von jener Schwärze, die keine weiteren großen Gesten braucht. „Verluste“ ist ein Gewinn für die Bibliotheken der deutschen Krimigemeinde und hoffentlich der Auftakt zu mehr von Matt Scudder und all den anderen Serienfiguren Lawrence Blocks.


*der Rezensent ist Autor des Verlags Shayol / Funny Crimes

Lawrence Block: Abzocker. 
Rotbuch 2008 (Band 002 der Reihe Hard Case Crime).
(Original: Mona, 1961 resp. Grifter’s Game, 2004,
deutsch von Ludwig Nagel, überarbeitet und ergänzt von Lisa Kuppler).
221 Seiten. 9,90 €
Lawrence Block: Verluste. 
Shayol / Funny Crimes 2008
(Original: Everybody Dies, 1998, deutsch von Katrin Mrugalla).
296 Seiten. 14,90 €

16 Gedanken zu „Lawrence Block: Abzocker / Verluste“

  1. Wieso findet sich bei den Alligatorpapieren bisher keine Erwähnung der Neuerscheinungen in der deutschen Hard Case Reihe. „Spricht“ da – außer unserem Krimileser – keiner drüber?

  2. Hallo Thomas,

    ich denke, Du musst den Kritikern noch ein wenig Zeit lassen, die Bücher sind noch recht druckfrisch. Kritiken kommen (hoffentlich) noch.

    Liebe Grüße
    Ludger

  3. Die drei HCC-Bände sind tatsächlich noch fast druckfrisch. Trotzdem wurden sie bei wtd bereits ALLE rezensiert. „Flop“ von Bruen / Starr und „Kiss her goodbye“ von Allan Guthrie hat sich Bernd ja bereits im Original vorgenommen. Ob ich sie anlässlich der deutschen Veröffentlichung auch noch mal bespreche, ist bis dato unklar. Lesen werde ich sie jedenfalls.
    Generell: Die HCC-Reihe wird es hierzulande nicht leicht haben, das wissen wohl auch die Rotbuch-Leute. Was mir partout nicht gefallen hat, ist die Bestellkarte in den Büchern, mit denen man sich die Folgebände „unverbindlich zur Ansicht“ schicken lassen kann. So weit so nett. Aber um diese Bestellkarte abzuschicken, muss ich sie vorsichtig mit einer scharfen Rasierklinge aus dem Buch trennen—und pro Lieferung dann noch 2,95 Euro Porto zahlen. Und eine Vorschau über die weiteren Veröffentlichungen wäre auch schon hilfreich gewesen.
    Zum Preis der Funny-Crimes-Bände. Das ist u.a. eine Frage der Auflage. Funny Crimes ist ein kleines Projekt innerhalb des eh schon kleinen Shayol-Verlags. Die Auflagen sind bescheiden, „Mengenrabatte“ kann man da nicht aushandeln. Außerdem sind die FC-Bücher keine Taschenbücher, sondern „englische Broschuren“. Wenn sich die FC-Bücher (und die anderer kleiner Verlage, die ja auch keine „Normalpreise“ bieten können) gut verkaufen, können nach und nach größere Auflagen gedruckt und die Preise gesenkt werden. Das ist Betriebswirtschaft – und häufig ein Teufelskreis. Eine goldene Nase verdient sich bei diesen Projekten niemand (auch nicht die Autoren; ich weiß, wovon ich rede). Dass wir das KJB dieses Jahr zum „Wahnsinnspreis“ anbieten, ist übrigens tatsächlich Wahnsinn. So etwas macht man nur EINMAL – wenn es schiefgeht, steht das gesamte Unternehmen auf der Kippe. Also drückt uns die Daumen.

    bye
    dpr

  4. Das klingt jetzt fast so, als wenn das Projekt (Hard Case Crime) fortgesetzt werden soll. Ich hätte gedacht, dass man die Reaktion des Marktes abwartet – oder sie ist besser als die vornehme Zurückhaltung der Rezensenten es vermuten lässt.

    Die drei ausgewählten Bücher bedienen doch etwas unterschiedliche Zielgruppen. Vielleicht hängen die weiteren Bücher von der individuellen Reaktion auf die einzelnen Bücher ab.

    Offensichtlich, lieber dpr, rasierst Du Dich manuell. Karte und Bestellung sind vom amerikanischen Original übernommen, und spielen dort, soweit ich weiß, bei der Vermarktung eine gewisse Rolle.

    Beste Grüße

    bernd

  5. „Trotzdem wurden sie bei wtd bereits ALLE rezensiert.“ – Ich glaube, lieber dpr, Thomas zielte eher auf Zeitungen etc. ab. Und eine Perforation bei der Karte wäre in der Tat hilfreich gewesen. Der Trend geht zu Löchern in Büchern.

    Ludger
    *nimmt dpr den Spiegel weg

  6. Die einfachste Methode wäre die, eine Karte einfach BEIZULEGEN. Die könnte dann gleichzeitig als Lesezeichen dienen. Es gibt Verlage, die machen das…
    Und, nein, ich rasiere mich NICHT manuell (wobei ich den Rasierapparat schon in der Hand halte…).
    Wenn ichs richtig verstanden habe, kommen 2008 weitere 4 HCC-Bände und nächstes Jahr wohl mehr. Nun, wir werden sehen…

  7. Richtig, mein Herz. In diesem Jahr stehen noch vier Titel an. Klickst Du hier .

    Ludger
    *lass die Finger vom Spiegel, dpr. Und leg‘ den Rasierapparat wech!

  8. ICH kann in den Spiegel gucken, ohne schamrot zu werden… Zu HCC in den Tageszeitungen: Da werden, wie ein Blick in die Papiere der Panzerechse zeigt – zur Zeit andere Titel durchs Doof, äh Dorf getrieben.

    bye
    dpr

  9. „ICH kann in den Spiegel gucken, ohne schamrot zu werden…“ Ja, solltest Du nur nicht zu lange tun, mein Lieber.

    Ludger
    *Schiebt dpr mal den Dorian Gray hinüber…

  10. Die von euch kritisierte Karte in den deutschen HCC-Büchern wurde, wie der Rest, von den amerikanischne HCC-Büchern übernommen.
    Die Unterschiede zwischen Original und Kopie sind angenehm minimal: größeres Format, etwas anderer Satz, keine Blurbs auf den ersten Seiten (ist etwas typisch amerikanisches, das die manchmal exzessiv betreiben), kurze Autorenbiographie, teilweise etwas andere Klappentexte.
    Das alles gefällt mir viel besser als die bislang einzige Übersetzung eines HCC-Romans: Stephen Kings „Colorado Kid“ mit beliebigen Cover und ohne Nachwort. Bäh.

  11. Schön, Axel. Aber das mit der Karte bleibt dennoch Unfug. Ich will das jetzt nicht überbewerten, glaube aber, dass damit das Vorhaben, sich eine Sammlergemeinde aufzubauen, unnötig torpediert wird.
    Blurbs, lieber Georg? Na, das etwa: „dpr hat den Kriminalroman neu erfunden! (Itzehoer Volksbote)“ – meistens auf der Rückseite des Umschlags (manche sagen Backcover dazu, ich natürlich nicht), gelegentlich, wie Axel schon gesagt hat, auch vor dem Text. „Menschenfreunde“ wird übrigens auch mit einem Blurb erscheinen. EINEM. Auf dem Backcover. Ich verrate aber nicht, wer da blurbt…

    bye
    dpr

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