Norbert Sahrhage: Blutiges Zeitspiel

sahrhage.jpgSollen wir’s kurz machen? Dieser Krimi ist nicht besser oder schlechter als viele andere auch. Es regionalt ein wenig (Bielefeld und Umgebung!), ein paar biedere Bullen grasen auf der schon arg gemähten Wiese des Polizeikrimis, es geht um Handball und Mord und, am Rande, auch um etwas ganz, ganz Schreckliches. Gelesen, vergessen. Sollen’s doch die Piraten ins Internet stellen und als Umsonstkultur verscherbeln. Aber etwas bleibt haften. Nichts Gutes. Nein, diesmal nicht die Sprache, über die wollen wir gnädig hinweglesen. Es ist etwas anderes, nennen wir es einmal: den Ton.

Zum Inhalt, der schnell erzählt ist: Handballspieler wird ermordet, war es der neidische Kollege, war es der Mäzen (Nazi!), war es ein Zuhälter, dem der Ermordete einst die Frau „abgekauft“, aber noch nicht vollständig bezahlt hatte? Oder war es… genau: Das sind alles falsche Spuren, man weiß es sofort, denn der Roman beginnt mit einer Szene aus dem Krieg, dem sogenannten Jugoslawienkrieg, der tote Handballer war bosnischer Serbe. Daher also weht der Wind, aber den Beamten düftelt er natürlich erst reichlich spät um die Nasen.

Ja, diese Beamten. Man stelle sich folgende Szene vor: Zwei Polizeibeamte vernehmen einen Zuhälter. Der Zuhälter erzählt ganz frank und frei, ja, er habe eines seiner Pferdchen für 80.000 Euro verscherbelt, der Käufer sei in Zahlungsverzug geraten, einmal zünftig zusammengeschlagen worden, aber mit dem Mord habe man selbstverständlich nichts zu tun. Was macht die Polizei? Den Kerl verhaften, der soeben ein Geständnis in puncto Zuhälterei, Menschenhandel und Körperverletzung abgelegt hat? Nö. Der Typ kann gehen, es passiert ihm nichts.

Noch was Schönes: Auch unsere grasenden Bullen sind irgendwann einmal auf die Idee gekommen, der Mord (es ist inzwischen nicht mehr der einzige) könne etwas mit dem Krieg damals in Bosnien zu tun haben. Sie verhören also ein paar inzwischen in der Gegend ansässige Bosnier. Eine Familie hat Schwierigkeiten mit der Ausländerbehörde, ist von Abschiebung bedroht. Sie findet Unterstützung bei einer deutschen Familie, die wie folgt eingeführt wird (und das muss man wirklich zitieren, es ist nämlich zu „schön“):

„Sie führte Korff in die Küche, wo fünf Personen um einen kleinen Tisch herum saßen: ein südländisch aussehendes Ehepaar mit zwei halbwüchsigen Kindern und ein etwa 50-jähriger Mann, vermutlich ein Deutscher, der an einer Zigarette sog. Vor ihm stand ein halbvoller Aschenbecher, daneben lag eine Zigarettenschachtel. Dass Kinder im Raum waren, die den Qualm einatmen mussten, schien den Mann nicht zu stören.“

Uns stört hier weniger der eindringliche Appell gegen die Gefahren des Passivrauchens. Aber diesen Mann kennen wir doch, es ist der gleiche, der durch die Berichterstattung über Hartz-IV-Empfänger und sonstige Arbeitsscheue geistert, nur ist er hier eben ein – so wörtlich im weiteren Text – „Gutmensch“. Und das macht Korff, den Polizisten, zornig. Uns hingegen machen solche wohlfeilen Blaupausen zornig, deren allergrößte ja noch kommt. Es ist das Motiv für die Tat, und dieses Motiv liegt, wie schon erwähnt, in der Vergangenheit, im bewaffneten Konflikt, den Gräueln des Bosnienkrieges. Was wir davon erfahren, ist leicht zu googelndes Faktenwissen, in Ordnung, aber über die Gefühlswelt der Täter erfahren wir – nichts. Es hätte auch ein frühkindliches Trauma sein können oder eine überfahrene Katze als Auslöser der Tat. Spielt keine Rolle, aber Krieg und Massaker kommen halt besser, ein tagesschaunachrichtengetränkter Krimi am Puls der Zeit, der inzwischen so flach ist, dass nicht einmal mehr ein Arzt helfen kann.

So kommt einiges zusammen: Realitätsferne Polizeiarbeit, ärgerliche Klischees und allgegenwärtige Beliebigkeit. Das muss nicht sein, das ist aber halt so, Sahrhage pars pro toto. Qui Bono? Denkende Leserinnen und Leser bestimmte nicht.

Norbert Sahrhage: Blutiges Zeitspiel. 
Pendragon 2012. 248 Seiten. 9,95 €

Ein Gedanke zu „Norbert Sahrhage: Blutiges Zeitspiel“

  1. Aber der Titel ist doch phantastisch!
    Absolut krimigeeignet und verrät dabei noch tiefes Fachwissen.
    Zumindest das sollte dem Sportsfreund doch einen Zehner wert sein.

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