„Denn die Kriminalliteratur oder kurz: der Krimi – war in ihren Anfängen nichts anderes als Schund, beziehungsweise Trivialliteratur, kurz Unterhaltungsliteratur.“ (Reinhard Jahn, →hier, ganz nach unten scrollen)
Wäre der Krimi ein Vogel, dann wäre er wohl kurz nach seiner Geburt aus dem Nest geflüchtet und erwachsen geworden und irgendwann in einem sentimentalen Moment hätte er damit begonnen, das Nest seiner Kindheit zu suchen. Nur – was will er dort? Noch einmal flüchten? Glaubt er, seine betagten Eltern (leben die überhaupt noch?) würden ihn durchfüttern? Wie man Würmer fängt, das hat der Vogel doch selbst längst gelernt, das beherrscht er aus dem Effeff.
Der Krimi ist schon ein komischer Vogel. Zuerst hieß er Kriminalroman und sein Nest war die Literatur. Er ist also nicht als Schund vom Baum gefallen, sondern vom Balkon einer hochherrschaftlichen Villa geflogen und irgendwann hat ihn eine Bö erfasst und auf Wolke 7 des Unterhaltsamen, des Trivialen befördert, wo er dann das mit dem Würmerfangen gelernt hat, die Würmer hießen Publikum. Da bekam er den Spitznamen „Krimi“.
Wenn da bloß diese Standesdünkel nicht wären. Der Krimi war halt nicht immer Krimi, sondern auch einmal fast vornehm in seinen Anfängen. Und genau dort will er wieder hin. Immer wieder. Er hasst es, wenn die Leute glauben, er sei auf der Brennsuppn daher geschwommen, wie sie im Süden sagen, so ein Proletarierbalg mit ausgeprägter Schreib- und Leseschwäche. Er zieht sich tolle Anzüge an, ganz wichtige Gedanken denkt er, ganz tiefsinnige Sätze gibt er von sich, kein Thema ist ihm zu abgehoben. Morgens liest er die Zeitung, Mittags schreibt er sich die schönsten Stellen raus und Abends verarbeitet er sie zu Literatur. Er hört auch den Spitznamen „Krimi“ nicht mehr gern. Ist doch erwachsen geworden, oder? Deshalb steht auf seiner Stirn auch „Roman“ und selten „Kriminalroman“, weil dann jeder wieder „Krimi“ sagt.
Es ist aber ganz schlimm. Der Vogel Krimi kreist in den Lüften und sucht sein Nest – und da!, da ist es! – und wenn er zur Landung ansetzt, versagen plötzlich seine natürlichen Fertigkeiten und es wird eine Bruchlandung, er schießt über das Ziel hinaus oder brummt messerscharf an ihm vorbei oder stürzt mit Karacho, den denkenden Kopf vorneweg, auf den Boden der Tatsachen und das tut weh. Vor allem den Lesern. Denen, die niemals „Krimi“ sagen, sondern „Kriminalliteratur“. Und die stets was zum „Nachdenken“ brauchen (auf den Thrill wollen sie dabei nicht verzichten, aber das behalten sie für sich).
Manchmal wünscht man sich also, der komische Krimi wäre ein wenig selbstbewusster. Die Gnade der höheren Geburt ist ja gut und schön. Aber spätestens mit der Nestflucht doch wohl erledigt. Jetzt ist er halt Krimi. Ist Schund, ist trivial, ist Unterhaltung. Daraus kann man auch was machen. Sogar Literatur. Woher man kommt, sollte man schon wissen, weil man dann erst weiß, wohin man geht. Also schaut zurück – und fliegt vorwärts.