Unser momentan zur Krimi-Couch delegierter Jung-Geselle Jochen hat uns eine seiner gefürchteten Rezensionen übermittelt. Sie wollen sie unbedingt lesen? Gerne! Auf wie immer auf eigene Gefahr!
„Valediction“ („Spensers Abschied“) aus dem Jahr 1984 hätte ein beeindruckendes Finale einer Romanreihe sein können, die den klassischen Detektiven Chandlerscher Prägung um einige Facetten erweiterte, ohne den Status des edlen Ritters in rostiger Rüstung gänzlich abzuschaffen. Parkers Detektiv Spenser hatte mehr Freunde und Helfer als Philip Marlowe, kochte für sein Leben gern – ließ sich deshalb lang und breit übers Essen aus – und lebte, bis auf eine kurze, aber dramatische Auszeit, in einer offenen Beziehung mit seiner Freundin Susan Silverman, die diese gerne mit dem Bund für’s Leben geschlossen hätte.
Doch dafür war Spenser seinen literarischen Vorläufern zu sehr verhaftet. Auch wenn die jeweilige Klientin keine ernsthafte Gefahr für Spensers Hormonhaushalt darstellte, blieb er dem romantischen Typus des Westerners treu, der unabhängig von den Verpflichtungen einer festen Bindung auf der Suche nach Wahrheit, Gerechtigkeit und neuen Grenzen ist.
Leider beließ es Parker nicht bei Spensers Abschied, sondern verfasste in den ausgehenden 80ern und beginnenden 90ern weitere Romane mit seinem Helden Spenser, welche die besseren Bücher der Reihe schlechter kopierten („Wer zähmt April Kyle“) oder in ihrer Larmoyanz die Grenze zur unfreiwilligen Persiflage nicht selten überschritten („Bleiche Schatten im Schnee“, „Starallüren“). Der einsame Killer Hawk wurde zur Ikone hochstilisiert, Freundin Susan Silverman erging sich in schwer verträglicher Küchenpsychologie, und Spenser selbst war gefährdet, von der Wucht der eigenen schlechten Scherze erschlagen zu werden. Seine Entwicklung stockte, und aus dem ehemals charmanten, weltoffenen und trotzdem harten Burschen, war ein weinerliches Abziehbild geworden, das sich bei ähnelnden Fällen ohne Biss, Jahr für Jahr über die Runden schleppte. Glücklicherweise fing sich Parker wieder und bot mit den neueren Fällen mindestens solide Kost.
Im Jahr 2007 erschien als derzeit letztes Spenser-Abenteuer der Roman „Now & Then“, den es jetzt unter dem leicht irreführenden Titel „Der gute Terrorist“ auf Deutsch im Handel gibt. Es beginnt wie erwartet: ein Klient sucht Spenser auf, damit dieser seine vermutlich untreue Gattin beschattet. Eher gelangweilt als amüsiert übernimmt der Detektiv den Auftrag und findet schnell heraus, dass Dennis Doherty mit seinem Verdacht recht behalten soll. Seine Frau Jordan hat ein Verhältnis mit dem charismatischen Professor Perry Alderson. Eine heimlich aufgenommene Kassette belegt nicht nur den Ehebruch, sondern zeigt auch, dass Alderson Kontakt zu einer mutmaßlichen terroristischen Gruppe besitzt. Nach der Übergabe der Aufnahme an den betrogenen Doherty überschlagen sich die Ereignisse: es gibt die ersten Toten. Spenser macht die Aufklärung der Morde zu seiner persönlichen Angelegenheit – immer tapfer auf den Spuren der eigenen Vergangenheit – und heftet sich an die Fersen des ominösen Perry Alderson. Was er herausfindet, bringt nicht nur ihn, sondern vor allem seine Dauerfreundin in Gefahr, und es bedarf eines konzertierten Einsatzes Spensers und seines Freundes Hawk – plus den Nachzüglern Vinnie und Chollo – die leidige Geschichte zu einem halbwegs befriedigenden Ende zu bringen. Nicht zuletzt dank der Deckung durch das FBI werden die Hochzeitspläne Susan Silvermans und ihres Galans Spenser als Möglichkeit einer gemeinsamen Zukunft so konkret wie nie zuvor.
„Der gute Terrorist“ hat etwas von einer Heimkehr in vertraute Gefilde. Gleich zu Beginn darf Spenser mit sarkastischen Einzeilern glänzen und auch mal daneben treffen. Das wohlbekannte Szenario, in dem der Ermittler den potenziellen Klienten mit unverschämter Humorigkeit nervt, wird derart beiläufig serviert, dass selbst die hochgezogene Augenbraue ob der teilweise ausgelutschten Witze immer noch eine anerkennende ist. Parker spielt mittlerweile mit geschlossenen Augen auf der Klaviatur klassischer Muster. Unaufgeregt, mit knappen, kurzen Sätzen, in denen kaum ein Wort zu viel verloren wird, skizziert er seine Figuren und die Situationen, die sie bewältigen müssen. Hier gibt es kein großes Geschrei: alles, was Spenser und seine Kollegen tun, folgt einem überlegten Pragmatismus, dessen Antrieb die Suche und Herbeiführung von Gerechtigkeit ist. Wobei Spenser egoistisch genug ist, die Jagd und Entlarvung der möglichen Übeltäter auch als späten Kehraus für mögliche Versäumnisse in seiner eigenen Vergangenheit in Anspruch zu nehmen. Im Gegensatz zu den früher gern ausufernden Eskapaden, ist „Der gute Terrorist“ ein Paradebeispiel zum Thema Zweckmäßigkeit.
Der Hobbykoch Spenser bekommt zwar seinen Auftritt, aber lange nicht so ausschweifend wie in früheren Romanen, Susan Silvermans Analysen sind knapp und meist treffend, endlose Beziehungsdiskussionen entfallen glücklicherweise. Spenser und seine Helfer ziehen ihr Ding durch, lassen sich gleichzeitig den Rücken vom FBI freihalten, was in vergangenen Zeiten ein Unding gewesen wäre. Doch hier herrscht ein beinahe freundschaftliches Joint Venture, von dem alle profitieren. Mit Perry Alderson hat Parker zudem einen faszinierenden Gegenpol zu Spenser geschaffen. Denn Alderson glorifiziert seine Vergangenheit, deren Wahrhaftigkeit bis zum Ende angezweifelt werden darf, geht dabei über Leichen, wenn ihm und seinen höchst privaten Vergehen jemand auf die Schliche kommt. Spenser dagegen hinterfragt sein eigenes Gestern beständig, auf der Suche nach Möglichkeiten, ihm im Heute gerecht zu werden.
Im „guten Terroristen“ geht es viel mehr um Lebenslügen und die Wahrnehmung der eigenen Biographie, als um politische Implikationen. Jene Gruppe von Terroristen, der Alderson so selbstgerecht vorsteht, dient letztlich nur der eigenen Legendenbildung und der Wahrung persönlicher Interessen. Dass mit der Verkündung radikal-politischer Phrasen immer noch der ein oder andere Dollar gemacht werden kann, wird allerdings gerne in Kauf genommen. Alderson erweist sich außerdem als geschickter Manipulator, der labile Heranwachsende dank seines rhetorischen Talents für seine Sache rekrutieren kann. Spenser, der malträtierte Jugendliche bereits in früheren Büchern gerne rettete und zu sozialisieren versuchte, handelt diesmal wesentlich pragmatischer: es bleiben zumindest zwei von einem halben Dutzend Revolutionären am Leben; die dem FBI übergeben werden, anstatt ihnen einen eigenständigen Weg zurück ins Leben zu spendieren. Darüber verlieren Spenser und Hawk auch kein erklärendes Wort, denn die Überlebenden sind zwar jung und verwirrt – aber auch Killer. Und als solche gehören sie bestraft.
„Der gute Terrorist“ ist weit davon entfernt innovativ zu sein; aber Parker zeigt, das kaum alternde Privatdetektive auch heutzutage noch dazu taugen, ansprechende Geschichten zu erzählen.
Spenser und seine illustre Clique sind zu Freunden geworden, die man gerne einmal pro Jahr besucht und in deren Gesellschaft man sich wohl fühlt. Der Abschied fällt nicht schwer, denn solange Parker fit genug ist, weiß man, man wird sie nächstes Jahr wiedersehen. Und freut sich drauf.
good times, bad times,
You know I had my share
(Led Zeppelin)
Robert B. Parker: Der gute Terrorist. Ein Fall für Spenser
(Now & Then, 2007). Pendragon 2008. 208 Seiten. 9,90 €