Drei Mörder, zwei Opfer, ein Rächer. Die Rollen in David Osborns „Jagdzeit“ sind klar verteilt, das Setting verspricht Hochspannung nach dem Reinheitsgebot des Genres. Ein turbulenter, harter Thriller, der seit seiner Erstveröffentlichung 1974 nichts verloren hat und zumindest an Patina nichts dazugewonnen. Aber ganz so reibungslos und als Filetstück für im Lesesessel versunkene Genießer verläuft dann die Lektüre doch nicht. Zum Glück.
Greg, Ken und Art sind gutaussehende, erfolgreiche Männer, mit Vorzeigefamilien und Vorzeigekarrieren. Was sie nicht vorzeigen, ist ihr ziemlich mieses Freizeitverhalten. Als Studenten haben sie Mädchen vergewaltigt, jetzt machen sie einmal im Jahr Urlaub an einem einsamen See und haben ihr perfides Spiel perfektioniert. Ein Pärchen wird entführt, die Frau vergewaltigt, der Mann gedemütigt, beide dann zur Menschenjagd freigegeben. Die endet stets tödlich, die Leichen beseitigt man auf Nimmerwiedersehen. Auch diesmal verläuft zunächst alles nach Plan. Doch dann mischt sich eine weitere Person ein, auch sie ein Jäger – und seine Beute sind Greg, Ken und Art.
Die Faszination des Romans nährt sich zunächst natürlich aus diesem Umschwung, wenn aus den Jägern selbst Gejagte werden. Das ist spannend erzählt, ohne Längen und mit einigen Überraschungen, der Clou des Textes liegt jedoch anderswo. Und zwar dort, wo man ihn am wenigsten erwartet (was aber erst den Clou ausmacht, versteht sich), in der mentalen Nähe der auf den ersten Blick so grundverschiedenen Handelnden.
Sie gehören allesamt zur Mittelschicht, brave Durchschnittsamerikaner, die von Veranlagung oder Schicksal aus der Bahn geworfen werden. Nancy und Martin, das entführte Pärchen, sind verheiratet, nur leider nicht miteinander. Billige, verkniffene Fremdgängerei, die im Angesicht der tödlichen Gefahr in Hass und Egoismus umschlägt. Der Rächer (dessen Beruf wir erst am Schluss erfahren, als Sahnehäubchen sozusagen) mag ein ehrenwertes, nachvollziehbares Motiv besitzen, ein Killer bleibt er allemal. Und das mörderische Trio? Auch nur Menschen. In der Gefahr reagieren sie nicht anders als ihre Opfer, man hat direkt Mitleid mit ihnen.
In allen steckt die Saat des Bösen, des im normalen Leben Tabuisierten, sie geht auf und wütet auf dem Feld des moralischen Anstands. Keine beruhigende Botschaft – und von frappanter Ähnlichkeit mit der, die James Dickey in →„Flussfahrt“ zu einem letztlich monströsen Text über die dünne Linie zwischen Täter und Opfer, schuldig und unschuldig verarbeitet hat. 1974. Vietnam ist noch nicht „abgeschlossen“, die Watergate-Affäre (der Osborn das Buch quasi gewidmet hat) noch frisch. Auch „Jagdzeit“ ist ein Reflex auf die historische Situation, auf das Nachdenken, das Revoltieren einer Generation. Wirklich gebracht hat das ja nichts, man schalte nur einmal den Fernseher an. Nein, stimmt nicht ganz. Etwas hat es uns doch gebracht: große Kriminalliteratur. Und, soll man sagen leider?, ziemlich aktuell, zeitlos.
dpr
David Osborn: Jagdzeit.
Pendragon 2011
(Open Season. 1974. Deutsch von Marcel Keller. Mit einem Nachwort von Frank Göhre).
274 Seiten. 10,95 €