Fünf Todsünden beim Verfassen von Kriminalromanen

Wtd möchte, dass Sie Erfolg haben. Ja, SIE! Eine aufstrebende, momentan im Umgang mit dem Business noch recht unerfahrene Fachkraft auf dem schlüpfrigen Terrain der Spannungsliteratur. Was gibt es zu beachten? Vor allem: Welches sind die DONT’S des Gewerbes, jene Fehler, die die Chancen auf eine Verlagsveröffentlichung mit einem Schlag zunichte machen können? Wtd kennt sie. Und wtd nennt sie. Schonungslos. Fünf Todsünden in aufsteigender Linie, vom katastrophalen Faux Pas bis zum endgültigen Aus für alle Ihre Hoffnungen und Ambitionen.

5. Sie belassen es bei EINEM Mord.
Oh, oh. Ein Mord nur? Und der möglicherweise schon auf den ersten zehn Seiten? Und wie wollen Sie Ihre Leser auf den restlichen 280 bei der Stange halten? Selbst wenn Sie längst erkannt haben, dass Serienmörder total out sind, sollten Sie Ihren Text mit dem einen oder anderen Bonusmord aufpäppeln. Er kann völlig überflüssig sein – macht nichts. Legen Sie irgend eine Ihrer Figuren – am besten die, die Ihnen am wenigsten gelungen ist – z.B. auf Seite 120 hübsch drapiert in eine Blutlache, lassen Sie Ihre Heldin, Ihren Helden sinnierend drum herum schleichen. LektorInnen mögen das. Weil LeserInnen es mögen.

4. Sie schreiben aus zu vielen Perspektiven.
Das verwirrt nur, glauben Sie uns. Da war fünf Seiten lang von Frau Meier die Rede – und plötzlich erscheint für die nächsten fünf Herr Müller. Hä? Wer soll das auseinanderhalten? Schreiben Sie also lieber aus EINER, dritte Person Singular. Nicht „ich“ sagen! Sonst meint Ihre Leserin, Ihr Leser am Ende noch, sie / er wäre gemeint! Und das kann ganz schön verwirren! Ihre Lektorin schüttelt fassungslos den Kopf.

3. Sie arbeiten mit Sprache.
Nun, werden Sie einwenden, mit was arbeitet man sonst beim Schreiben? Antwort: Mit sprachlichen Gleitmitteln. Ohne Sprache, das ist richtig, würde Ihr Text nicht funktionieren. Aber es geht ja nicht um den TEXT, es geht um seinen INHALT. Sie haben etwas zu sagen, das Ihnen seit Jahren derart auf dem Herzen liegt, dass es beinahe unter Ihren Fußnägeln brennt, etwas, auf das die Menschheit seit Urzeiten wartet. Zum Beispiel, dass der nette Herr Schröder aus dem dritten Stock in seiner Freizeit kleine Kinder schändet und diese, fein zerteilt, dann im Stadtpark ablegt. Das ist DIE BOTSCHAFT! Damit sie rüberkommt, muss sie ins Bewusstsein der Leserschaft flutschen wie ein mit Vaseline… nun, lassen wir das. Sie wissen, wovon hier die Rede ist. Also kümmern Sie sich bitte nicht um korrekte, gar literarisch relevante Sprache. Schmieren Sie das, was Sie sagen wollen, einfach mit den üblichen öligen Worthülsen zu und hoffen Sie, dass das Loch im Kopf Ihrer Leserschaft, in welches Ihr so präparierter Text geschoben werden soll, groß genug ist.

2. Ihre Protagonistin / Ihr Protagonist ist unsympathisch.
Wenn Sie nicht zufällig Patricia Highsmith heißen oder sich damit begnügen, für die winzige Kaufgemeinschaft der Noir- und / oder Hardboiledleser zu schreiben, sollten Sie Ihre Heldin / Ihren Helden mit all den Eigenschaften ausstatten, die auch Ihre werte potentielle Leserschaft gerne ihr Eigen nennen würde resp. glaubt, sie in hohem Maße zu besitzen. Also: Intelligenz, Unbestechlichkeit, Witz, gewaltige Körperkräfte, sexuelle Ausstrahlung, ein schweres Kindheitstrauma, verzogene Nachkommen. Um nur die wichtigsten zu nennen. Sich mit der Hauptperson identifizieren zu können, nur aus diesem Grund werden Bücher gelesen. Glauben Sie Ihrem Verlag.

1. Ihr Krimi endet nicht mit einer Auflösung.
Das Allerschlimmste. Aus, Schluss, vorbei, legen Sie Ihr Manuskript sofort in die Schublade eines Schrankes, den Sie sowieso schon immer dem Sperrmüll überlassen wollten und tun Sie das. Aus Ihnen wird niemals ein nützliches Glied der deutschen Krimiinnung. Keine Auflösung! Die Lektorin, der Lektor wird sich übergeben müssen! Das ist wie ein Kreuzworträtsel, das am Ende nicht aufgeht, wie ein Leben, das nicht mit dem Tod endet, wie ein Tod, der nicht in sofortige Wiederauferstehung – wie von der Kirche vorausgesagt – mündet. Sinnlos vertane Zeit. Schade. Dabei hätte Ihr Krimi ein Klassiker des Genres werden können.

20 Gedanken zu „Fünf Todsünden beim Verfassen von Kriminalromanen“

  1. Thanx, Mr. Rudolph! And best wishes to Mr Klemann + lovely Anobella!

    Any reading-suggestions, Mr Rudolph?

    *loads of time

  2. Das ist eine spannende Frage – was könnte man Patricia Highsmith zu lesen empfehlen? Am Ende würde ich vielleicht bei Alice Munro landen. Da bleiben die Leute auch ihr Leben lang in unentschlossenen Gesten stecken …

  3. Hi Pat! Nice to meet you! If you are looking for disastrous and sinful crime fiction – READ ME! I make all the mistakes you better should avoid! You’ll get big success! Believe me!

    bye
    dpr

  4. Dear Dieter, I`m not as sinful as you might think. In fact I´m – or should I say I was? – quite conservative … personally and politically. But nowadays we´re all a bit Obama, aren´t we?

    *laughing

    Anyway! I would appreciate you sending me a copy of your book! And could I have a krimiyearbook too? I´ve noticed, that Lovely Henrike – who FLED to Munich! – was part of the team! And so many other well respected people!

    Pat

  5. Sagt mal, wer kommt eigentlich auf die Idee, dass Ripley ein „unsympathischer“ Protagonist ist? Nur, weil er kriminell ist, soll man sich als Leser nicht mit ihm identifizieren können? Aber ich vergass, dem Leser die Identifikation zu versagen, ist an diesem Ort hier ja offensichtlich ein Kriterium für einen guten Krimi. In diesem Falle wären alle Ripley-Krimis unsäglich schlecht, denn Ripley ist ein Sympath und eine Identifikationsfigur. Er ist sexy und man liebt ihn, egal, was er tut. Highsmith‘ Kunstgriff ist ja gerade die Identifikation mit ihm.
    Allerdings ist natürlich richtig, dass niemand einen wirklich unsympathischen Protagonisten liebt, ebenso wenig, wie man Brechts Theater liebt, es sei denn, man will mit intellektuellem Wichs punkten. Nur – bei wem? Mir fällt die Entscheidung zwischen gelesen werden oder von einer verschwindenden Minderheit gelobt zu werden nicht schwer. Denn dieses Lob sollte man nicht Qualität verwechseln.

  6. Behauptet ja niemand, Ripley sei unsympathisch. Aber Identifikationsfigur? Wäre er das, hätte Highsmith versagt. Nicht weil guter Krimi nur sein kann, was Identifikation verweigert, sondern weil allein das die Grundessenz der Ripley-Romane zerstört hätte. Wir mögen uns zu Ripley hingezogen fühlen, wir mögen ihm alles Gute wünschen – aber das ist sehr ambivalent und hat nichts mit dem Sympathling zu tun, wie er kreuz und quer durch die seichte Kriminalliteratur schleicht. Gegen die ich ja bekanntermaßen nichts habe – wenn sie gut geschrieben ist.

    bye
    dpr

  7. >> ebenso wenig, wie man Brechts Theater liebt, es sei denn, man will mit intellektuellem Wichs punkten.

    Was ist denn an Brecht intellektuell?

  8. ripley macht einen entwicklung durch. am anfang ist er ein mediokrer emporkömmling, der sich bei freunden, die ihm nutzen könnten, einschleimt. je bürgerlicher er wird, desto sympathischer wird er. er hat ein prächtiges haus, eine prächtige frau und prächtige möbel. sein kampf mit den holzwürmern in dem antiken schrank ist grandios. die morde sind nur noch die folge anderer morde … er ballert nicht ohne sinn und verstand in der gegend rum. sexy fand ich ripley sicher noch nie, noch nicht mal *besonders* interessant … interessant ist immer die highsmith hinter ripley. ihr ton. ihre lust, jeden charakter an die wand zu fahren. damit kann ich sehr viel anfangen.

  9. Zunächst mal zu Brecht – das Beispiel kam mir nur wegen des Themas „Identifikation“, man kann ihn durch jeden anderen Autor ersetzen, den man „gelesen haben muss“.

    Was ist falsch an Identifikationsfiguren? Ich kann es mir nur mit der alten deutschen Tradition erklären, dass alles, was mit Emotionen zu tun hat – egal, ob Film, Musik oder eben Literatur – sofort von U bis trivial eingeordnet wird. Was Spaß machen könnte, noch dazu dem normalen, nicht-intellektuellen Volk, ist eben bäh. Ein solcher Krimi kann einfach keine Literatur sein. Dann kann man sich so schön von der Masse unterscheiden. Kann so schön auf die bösen Verlage schimpfen, die nur Schund produzieren.
    Noch mal: es ist kein Qualitätskriterium, wenn dem Leser die Identifikation verstellt wird. Ich gehe sogar noch weiter und sage, in den meisten Fällen wird dem Leser die Identifikation verstellt, weil der Autor nicht in der Lage ist, auf hohem Niveau über Emotionen zu schreiben und diese auch im Leser zu erzeugen. Aber genau das gehört zum guten Handwerk.

    @anobella: Liest Du wirklich jedes Buch mit dem Autor etc. im Hinterkopf? Kannst Du Dich nicht einfach auf die Geschichte einlassen und ihre Figuren? Ich lese Bücher nicht, um die Kunst des Autors zu studieren. Ich schreibe auch nicht, damit Leser das tun. Ich lese Bücher wegen ihrer Geschichte und ihrer Figuren und es ist wichtig, dass sie mich berühren. Und genau das ist mir beim Schreiben wichtig.

  10. Liebe Sylvia, irgendwie reden wir aneinander vorbei. Ich lese nicht jedes Buch mit dem Autor im Hinterkopf, nein; und ja, ich kann mich auf Geschichten und ihre Figuren einlassen. Beim Lesen und beim Schreiben.
    Und jetzt?

  11. Gut, hier treffen jetzt natürlich zwei kontroverse Ansätze von „Was ist und was soll Literatur?“ aufeinander; schön so. Zunächst zu Brecht. Ich habe ihn gelesen, als ich mich in die Literatur hineingetastet habe. Und er hat mich nicht „berührt“. Berührt hat mich dagegen Heinrich Bölls „Ansichten eines Clowns“. Mit der Figur des Hans Schnier konnte ich mich „identifizieren“, das heißt: Er war eine Projektionsfläche, ein Spiegel, in den ich hineinsehen konnte und aus dem es auf mich zurück sah. Inzwischen halte ich das Buch für einen großen, verlogenen Schmarren. Und Brecht für jemanden, über den man auch noch in hundert Jahren herrlich diskutieren kann und wird, gerade weil er so herrlich unintellektuell zu lesen ist.
    Sich mit einer Person zu identifizieren ist in einem bestimmten Alter, einer bestimmten Lebenssituation wichtig, vielleicht sogar therapeutisch. Ich habe später sehr ausgiebig Arno Schmidt gelesen, und man sagt nicht ohne Grund, die Faszination für Schmidt entspringe hauptsächlich seinen Ich-Erzählern, mit denen sich Leser auf komplexe Weise „identifizierten“. Es gibt ganze Bücher, die sich speziell oder vorwiegend diesem Phänomen widmen. Nun sind aber die Ichs bei Schmidt keineswegs „sympathisch“ im landläufigen Sinn. Und genau das ist der springende Punkt. In der Trivialliteratur bedeutet Identifikation so viel wie Sympathie empfinden. Als Massenmedium legt es die TL natürlich darauf an, dass möglichst viele LeserInnen diese Sympathie / Identifikationsmöglichkeit entdecken. Folgerichtig benutzt sie Klischees. Das reicht von der netten, aber vom Schicksal gebeutelten Krankenschwester über den zuerst bösen, dann aber paulusierten Saulus bis zum makellosen Superhelden. Alles Emotionsbomben. Nehmen wir dagegen – es ist halt mein Lieblingsbeispiel – den widerwärtigen Kinderschänder Humbert Humbert aus Nabokovs „Lolita“. Identifiziert sich jemand mit ihm? Ja, ICH! Nicht weil ich selber kinderschänderische Ambitionen hege, sondern weil er mich auf der eigentlichen Ebene des Textes, der, die aus KUNST besteht, unendlich berührt. Gerade wegen der ungeheuren Ambivalenz. Ich möchte weder so sein wie H.H., noch glaube ich, ich sei H.H. Aber es gibt dort ein Grundmuster von Emotionen, das nichts mit „Sympathie“ zu tun hat, sondern mit Funktionsweisen der menschlichen Biografie, der Entwicklung, des Scheiterns. Und nichts, aber auch nichts ist daran kitschig. Und, ja, mir geht es dabei wie Anobella. Ich habe ständig den Autor im Hinterkopf. Er ist nämlich auch Humbert Humbert.
    Es geht nicht darum, „Identifikation zu verstellen“. Sie ist ein Lern-, ein Arbeitsprozess, ganz heikel und nur von den Lesern selbst zu leisten. Man kann ihm nicht die Fließbandemotionen zum Aufwärmen hinschmeißen. DAS ist schlechtes Handwerk.

    bye
    dpr

  12. Vielleicht sollte „identifzieren können“ durch „nachempfinden können/wollen“ ersetzt werden. Im Liebesroman muss die Heldin sicher sympathisch sein, um diese Bereitschaft auszulösen. Im Krimi kann die Hauptfigur auch ein abgefeimter Killer sein, dessen Gedankengängen der Leser ebenso aufgeregt folgt, wie den leidenschaftlichen Regungen von Isabell. Unsympathische Helden können aber leichtgewichtiger als sympathische sein. Der eine mit nem Psychodrama, der nächste Alkoholiker, Egomane oder hat einen flüchtenden Hund erschossen. Faktische Dramen, an denen geknabbert wird und die sich in schmutzigen Gedanken und Umgangsformen ausdrücken, während sich der noch unbefleckte Sympath sein Waterloo in der Geschichte selbst erarbeiten muss. Oder auch nicht, real live. Keine Ahnung, ob Ripley sympathisch, unsympathisch, oder allopathisch ist. „Funktioniert“ in die eine oder andere Richtung hat er nie – ein völlig unglaubwürdiger Mensch: keine Romanfigur. By the way: Ketil Björnstadt ist noch klüger als ich dachte, weil er die „5 Todsünden“ zur Hälfte in seinen Büchern hat, zur anderen nicht.

  13. Geht das wieder los … wenn Ripley nicht als Romanfigur funktioniert, wieso wird Highsmith dann in der Hauptsache mit Ripley zusammengedacht? Klar funktioniert er. Was bei Highsmith ständig nicht funktioniert, ist der Plot. Auch bei den Ripleyromanen nicht. Das macht sie auch durchaus nicht charmanter oder liebenswerter; sie sind einfach nicht gut geplottet.

    Aber was ist ein „glaubwürdiger Mensch“?

    Bei guten Büchern denkt man den Autor automatisch mit. Bei Null-acht-fünfzehn-Geschichten mit „Fließbandemotionen zum Aufwärmen“ natürlich nicht. Braucht man aber eigentlich auch nicht zu lesen.

    *hört das „Blaue Sofa“ von der Leipziger Buchmesse auf dem Deutschlandradio-Livestream

  14. mit ‚vage‘ jonglieren und die Balance halten. Wer kennt sich denn schon selbst ? Könnte auch alles ich sein – oder so. Dann bleibt es in der Spannungsspirale. Für mich –

  15. noch einmal Ripley (ich habe das als Kompliment gemeint): Wenn die Plots besser wären, wären vielleicht die Bücher schlechter. Eine Geschichte unbedingt logisch zu Ende führen, kann ja viel Kraft kosten und abirren von dem, was wirklich gewollt war. So auch die Beschreibung der Außenwelt. Warum lässt Highsmith „Ripley´s Game“ zum Teil in Hamburg spielen, die Stadt aber nur in sparsamen Kulissen aufleuchten? Sie schreibt anscheinend nur über das, was sie interessiert. Z.B ein paar dunkle große Häuser auf dem Weg vom Flughafen. Mehr braucht man nicht von Hamburg.

  16. Jetzt habe ich ein Buch gelesen, dass vier und halb Deiner Todsünden erfüllt (Antipathie für die Helden kommt so wenig auf wie echte Sympathie). Will man es gerecht bewerten, braucht es viel Kopfarbeit, mein Herz spricht das Buch nicht an (und ich bin sicher relativ hart im Nehmen, David Peace schreibt ja auch keine Schmusebücher, aber sein Tokyo Year Zero überzeugt, so dass ich es auch mit dem Herzen vertreten kann).

    So gesehen ist es sehr gut, vielleicht sogar eines des besten Bücher des Jahrzehnts und so mag dann Morag Joss auch den Edgar gewinnen (und ich tät nicht mal meckern), aber ganz ehrlich: Zum Nutzen und Frommen des Genres wär’s nicht und das erste mal verstehe ich von ganzen Herzen (!), das ein Verleger so ein gutes Buch nicht verlegt (in Deutschland ist’s nicht erschienen).

  17. Muss man sich also notieren, den Titel. Ob ein Text unser Herz anspricht, hat natürlich auch damit was zu tun, in welcher Sprache das geschieht. Das Herz sollte sie schon verstehen. Muss also Fremdsprachen lernen. Die kann es aber nur lernen, wenn es entsprechende Literatur gibt. Wenn die von den Verlagen nicht angeboten wird, bleiben Herzen auf ewig einsprachig. Ist doch schade, oder?

    bye
    dpr

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert