Thomas Marx‘ Inselplatten

Seit Wochen finden nachts in meiner Plattensammlung Kämpfe statt. Und ich höre die Vinylen „Nein. Ich bin besser!“ und die Silberlinger „Hau ab, Naßabgespielter!“ geifern. Ganz klar: Mobbing unter den Tonträgern, um in die Insel Top Ten zu kommen. Das hat ziemlich genervt. Den Vinylen kann man ja noch drohen, wie zum Beispiel: „Ruhe, oder ich kauf‘ dich auf CD!“. Aber die Silberlinger sind sich natürlich ihrer Vormachtstellung bewußt und ich wollte sie auch nicht bevorzugen, weil mich die Vinylen schon ein Leben lang begleiten und irgendwie mehr Charakter haben.
Also, hier sei offen gesagt: Ich liebe Euch alle!

Ach so, äh, also … ich bitte Pop Warner um Nachsicht bei meiner Insel Top Ten.

  1. Elvis Presley: From Elvis In Memphis
    Die LP „From Elvis In Memphis“ (1969) bildet zusammen mit den beiden LP´s „The ’68 Comeback Special“ (1968) und „In Person/Back In Memphis“ (1970) meiner Meinung nach den Höhepunkt in der Karriere Elvis Presleys.
    Nach endlosen Verträgen mit Filmstudios (und den größtenteils beschissenen Soundtrackalben) und 8 Jahren Bühnenabstinenz meldete sich Mr. Presley im Mai 1969 mit dieser furiosen LP im Musikbusiness zurück.
    Sicherlich sind die Aufnahmen Presleys zu Beginn seiner Karriere in den Sun-Studios und während der frühen RCA Zeit unerreicht, aber die Aufnahmesessions in den American Sound Studios im Januar und Februar 1969 waren, im Gegensatz zu den Anfangserfolgen, die aus einem „inneren Trieb“ heraus „passierten“, so gewollt und bewußt „Anti-Mainstream“ produziert. Die Hitsingle war „In The Ghetto“ und bildete eher eine Ausnahme auf der ansonsten Rhythm’n’Blues orientierten Scheibe.
    Natürlich war die „Are You Lonesome Tonight“-Fraktion der Elvis-Fan-Liga nicht so begeistert vom plötzlichen „Back To The Roots“-Gedanken Presleys. Elvis jedoch nutzte die Chance, die ihm der Erfolg mit dem „’68 Special“ bot, setzte sich gegen seinen allmächtigen Manager durch und nahm die Platte seines Lebens auf.
  2. Pink Floyd: The Wall
    „Goodbye cruel world, I’m leavin‘ you today, goodbye, goodbye, goodbye.“
    Der Soundtrack zur Pubertät. Die Platte verfolgt mich bis zum heutigen Tag und ich komme einfach nicht von ihr los. Das heißt, entweder dauert meine Pubertät noch an oder irgendwie ist doch mehr an „The Wall“ dran, als man beim erste Hören feststellt. Immer noch will ich Pink helfen, immer noch ziehen mich die Texte magisch an und immer noch berührt mich der Schrei des Babys nach „In the flesh?“!
    „The Wall“ war die erste Platte (natürlich abgesehen von meinen Elvis-Platten!), deren Text ich von vorne bis hinten auswendig mitsingen konnte.
    Was soll ich sagen? Ein Werk für die Ewigkeit.
    „Is there anybody out there?“
    PS: Hier sei noch angemerkt, daß ich ein großer Verfechter der „A Momentary Lapse Of Reason“ LP bin!
  3. U2: Achtung Baby
    Die perfekte Verschmelzung von „Rock“ und „Elektronischer Musik“. Bono’s Vox und The Edge’s Gitarre sind das Liebespaar der Neunziger. Das Album war für die Band ein gewagter Schritt aber auch der Grundstein für die Experimente auf den Nachfolgeplatten „Zooropa“ und „Passengers“. Bono’s Texte sind sowieso der Maßstab, den man heute anlegen muß, wenn man Texte in der Pop/Rockmusik beurteilen will, melodisch wie auch inhaltlich.
    Ich gehe davon aus, daß einem Songs wie „Love Is Blindness“ oder „Who’s Gonna Ride Your Wild Horses“ noch im ausgehenden 21. Jahrhundert die Nackenhaare zu Berge stehen lassen.
  4. Alice Cooper: Killer
    Mit diesem Album hat Mr. Furnier bewiesen, daß er immer für einen Spaß zu haben ist. Das extravagante Aufklapp-Cover mit dem erhängten Alice über einem Jahres-Kalender von 1971, die Songs, die Live-Show der Band und natürlich die fiktive Person „Alice Cooper“ bildeten eine Einheit, die man vorher wohl in dieser Art und Weise noch nicht gekannt hat.
    Zum Ausklang der Hippie-Zeit gibt Alice seine Songs „Dead Babies“ und „Killer“ zum besten. Neben der ultimativen 70er-Rockhymne „Under My Wheels“ und dem unvergänglichen „Be My Lover“ findet man auch den Song „Desperado“ (ein Tribute-Song für Alices Saufkumpan Jim Morrisson, der im Juli des selben Jahres (1971) im fernen Paris in einer Badewanne seinem Leben „The End“ gesetzt hat) auf dem Album.
  5. Glompus Van De Hloedt: Tales From The Crypt
    Die Geschichte von den Zombies, die eine Gewerkschaft gründen obwohl sie ja bekanntlicherweise kein Gehirn haben, das aber dadurch wettmachen, indem sie die Mumien überreden mitzumachen, ist noch das normalste, was bei dieser Sprech-LP (Hörspiel) geschieht. Da wird einem jungen Mann bei lebendigem Leib das Herz herausgerissen, weil man ihn mit einer Artischocke verwechselt, eine Frau wird in ihrem Badezimmer von einem Zug überrollt und das alles nur, weil der belgische Professor des Paranormalen Glompus Van De Hloedt seine Laufbahn als Geistersucher aufgegeben hat und Taxifahrer wurde. Wird der „Bishop Of Darkness“ diesmal gewinnen? Wird Van De Hloedt seine Taxifirma aufgeben? Wird seine Assistentin Sandy Cheeseburger jemals wieder das Licht der Sonne sehen? Der Soundtrack und die Backgroundmusik stammen übrigens von den brillanten Stargazers!
  6. The Sisters Of Mercy: Floodland
    Leider Gottes das Hitalbum der Sisters, was natürlich zur Folge hat, daß der beliebte Satz: „Zu kommerziell, die waren früher besser“ oft zu hören ist und gerne herausposaunt wird. Fakt ist, daß die Sisters früher größtenteils langweiliger waren, mal abgesehen von „Temple Of Love“ (Maxi-Single B-Seite übrigens „Gimme Shelter“ von den Rolling Stones, sehr zu empfehlen!) und begrenzt der „First And Last And Always“ LP.
    Auf „Floodland“ hat Eldritch Höhepunkt an Höhepunkt gereiht. Unverschämt genial interpretiert ist „1959“. „Torch“ und „Colors“ (nur auf der CD als Bonustracks) sind unübertroffen düster. Ganz abzusehen von den Hitsingles „This Corrosion“, „Dominion“ und „Lucretia My Reflection“.
  7. Sinéad O’Connor: Universal Mother
    Intimate. Eins der persönlichsten und ergreifendsten Alben überhaupt. Very special.
    Beim Hören der Platte hat man Angst, man könnte Sinéad stören. Ein Werk voller Liebe und ängstlicher Erwartung, voller Zerbrechlichkeit und voller unvergeßlicher Momente. Nachdem ich die Platte gekauft hatte, habe ich mich Zuhause hingesetzt, den Kopfhörer angezogen und die ganze LP ohne Unterbrechung durchgehört. Keinesfalls eine einfache Aufnahme, die man nebenbei anhören kann. Zu den einprägsamsten Augenblicken meiner Erfahrungen mit Musik gehört sicherlich das Konzert von Sinéad O’Connor im Sommer 1997 in Mainz. Absolut nicht von dieser Welt. Ohne Sinéad, keine Insel!
  8. Morrissey: Viva Hate
    Dieses Album beinhaltet den Gitarren-Popsong schlechthin: „Suedehead“. Besser geht’s nimmer. Ja, ich weiß: „Morrissey war nur bei den Schmitts gut“ und „Johnny Marr ist sowieso der bessere“ usw.. Alles Fuppes! „Everyday Is Like Sunday“: Ultracool, wie man heutzutage zu sagen pflegt. „Margaret On The Guillotine“: Sehr gewagt und doch irgendwie sehr spaßig. Kann sich irgend jemand vorstellen, daß Herbert Grönemeyer ein Lied mit dem Titel „Helmut auf dem Schafott“ aufnimmt?
    Von diesem Sound und der Produktion zehren heute noch Gallagher und Co. Das war noch Brit-Pop!
    Ach, übrigens: Hat jemand eine Ahnung was der Titel „Alsatian Cousin“ bedeutet? Cousin aus dem Elsaß?
  9. Helge Schneider: Es gibt Reis, Baby
    Ohne dieses Meisterwerk geht’s natürlich auch nicht. „Schüttel Dein Haar für mich!“
  10. Depeche Mode: Music For The Masses
    Meine erste Depeche Mode CD für den damals unglaublichen Preis von 39,95 DM und mein erstes Live Konzert (inklusive anschließender Behandlung wegen eines Hörsturzes).
    „Musik für die Massen“, Lautsprecher als immer wiederkehrende Symbole, schwarzweißrote Flaggen auf der Live-Bühne, einen Song namens „Pimpf“ und eine CD im Monumentalsound, das war natürlich ein gefundenes Fressen für die Presse. Als BRAVO und PopRocky damals die Tour zu dieser LP wegen nationalsozialistischer Tendenzen als bedenklich einstuften, brachte das natürlich ein großes „Hallo“ im deutschen Blätterwald und einen Promotionschub unüberschaubaren Ausmaßes.
    Musikalisch stark weiterentwickelt gegenüber der „Black Celebration“ und das erste Depeche Mode Album mit Gitarre, die an Martin L. Gore zugegebenermaßen echt albern aussieht. Textlich ein eher stärkeres Werk von Depeche Mode, weil die Heulsusenphase von Mr. Gore damals wohl noch nicht so sehr ausgeprägt war. Glücklicherweise mußte die neue LP „ULTRA“ auch nicht so sehr darunter leiden.

Was ich noch erwähnen wollte: Um den 10. Platz stritten sich unter anderem: Peter Gabriel mit „US“, Willy De Ville mit „Live At The Olympia“, Dieter Thomas Kuhn mit „Mein Leben für die Musik“, Bryan Ferry „These Foolish Things“ und der Soundtrack „Flash Fearless Vs. The Zorg Women, Parts 5 & 6“, aber es sind eben nur Top Ten und nicht Top Fourteen oder Top Sixteen oder Top …