Kettenreaktionen

Die Affäre Semmeling, ZDF
Vielleicht hat die „Affäre Semmeling“ ja auch ihr Gutes: fast sechs Millionen Fernsehgucker sitzen jetzt zu Hause und denken „Das kann ich auch.“ So holzschnittartig, klischee-überladen und konstruiert wirkte die Story, dass auch Otto Normalzuschauer das Gefühl bekommt, einen TV-Sechsteiler aus dem Ärmel schütteln zu können. Virtuosität ist nicht gefragt, ungelenke Flickschusterei reicht schon. So könnte Dieter Wedel zur Punkbewegung in der Geschichte des Fernsehspiels werden.

Die Idee klang gut: die Tücken des deutschen Steuerrechts, verknüpft mit dem privaten Schicksal eines alternden Ehepaars, verzahnt mit der beruflichen Karriere ihres Sohnes, gekreuzt mit dem Intrigenstadl im Hamburger Rathaus und und und. Wie ein Kaleidoskop fächerte Wedel Kettenreaktionen und Feedbacks auf. Verwirrend und stressig anzuschauen. Und leider allzu vorhersehbar.

In den Hauptrollen: das bekannte Wedel-Ensemble. Hoenig, Adorf und Co. Schade, dass der Mann, der Oliver Hasenfratz berühmt gemacht hat, kein Risiko mit neuen Namen einging. Und schade, dass statt Heike Makatsch keine Schauspielerin engagiert wurde.

Sicher, es gibt schlechtere Fernseh-Unterhaltung als die „Affäre Semmeling“. Aber für einen Wedel kann das keine Entschuldigung sein. Gepackt und überrascht haben die Semmelings wohl die wenigsten Zuschauer, die immer dramatischeren Überschlagungen gegen Ende konnten dafür nicht entschädigen.

Am ärgerlichsten aber ist, dass Wedel die Chancen, die sein Stoff bot, nicht nutzte. Seine Politiker waren solche ohne Visionen und innere Konflikte, stets nur um Schadensbegrenzung im Skandalsumpf bemüht. Ein Mario Adorf als deus ex machina, der richtete, was das Drehbuch nicht motivieren konnte. Und ein naives Fast-Rentner-Pärchen, das aus Schaden nicht klug werden durfte, weil die „Affäre Semmeling“ sonst nur zwei Folgen gedauert hätte. Spannender wäre gewesen, zu verfolgen, wie sorgfältige und umsichtige Steuerzahler im Regeldickicht gestolpert wären.

Wenn die Semmelings streckenweise Spaß machten, dann war das vor allem einem Mann zu verdanken: Robert Atzorn. Nordisch kühl gab er den unter Hochspannung stehenden Noch-Bürgermeister, abstoßend und sympathisch zugleich. Erst gegen Ende durfte er wieder mitmischen. Als entspanntes Gegengewicht zum nun ums Überleben strampelnden Amtsnachfolger.