Jeffrey Ford: The Girl in the Glass

(Dieses ist die fünfte und letzte Besprechung eines der diesjährigen Kandidaten für den Edgar, Kategorie „Bestes Taschenbuch“.)

Thomas Schell ist ein „Con Man“, ein fingerfertiger und technisch versierter Betrüger, der, zusammen mit Diego, seinem mexikanischen „Sohn“, den er einst von den Strassen New Yorks auflas, für reiche Männer New Yorks in aufwändig inszenierten Séancen deren verstorbene Anverwandte erscheinen lässt. Während Amerika 1932 in der großen Depression versinkt, die Prohibition in den letzten Zügen liegt und die erste Wahl Franklin D. Roosevelts ansteht, gelingt es Schell so ein gedeihliches Auskommen zu haben.

Eines Tages jedoch, während eines „Einsatzes“, sieht er das Gesicht eines kleinen Mädchens in einer Fensterscheibe. Als er am nächsten Tag aus der Zeitung erfährt, dass dieses Mädchen entführt worden ist, bietet er den Eltern seine Dienste als „Medium“ an, um es aufzufinden.

Diese Suche wird von dem 17 jährigen Diego geschildert. Er ist ein junger Mann von großem Talent, der während der großen mexikanischen Einwandererströme der 20er Jahre in die USA gekommen ist. In seiner begabten, zurückhaltenden Art erinnert er an T. Jefferson Parkers „Joe“ oder an Jonathan Lethems „Lionel Essrog“. In den drei Tagen, die es dauert das Rätsel zu lösen, lernt und erduldet er mehr, als er vorab erahnte. Und als Schell entführt wird, ist er dann plötzlich der Boss, der seinen Mentor retten muss.

Schell selber ist ein interessanter Mann, der als gebildet, erfahren und intelligent geschildert wird. Seine Fähigkeiten und die Bekannten aus dem Zirkusmilieu geben dem Buch eine angenehme Leichtigkeit. Es ist die Hilfe dieser eigenwilligen und skurrilen Menschen, die über außergewöhnliche körperliche Eigenschaften und Fertigkeiten verfügen, die Diego im Show-down in Anspruch nimmt, um seinen Vater zu befreien.

Die Geschichte wird von Ford in einer geradezu üppigen Prosa erzählt. Nicht dass er Geschehnisse auswalzt, aber seine Sprache hat Fleisch und Substanz und enthält Metaphern und Anspielungen, die zu manchem Zwiegespräch der Gegenwart mit den Altvorderen führen. Wer sein alleiniges Heil in der sprachlichen Reduktion eines James Ellroy, George P. Pelecanos, Dashiell Hammett oder Norbert Horst sucht, wird bei Ford „leiden“.

„The Girl in the Glass“ ist aber nicht nur voller „schöngeistiger“ Anspielungen, sondern lässt sich auch als soziopolitische Parabel lesen. Sei es, z.B. die (damals wie heute schwierige) Situation der Mexikaner, der weiße Rassismus (der mit ersterer ja verknüpft ist) oder die unreflektierte Pseudowissenschaftsgläubigkeit, von der viele Scharlatane noch heute profitieren. Manches Thema, so scheint es, bleibt lange aktuell.

„The Girl in the Glass“ ist also unbedingt empfehlenswert. Es ist ein vielschichtiges, facettenreiches und kultiviertes Buch, welches ein Repertoire von beeindruckenden Personen bereithält und, was ja nicht ganz selbstverständlich ist, auch als spannender Krimi überzeugt.

Wenn man die fünf Büchern, die 2006 für die Kategorie „Bestes Taschenbuch“ des Edgar nominiert waren, abschließend beurteilt, dann kann man feststellen, dass keines dieser Bücher den Leser enttäuscht. Dennoch, zwei Bücher ragten aus der Menge heraus. Während Charlie Hustons „SixBadThings“ als unterhaltsame Road-Burleske daher kommt, Allen Guthries „Kiss her Goodbye“ als inniger „Tartan noir“ unterhält und Anne Argulas „Homicide my Own“ das Tänzchen mit dem Übersinnlichen wagt, allesamt also Unterhaltung auf hohen Niveau bieten, können Reed Farrel Colemans „The James Deans“ und eben „The Girl in the Glass“ mit dem entscheidenden Mehrwert aufwarten. „The James Deans“ werden insbesondere Leser klassischer US-Krimi als moderne Variante schätzen, während „The Girl in the Glass“ ein Buch für den krimilesenden Freund gediegener Literatur ist.

So überrascht es dann auch nicht, dass „The James Deans“ bei mehreren anderen amerikanischen Preisen in der „Taschenbuch-Kategorie“ gewann, während „The Girl in the Glass“, so weit ich weiß, keine weitere Nominierung vorweisen kann. So scheint es dann auch gerecht, dass Jeffrey Ford „wenigstens“ den Edgar gewann.

Jeffrey Ford: The Girl in the Glass. 
Dark Alley 2005. 286 Seiten. € 12,50
(noch keine deutsche Übersetzung)

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