Das Geheimnis der malaiischen Nacktschnecke

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Der Tote lag auf dem Wohnzimmerteppich. Er war handgeknüpft beziehungsweise mausetot, war am Vortag mit einer Schaumlösung gereinigt worden beziehungsweise hatte Schaum vor dem Mund. Der Tote – der Teppich, der Teppich – der Tote: Madeleine Lustig konnte sich nicht entscheiden, was sie im Moment mehr faszinierte.

Neben dem Toten kniete Doktor Schleunig, der Pathologe, und schüttelte bedenklich das weißhaarige Haupt. Als er die Anwesenheit der Kommissarin bemerkte, richtete er sich auf, das Haupt schüttelte sich weiter.

„Tot“, sagte er, „mausetot“. Die Lustig nickte. „Weiß man schon, um wen es sich bei dem Toten handelt und wie er in diese Situation geraten konnte?“ Schleunigs Haupt erstarrte in der Bewegung. „Nun – ersteres ist leicht zu beantworten. Bei dem Toten handelt es sich um den Fabrikanten Willebord Nebbich, stellt Sandeimer für Strandurlauber her. Die nunmehrige Witwe sitzt nebenan, ich habe ihr ein Beruhigungsmittel gespritzt. Kaum schwieriger ist die Frage nach den Umständen des Zutodekommens zu beantworten. Sehen Sie mal hier…“

Schleunig kniete sich wieder neben der Leiche nieder und entnahm deren Mundhöhle mit Hilfe eines Wattestäbchens ein wenig von dem Schaum. Er richtete sich auf, trug das Stäbchen wie eine Fackel vor sich her und hielt es der Kommissarin ganz nah an die Nase.

„Riechen Sie. Riechen Sie was?“ Madeleine Lustig roch. Aber sie roch nichts. „Ich rieche nichts.“, antwortete sie. „Das ist typisch“, bestätigte Schleunig. „Hätte ich nicht vor fünfzig Jahren, als ich noch mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst in Südostasien war, einen ähnlichen Fall gehabt, ich würde weiterhin im Dunkeln tappen. Also passen Sie auf: Bei diesem Schaum handelt es sich um den Schleim der malaiischen Nacktschnecke. Injiziert man 20 Milligramm dieses Schleims einem Menschen subkutan, also unter die Haut, wie der Laie sagt, dann entwickelt dieser verflixte Schleim die unangenehme Eigenart, in den Magen des Wirtsmenschen zu wandern, sich dort ungehemmt zu vermehren, durch die Speiseröhre nach oben zu steigen, dort durch die Öffnung der Luftröhre wieder nach unten. Kurzum: Erstickungstod.“

„Wirklich eklig“, sagte die Kommissarin. Schleunig nickte und betrachtete das Wattestäbchen mit der Andacht des abgebrühten Naturwissenschaftlers.

***

Miranda Nebbich saß, wie es der Pathologe versprochen hatte, schwer sediert in der Küche und starrte auf die Tischplatte. Sie war schön. Sie war exotisch, ihre Haut so braun wie die Bodenfliesen. Ihr zur Seite hockte ein gutaussehender Mann, circa 30, der seinen Arm beschützend um die Schultern der Witwe gelegt hatte. Die Witwe war jung. Sehr jung. Viel jünger als ihr verblichener Mann.

„Lustig“, sagte die Lustig und verfluchte, wie schon so oft, im gleichen Augenblick ihren Familiennamen. Der Mann nahm den Arm von Miranda Nebbichs Schultern und stand auf. „Hartwig. Bruno Hartwig. Ich bin der Vizepräsident von Nebbich Sandeimer Enterprises. Und ein Freund des Hauses. Miranda – Frau Nebbich hat mich angerufen. Wir sind so… fassungslos. Haben Sie schon eine Erklärung? Eine Spur?“ Er sank zurück auf seinen Stuhl und legte den Arm wieder um die zitternden Schultern Mirandas, die weiterhin wie in Trance auf die Tischplatte starrte.

„Nein“, antwortete die Kommissarin wahrheitsgemäß. „Frau Nebbich? Sind Sie ansprechbar?“ – Die Angesprochene nickte unmerklich und hob dann ihren Kopf, dessen Augen durch die Kommissarin hindurch sahen. „Ja“, hauchte sie schließlich.

„Sie haben den Toten gefunden?“

Wieder nickte Miranda Nebbich, diesmal merklicher, und sagte mit kaum hörbarer Stimme: „Er lag …. der Schaum vor seinem Mund …. schrecklich.“

„Quälen Sie sie nicht!“ fuhr Hartwig plötzlich brüsk auf. „Sehen Sie nicht, dass sie unter Schock steht?“

„Ich mache nur meine Arbeit“, antwortete die Lustig, der Hartwig sehr unsympathisch war. „Können Sie mir vielleicht ein Motiv für die Tat nennen? Hatte der Tote Feinde? Und – woher stammen Sie eigentlich, Frau Nebbich? Nicht zufällig aus Malaysia?“

Die Angesprochene blickte wieder durch die Kommissarin hindurch. Dann lächelte sie. Unmerklich.

„Nein, wie kommen Sie darauf? Ich stamme aus Indonesien. Vor zehn Jahren kam ich nach Deutschland. Als Tänzerin. Und weil Sie es sowieso erfahren werden: als Nackttänzerin. Man nannte mich auch ‚die indonesische Schnecke’. Eines Abends kam Willibrord in die Bar, in der ich damals arbeitete und – nun ja, drei Wochen später waren wir verheiratet.“ Sie brach ab und begann zu schluchzen.

„Und Sie, Herr Hartwig? Wo haben Sie Ihren letzten Urlaub verbracht? In Malaysia etwa?“

Hartwig wurde zornesrot im Gesicht und fuhr auf. „Was haben Sie bloß immer mit Malaysia? Nein, in Singapur! Ich werde mich bei Ihrem Vorgesetzten beschweren! Finden Sie lieber…“

Ein lauter Wortwechsel aus dem Flur brachte ihn zum Schweigen. Fluchend stürzte ein älterer, sehr korpulenter Mann in die Küche, von einem Streifenpolizisten gefolgt, dem es indes nicht gelang, den Mann zu stoppen.

„Miranda! Hartwig! Ist es wahr? Willibrord tot? Und wer sind SIE, bitteschön?“

„Lustig, Mordkommission. Die Fragen stelle ich hier. Wer sind Sie, wie heißen Sie, was wollen Sie und wo waren Sie dieses Jahr in Urlaub?“

Verblüfft schaute der Dicke auf den Geschirrspüler hinter der Lustig. Er brauchte einige Sekunden, bis er sich gefangen hatte.

„Also. Ich bin Ferdinand Stark, Buchhalter von Nebbich Sandeimer Enterprises und ältester Freund des Inhabers, meines ermordeten Chefs. Ich habe dieses Jahr eine Rundreise durch Mittelamerika gemacht, also Honduras, Venezuela, Costa Rica und so weiter, und wenn Sie einen Mörder brauchen, dann verhaften Sie doch diese beiden da“ – er wies auf die noch immer am Küchentisch sitzenden Miranda Nebbich und Bruno Hartwig – „Pfeifen doch die Spatzen von den Dächern, dass sie ein Verhältnis haben und ihnen der Tod Willibrords sehr gelegen kommt!“

„Du – du – du“. Hartwig sprang auf, die Hände ausgestreckt, die Finger gespreizt, sich dem Halse des Buchhalters ungestüm nähernd. Madeleine Lustig trat dazwischen, Hartwig stoppte abrupt und schrie: „Der da! Dieses Arschloch! Fragen Sie ihn doch mal nach den Differenzen in seiner Buchhaltung! Fragen Sie ihn nach seinem Nummernkonto in Liechtenstein! Der Chef war ihm auf die Schliche gekommen und wollte die Polizei informieren!“

„Blödsinn!“ schrie Stark zurück, „Er wollte sich scheiden lassen, Miranda enterben und diesen hirnlosen Hengst entlassen! Deshalb musste er sterben! Verhaften Sie ihn! Verhaften Sie diese Schlampe gleich mit!“

Madeleine Stark hob die Arme.

„Ruhe jetzt! Wen ich verhafte, das ist meine Sache. Aber gute Idee. Der Täter hat sich nämlich längst verraten! Wachtmeister, legen Sie DIESER Person bitte Handschellen an!“

— Wen hat Madeleine Lustig verhaftet? Und was verriet den Mörder respektive die Mörderin? — Die Auflösung gibt es morgen! Bis dahin haben Sie die Gelegenheit, Ihre Theorien hier zu entwickeln!

Dale Patrick Rutherford

22 Gedanken zu „Das Geheimnis der malaiischen Nacktschnecke“

  1. Es war der Liebhaber. Es sind immer die Liebhaber, aufgestachelt von ihren Liebsten. Außerdem ist Singapur und Malaysia fast dasselbe, nur durch eine Brücke getrennt.

    * Nacktschnecke, puhaha!

  2. Wusst‘ ich’s doch. Dann nehme ich… äh… die anderen. Die haben sich nur verstellt. Mist, fällt mir kein Indiz ein. Ich hasse Ratekrimis!

  3. Lieber Dale,

    etwas Textarbeit möglich?

    Quote:
    „Schleunigs Haupt erstarrte in der Bewegung.“

    Ist klar, Dale. „Schleunig erstarrte.“ genügt.

    Liebe Grüße,

    Anobella
    *rät schlecht

  4. Mein liebes Fräulein, Sie lenken von eigenen Unzulänglichkeiten ab. Meine Kurz-Rate-Krimis tragen sämtlich das Gütesiegel des Ludger-Menke-Instituts für vorschriftsmäßigen Suspense nach Patricia Highsmith. Hätten Sie sich mal ebenfalls darum bemüht, bevor Sie mit Ihrer Anthologie auf den Markt gekommen sind!
    Nichts für ungut!

    Ihr
    D(ale) P(atrick) R(utherford)

  5. Es ist eher die Ehefrau mit ihrer unmerklichen Lächelei, oder? Und Giftmorde werden doch in der Regel von Frauen ausgeführt.
    LG
    barb
    *rät auch schlecht

  6. Ferdinand Stark, weil er sich gleich in die Ecke gedrängt fühlt, als man ihn nach seinem Urlaubsort fragt? (Wobei: Das zerpflückt dir JEDER Richter!)

  7. Außerdem hat er die Frage, was er denn wolle, nicht beantwortet und wir wissen ja, dass es die meisten Mörder zum Tatort zurück zieht.
    Andererseits ist da die Witwe, die NACKTtänzerin war und die NACKTschnecke, der Spitzname „SCHNECKE“,das tödliche Gift ist von einer NacktSCHNECKE … ziemlich viele Zufälle/Hinweise (?) …

    *ratlos ist
    **weitergrübelt

  8. Ben ist auf der richtigen Spur… etwas Genauer wäre natürlich gut. Falls das bis morgen keiner / keinem gelingt, kommt Ben zum Jahresende in den großen Lostopf für den AMOKLÄUFER, die formschöne, ja, coole Auszeichnung für den Krimirätselfreund!

    bye
    dpr

  9. Nun sind natürlich, lieber Georg, Malaysia und Indonesien auch beieinander liegend.

    Und welchen Sinn macht es, dass Miranda erst den Teppich schamponiert und dann der Kommissarin zu verstehen gibt, dass der Schaum des Gatten mit dessen Tod etwas zu tun hat.

    Beste Grüße

    bernd

  10. Aber die Begründung von Ben kommt der Sache bisher am nächsten… obwohl noch die alles verbindende Logik fehlt… na gut, du kommst auch in den Lostopf. Den AMOKLÄUFER kannst du ja dann neben den Kurzkrimi-GLAUSER stellen (den du aber erst NÄCHSTES JAHR gewinnst; dieses Jahr ist Frau G. an der Reihe).

    bye
    dpr

  11. Ben meint eventuell, dass einer, der behauptet, er habe eine Rundreise durch Venezuela, Honduras und Costa Rica gemacht hat, offensichtlich lügt, weil er von Tutten und Blasen keine Ahnung hat. Sonst müsste er nicht nur wissen, dass Venezuela nicht in Mittelamerika liegt, sondern dass da nicht rundgereist werden kann, wenn die genannten Staaten nicht einmal nebeneinander liegen. Das wäre ziemlich unrund. Ein Kreis mit Löchern quasi, wenn man es auf einer Karte einzeichnen müsste. Aber ich bin DAGEGEN! Madeleine Stark ist die Täterin. Wer sich so hinterrücks einschleicht, ist per se verdächtig. Und dass sie die Arme hebt, kann ja nur ein „Hände hoch“ – Reflex sein, ausgelöst durch das Wort „verhaften“. Das sind die reinen Schuldgefühle. Das Motiv: Sie wollte an die Liechtensteiner Konten, ihr Mann hatte aber ein schlechtes Gewissen und wollte alles seinem Chef beichten. Jetzt ist der Chef tot, Ferdinand Stark kann es nicht mehr beichten.

  12. Nein, nein, liebe Kollegin. „Madeleine Stark“ ist nichts weiter als ein Suspense, also ein Tippfehler, um es in der Fachsprache zu sagen. Ich hab ihn stehenlassen, um herauszufinden, was ein solcher Suspense (natürlich streng nach Frau Highsmith) für Assoziationen bei den LeserInnen auslöst. Madeleine Stark ist natürlich Madeleine Lustig, eigentlich. Aber du bist schon auf der richtigen Spur, irgendwie… Du bekommst auf jeden Fall den Ludger-Menke-Suspense-Bonus und bist damit im Rennen um die Patricia-Highsmith-Ehrenmedaille, die ebenfalls am Jahresende unter allen verlost wird, die sich von einem Tippfehler-Suspense beflügeln lassen.

    bye
    dpr

  13. Es ist die Kommissarin. Jemand, der sich schon so mit dem eigenen Namen verheddert, dass sie sich für die Verdächtige hält, ist selbst höchst verdächtig. Und jemand, der auf eine so hanebüchene Idee kommt, nach dem Urlaubsort zu fragen, zeigt nur, dass sie von sich ablenken will. Also.

    * will zumindest das Ehren-Glauserchen

  14. Mist. Auf den hatte ich es heimlich gerade abgesehen. Dann sind es vielleicht alle drei. A la „Murder in the Orient Express“. Weil er sie alle ruinieren wollte, haben sich alle zusammengetan.

    * hasst immer noch Ratekrimis
    ** weil er nie richtig rät
    *** außer bei Honorio Bustos Domecq

  15. ist doch ganz klar, es war selbstmord.. wieso sieht denn das keiner? mit so ner ehefrau will doch keiner zusammen leben. jedem koentne ich ein motiv andichten… diese beziehungskiste zwischen miranda und bruno ist schonmal in meinen augen prima. also nimmt man sich selbst ausm rennen. vermutlich war er dazu nicht mal in MY, sondern hat diese ekelige nacktschnecke, die uebrigens echt scheisse schmeckt, einfliegen lassen -_-
    doof nur, dass die tierchen ned den gleichen effekt wie blugegel haben… :>

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