Warum darf mein Schwager nicht die Bundesliga kommentieren? Weil dem nichts einfällt? Sätze wie „Das ist einer, der sein Herz in beide Hände nimmt und es dann in die Schuhe rutschen läßt“ sicher nicht. Mein Schwager ist schließlich noch bei Trost
Rechtzeitig zur EM 96 veröffentlichte die Edition Tiamat eine Sammlung von Abrechnungen mit all den semantischen und grammatikalischen Verbrechen, die an uns Fußballinteressierten nahezu täglich in Radio und Fernsehen begangen werden.
„Wieder keine Anspielstation“ ist auf erfreulich aktuellem Stand. Einige Artikel beziehen sich noch auf die Bundesligasaison 95/96, ein Beweis dafür, daß es sich hier nicht um eines dieser Abkoch/Schnellschuß-Produkte handelt.
Hier wird alles kommentiert was derzeit im Fußball-TV Namen und Stimme hat: Reinhold Beckmann, Johannes B. Kerner, Béla Réthy, Waldemar Hartmann, Rolf Töpperwien und Jörg Wontorra, die Doppeldecker BeckenbauerJauch, RubenbauerRummenigge, PoschmannFeldkamp, und meine ganz spezielle Horrorgestalt Werner Hansch:
„Nein, bitte nicht, Erbarmen, fleht meine innere Stimme, doch vergeblich. Werner Hansch. Der Schreckenskumpel für alle, die noch nicht gänzlich das Rad abhaben und bei dessen Kommentaren ich die Tauben beneide, denn sie wissen nicht, was Werner Hansch redet. Werner Hansch, für den die Sprache nur eine Knetmasse zur Formung von möglichst bizarrem Quark ist, ist bei der nun folgenden Spielzusammenfassung jedoch nicht das einzige Problem, das es unbeschadet zu überstehen gilt.“
Das zweite große Problem, das in diesem Buch angeprangert wird, hört auf den Namen Sat1, genauer: RAN. Ran als Symbol dafür, wie das banale Drumherum so aufgeblasen wird, daß die ehemals gloriose Fußballwelt zur schnöden Seifenoper verkommt.
Bei der Lektüre bekommt man das Gefühl, früher, ja früher da sei alles besser gewesen. Die gesamte junge Garde des New Soccer Journalism kriegt hier ihr Fett ab, aber bei altehrwürdigen Gestalten wie Ernst Huberty überkommt einige der Autoren doch ein wohlig-nostalgischer Schauer. Schnell wandelt sich das Nostalgische ins Anekdotische (…dann sagte Wim Thoelke zu ZDF-Intendant Holzamer…) Haha! Da fragt man sich schon ab und an mal, ob man noch im richtigen Buch ist.
„Wieder keine Anspielstation“ ist aber auch ein Konsens- und Kopfnickbuch (jaja, so ist´s). Wie ein Musikmagazin voll mit Verrissen von CDs, die man selbst längst für schlecht befunden hat: kurzweilig und unterhaltsam, aber wer brauchts. Ob man dafür DM28,00 ausgeben will…
P.S.: Immerhin verdanke ich diesem Buch folgendes, zu Herzen gehende Zitat aus Gerd Müllers Autobiographie: „Marmorkuchen, den ich sehr gerne esse, bäckt meine Frau, sooft ich Appetit darauf habe„.
Danke, Gerd!
Jürgen Roth/Klaus Bittermann (Hg.) Wieder keine Anspielstation Fußballexperten. Die Kommentare des Grauens (Edition Tiamat) 206 seiten, DM 28,00