Ein kryptisches Köln-Tagebuch von Kai, Carsten, Roland, Axel, Wolfgang, Walter und Nicole
Freitag, 16-8-1996:
Ordentliches Frühstück.
Erster Messetag. Erster Eindruck: die Messe scheint lauter geworden zu sein. Ein Eindruck, der sich nur zu bald zur Gewißheit ausweiten sollte. Come on bring the noize.
Wer als Aussteller etwas auf sich hält – und das nötige Kleingeld dafür hat – motzt seinen Stand gehörig auf. Busse, Boote, Lichtinstallationen oder Drachen mit Feueraugen. Meistvertretenes Motiv ist aber der Zaun: Holz oder Eisen, engmaschig oder nicht. Die Abgrenzung zur Konkurrenz ist allgegenwärtig.
„Only good fences make good neighbours“ (D.Frost)
11.55-12.05: Petra.
Diskussionsrunde im Konferenzsaal: Black Music in Deutschland. Auf dem Podium sitzen in erster Linie Plattenfirmenleute, vertreten sind sowohl Major-Companies als auch Independent-Labels. Zwischen beiden Lagern herrscht ein eigenartiger Konsens: Schweine-Business rules ok. Konsumenten, Kaufentscheidungen, die Ware Musik und der Breakthrough. Höhepunkt der traurigen Veranstaltung ist das Statement, mit der sich die in den USA lebende Black-Music-Managerin über die mangelnde Professionalität der amerikanischen Hip-Hop-Acts beschwert: Die Jungs kämen halt alle aus dem Ghetto, und da werde eben der Bruder oder der Nachbar zum Manager gemacht und der habe dann natürlich überhaupt keine Ahnung vom Geschäft.
Tja, liebe Label-Angestellten, wir bedauern zutiefst, daß Ihr Euch in Eurem Job mit solch amateurhaften Schlaffis rumärgern müßt, deren Deutschlandtour-Pläne an der Tatsache scheitern, daß sie Angst vor der deutschen Polizei haben oder nicht das zu essen finden, was sie gewohnt sind. Hauptsache ist doch, daß Ihr Ahnung vom Business habt und weiterhin in Diskussionsrunden einander die Eier schaukeln könnt. Wir haben Gott sei Dank ja noch die Musik.
Wie man eine richtig gute, d.h. informative und kurzweilige Diskussionsrunde organisiert und durchführt, zeigt der niederländische Verlag Music & Media. Der rockende Campus soll die Frage beantworten, wie es in Zukunft um die Hochschul-Radios in Deutschland aussehen wird. Antwort: typisch deutsch und typisch akademisch. Der Traum vom Transfer amerikanischer College-Radio-Verhältnisse auf die deutsche Funklandschaft scheint nicht realisierbar, Gesetzgebung und universitäre Strukturen lassen einen ähnlich lockeren und spannenden Campus-Rundfunk wie in den Staaten wohl nicht zu.
Kleiner Tip für alle Fernsehredakteure, die dies hier lesen (können die lesen?): Machgiel Bakker von Music & Media ist der kommende Talkshow-Gastgeber. Souverän, entspannt, intelligent und witzig. Schickt Willemsen endlich in die Wüste. Now!
Nachdem man die Preistafel des im Pressezentrums befindlichen Getränkebuffets und die hohen Zahlen darauf bewundert hat, bietet einem die Pressekonferenz der Einstürzenden Neubauten Gelegenheit, etwas gegen den Durst zu tun. Daniela schnappt mir zwar den letzten Prosecco vor der Nase weg, aber ein Glas Wasser, das nicht fünf Mark kostet, ist ja auch was Schönes.
Blixa Bargeld muß sich nach dem ersten Glas übrigens auch dreimal beschweren, ehe sein Vertrieb wieder mit neuem Alkohol anrückt. Dennoch ist er ziemlich locker und scheint gut gelaunt. Von der Optik her wirkt er so, als hätte er seit längerer Zeit kein Bett mehr gesehen, aber das tut der Stimmung keinen Abbruch. Gekonnt und charmant gibt uns der Mann im schwarzen Anzug den abgeklärten Künstler. Bargeld kennt das Business und macht kein Hehl daraus, was er davon hält. Dennoch schafft er es, das Spiel mitzuspielen und holt innerhalb dieses Rahmens wohl das Maximum an Offenheit und Ehrlichkeit heraus, das einem Künstler bleibt, der Musik mag und irgend etwas rüberbringen will.
Den CD-Rom-Extra-Track auf der neuen Neubauten-CD hat er noch nicht gesehen und Heike Makatsch kannte er auch nicht, bevor sie ihn für ihren Hausbesuch erkor. Gesehen habe er die Sendung zwar nicht, aber das sei kein Verlust, da man laut Aussage seiner Freunde die wirklich interessanten Gesprächsthemen rausgeschnitten habe, etwa die von Frau Makatsch angezettelte Diskussion über die Benennung der weiblichen Geschlechtsteile.
Der Sender VH1 stellt wirklich eine Bereicherung dar. Wo sonst kann man kostenlos zwischen vier Biersorten auswählen? Zu essen gibt es dort allerdings nix und das ist schade.
18.00-18.30: Petra (S-Bahn)
Kölner Bus- und S-Bahnfahrer fahren wie die Bekloppten und als die wirklich brennende Frage dieser Tage stellt sich die Schätzung des Alters der freundlichen Bedienung aus dem Imbiß in der Luxemburger Straße heraus. Das redaktionsinterne Spektrum reicht von 12 bis 22, aber fragen will dann auch keiner. Wär ja auch irgendwie peinlich.
Gegen Ende dieses Tages zeigt sich das richtige Rezept um die Popkomm aktiv zu überstehen: Der Wechsel von 1 Kaffee, 2 Bier, 1 Kaffee, 2 Bier, 1 Kaffee,….Von morgens um 11 bis 3 Uhr Nachts. Ab 3 Uhr sollte mensch umsteigen auf 2 Kaffee, 1 Bier,…
Und bitte zweimal täglich die Füße in Franzbranntwein baden.
Metalheadz-Session im Wartesaal: die längsten Schlangen und die tiefsten Bässe im Universum. Wir haben die Zukunft gefühlt.
Im Theater am Rudolfplatz schicken Rockers Hi Fi ein derartiges Brett durch die Tieftöner, daß dir die vom Gel erhärteten Haarsträhnen vibrieren. Beim Auftritt von Nicolette beginnt man den volkswirtschaftllichen Lehrsatz, Luft sei ein freies Gut, ernsthaft in Frage zu stellen.
Wer im Business etwas auf sich hält (hallo Petra) ist bei der Comet-Verleihung. Wir sind bei der Sushi-3003-Party.
Spät in der Nacht gibt es dort zwar nichts mehr zu essen, aber dafür sind Sound und Dekoration vom feinsten. Als dann Stereo Total ihren durch technische Probleme leicht gehandicappten Auftritt haben und ich endlich Françoise Cactus live erleben kann, nachdem ich mich drei Jahre fragte, wie diese Stimme wohl aussieht, ist endgültig klar, daß es ein gelungener Abend war.
Sushi 3003:
Eine der hipsten Clubveranstaltungen auf diesem Planeten, vielleicht auch in diesem Arm unserer Galaxie. Club nur für dieses Event designed bei Mister Jim Avignon. Live Video Installationen Musik aufgelegt von: Tomoyuki Tanaka und le Hammond inferno (Angeblich gelegentlich in Berlin mitzuerleben). Mitten auf der Tanzfläche, allein unter Promis der mutige Hinter-Net!-Redakteur! Gut gelaunt betanzt er diverse Schönheiten als aus 4 Metern Entfernung ein Fotograf auftaucht, um Beweisfotos im Auftrage der Chefredaktion zu schießen. Skandal: Redakteur amüsiert sich während der Arbeit !! Das gibt nicht nur Ärger mit dem Chef, auch die Girls rennen weg. Reiner Neid der Kollegen, die sonst nur bei Alt-Rockerinnen vom Schlage Suzi Quattros landen können.