Hermann – Sarajevo Tango

„Als Sarajewo am 27. Mai 1992 bombardiert wurde und die UNO drei Tage später diesen Akt serbischer Aggression in Bosnien verurteilte, gehörte ich noch zu der großen Schar derer, die bereitwillig alles schluckten, was die Medien ihnen vorsetzten.
Im Sommer 1992 war ich bereit zu glauben, daß die Anwesenheit der Vereinten Nationen im ehemaligen Jugoslawien zumindest eine Wiederholung jenes Terrors würde verhindern können, der schon in Vukovar und anderen Orten Ostkroatiens seine blutige Spur hinterlassen hatte. Doch weit gefehlt.

Fassungslos verfolgte ich die beschämenden Auftritte hochrangiger Unterhändler im Dienste der Vereinten Nationen. Und wenn die NATO einmal zuschlug, folgte sogleich eine Entschuldigung beim serbischen Präsidenten Milosevic, dem Haupterantwortlichen für die Tragödie, verbunden mit der Zusicherung, daß sich so etwas nicht wiederholen würde.

Ich bin nicht so naiv zuglauben, daß SARAJEVO TANGO irgend etwas an einer Situation ändern könnte, deren tiefere Urachen der Haß, der Wahnsinn, die Gier nach Macht, der Hang zum faulen Kompromiß und das Geld sind – das verdammte, dreckige Geld. Ich habe hin und wieder – und nicht nur in aller Freundschaft – zu hören bekommen, ich hätte eine große Klappe, und ich sagte mir, dies sei der richtige Moment, sie aufzureißen. Darum, und nur darum, habe ich SARAJEVO TANGO geschrieben und gezeichnet. Primo Levi hat einmal sinngemäß gesagt: `Schweine wird es immer geben, viel schlimmer aber sind die, die sie gewähren lassen.'“

Hermann (aus dem Vorwort)

Mit dem Schicksal der eingeschlossenen Stadt Sarajewo verband Hermanns ein besonderes Schicksal. Dort lebte sein Agent und persönlicher Freund Ervin Rustemagic mit seiner Familie, als aus dem Austragungsort der Olympischen Winterspiele ein Kampfgebiet wurde. Trotz der katastrophalen Nachrichtenverbindungen gelang es den beiden, einen Briefverkehr per Fax aufrecht zu erhalten, der den belgischen Zeichner dazu bewog, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um seinen Freund und dessen Familie aus dieser Stadt herauszubringen. Die frustrierenden Erfahrungen, die er bei diesem erfolglosen Vorhaben machen mußte, waren wohl die Triebfeder für die Entstehung dieses Comics.

Erzählt wird die frei erfundene Geschichte eines angeheuerten Söldners, der die entführte Tochter einer schweizerischen Geldadligen zurückbringen soll. Ihr Vater hat sich mit ihr als Erbin und dem Geld in seine Heimatstadt Sarajevo abgesetzt. Als ob die Situation nicht brenzlig genug wäre, bekommt der Kidnapper Wind von dem Auftrag seiner Gattin und setzt einen Killer auf seinen Verfolger an.

Der Plot ist simpel aber gut, beim Finale vielleicht ein wenig zu pathetisch. Das Bemerkenswerteste ist jedoch das Zusammentreffen von realistischem Plot, in Gestalt von Hermanns realistischem Strich und dem sarkastischen Abweichen von dieser Maxime: Die blauen Helme der UNO-Truppen sind Schlumpfmützen aus Blech. Die UN trägt den Namen „Boutros-Rallye“ und beschränkt sich auf Protestnoten in Form von aufblasbaren erhobenen Zeigefingern, die weithin sichtbar über die Stadt treiben. Die Situation der UN wird zu einem danse makabre.Bild aus Hermanns Sarajevo Tango
In SARAJEVO TANGO zeigt sich Hermann von seiner bösartigsten Seite, er spart nicht mit Zynismus und verspritzt überall sein Gift. Diese Wut im Bauch scheint ihn jedoch beflügelt zu haben, etwas Außergewöhnliches zu schaffen, in jeder Hinsicht.

Comics, wie sie normal über die Ladentheke gehen, dienen in erster Linie der Unterhaltung, manchmal auch ausschließlich. Viel mehr als verbrämte Variationen des bekannten Spiels Gut-gegen-Böse sind selten zu finden. Comics, die sich großer Beliebtheit erfreuen sind per se unpolitisch. Den politischen Anspruch haben nach wie vor die Karikaturen inne und wenn man so will auch noch die Underground Comics, die allerdings in steter Regelmäßigkeit ihre Schärfe verlieren, wenn sie von der Industrie entdeckt werden und den Massengeschmack bedienen müssen.

Es ist zugegebenermaßen schwer, einen aufwendigen Comic zu gestalten, der nicht durch seine lange Produktionszeit von der Aktualität der Ereignisse überholt wird. Aber was man der nicht- graphischen Literatur, der Belletristik und dem Sachbuch zugute hält, sollte auch hier gelten. Das Credo der Tagespresse „Nichts ist älter als die Zeitung vom Vortag!“ verliert dort seine Gültigkeit, wo es gilt eine intensive Auseinandersetzung mit einem Thema zu führen, das über das Präsentieren von sog. Fakten hinausgeht.

Ob der Friedensschluß von Dayton letztendlich dem Gemetzel in Ex-Jugoslawien ein wirkliches Ende gemacht hat, oder was auch immer passieren wird: Was seit April 1992 auf dem Balkan geschah, kann nicht wieder ungeschehen gemacht werden – auch nicht die erbärmlichen Fehlleistungen der UN0 und der NATO.

Die Gründe, die Hermann in den letzten beiden Jahren dazu bewogen haben SARAJEVO TANGO zu zeichnen, laufen jetzt Gefahr, als Leichen in den Kellern der Geschichte zu verschwinden: dreistdumme nationalistische Bestrebungen am Ende des 20. Jahrhunderts auf dem Balkan und menschenverachtende Inkompetenz der „Schutzmächte“, die zusammen tausendfachen Mord und Zerstörung gebracht haben. Das kann Nichts und schon gar kein Comic ungeschehen machen. Mit SARAJEVO TANGO bleibt dies jedoch im Blickfeld des Lesers – und das ist gut so.

Hermann
SARAJEVO TANGO
Carlsen Verlag, DM 29,90
ISBN 3-551-72598-5

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