Paula und ihre Männer
Meine Mutter sagte immer: „Ehrlich währt am längsten“. Sie sagte aber auch: „Wenn du nichts Nettes zu sagen hast, sag lieber gar nichts.“ Jetzt stehe ich vor einem Problem, denn ich muß etwas über Tarnation sagen, diese in San Francisco beheimatete Band, die mit „Mirador“ gerade ihr drittes Album veröffentlicht hat. Also denn (sorry, Mom!):
Sängerin Paula Frazer trällert wie Morriseys entlaufene Schwester, während die Band eine Mischung aus Country- und Surfmusik spielt, die klingt wie bei Chris Isaak. Das Presseinfo beginnt mit einem Zitat aus einer Kritik des Mojo-Magazins: „Die Romantik von Judy Garland in einer von Reservoir Dogs beherrschten Welt.“ Kein Zweifel daß Tarantino-Fans (wenn es noch welche gibt) Tarnations „dunklen“, „mysteriösen“, „einsamen“ Sound lieben würden. Er macht es einem leicht, sich depressiv zu geben, während man die Musik der Band hört. Aber genau wie bei den Smiths fange ich nach einiger Zeit an zu grinsen. Auch Scott Walker kommt mir in den Sinn und natürlich beginnt Paula unser Interview damit, zu erwähnen, daß sie gerade ein altes Scott Walker Album in einem Münchner Laden gefunden hat. Wie ich immer sage, wenn du eine Karriere auf deiner Traurigkeit aufbauen kannst, wie traurig kannst du wirklich sein?
Frazer hat das Karrieresteuer fest in ihre Hände genommen und verdient dafür unseren Respekt. Die ersten beiden Alben wurden mit einer gänzlich anderen Besetzung eingespielt, mit Leuten, die offensichtlich mehr Einfluß auf die musikalische Richtung der Band wollten, als es Paula recht war.
„Ich gründete Tarnation vor fünf Jahren. Danach gab es einige Besetzungswechsel. Nachdem meine letzte Gruppe und ich uns getrennt hatten, begann ich mit (Schlagzeuger) Joe Byrnes and (Guitarist) Alex Oropeza, die beide aus Tucson, Arizona sind zu spielen. Sie spielen noch in einer anderen Band, namens Broken Horse, und ich dachte, es wäre toll mit Musikern zu spielen, die noch ein anderes kreatives Ventil haben. Einer der Gründe, warum ich mich von der anderen Band getrennt hatte, war, daß einfach zu viele Köche den Brei verdarben. Wir waren letztlich eine Bar-Band, nicht besonders gut organisiert. Und ich hatte kein großes Selbstvertrauen. Ich stand im Schatten und sang. Wir hatten alle verschiedene Auffassungen, von dem was wir machen wollten und so hat es einfach nicht funktioniert.„
Musik spielte immer eine große Rolle in Frazers Leben: bereits als Kind sang sie in der Kirche, als Teenager trat sie in Cafes und Clubs in Arkansas und Missouri auf. Trotzdem dauerte es lange, bis sie eine annehmbare Bandbesetzung zusammen hatte. Und selbst dann brauchte sie noch Glück.
„Ich traf Joe und Alex durch einen Freund namens Desmond. Desmond und ich spielten vor 10, 11 jahren zusammen als ich zum ersten Mal nach San Francisco zog. Er und Joe arbeiteten zusammen als Köche in einem Restaurant. Es war ein sehr glücklicher Umstand. Ich hatte Joe und Alex vorher (mit Broken Horse) gar nicht gehört.„
Es scheint bei Rockmusikern immer mehr in Mode zu kommen, in mehreren Bands gleichzeitig zu spielen. Warum soll man sich auf eine Band beschränken, wenn zwei Gruppen dir eine bessere Aussicht auf Erfolg bieten? Aber es kann ein schwieriger Drahtseilakt werden und zwar aus zwei Gründen: Ego und Zeit.
Frazer sagt, daß sie glücklich ist, mit Leuten zu spielen, die ein anderes kreatives Ventil haben und wünscht Broken Horse, dem alter ego ihres Gitarristen und Drummers, alles Gute.
„Joe und Alex gaben mir ein Tape von Broken Horse und die Aufnahmequalität war ziemlich mies, so daß ich nicht wußte, ob ich es mochte oder nicht. Ich hörte es mir einmal an und die Aufnahme war nicht so gut, daß ich es mir nochmals angehört hätte. Aber dann sah ich sie live und ich bemerkte, daß sie sehr gut waren. Sie waren nur nicht in der Lage, ihren Livesound auf Band zu bannen. Ihre Aufnahmen waren einfach zu … (zögert) …nicht gut. Ich hoffe, daß die neuen Aufnahmen die sie jetzt gerade machen ihnen gerecht werden.„
Ein Hauch von Rivalität taucht in unserem Gespräch auf, als ich sie nach eventuellen Terminkonflikten frage.
„Nun, bis jetzt gab es jedenfalls noch keine. Aber irgendwann könnte es dazu kommen. Broken Horse haben noch keinen Plattenvertrag. Ihre Auftrittsmöglichkeiten verbessern sich langsam. Eine zeitlang gab es nicht viele Orte an denen sie auftreten konnten. Aber dadurch, daß sie jetzt in Tarnation spielen, haben sie einige Clubmanager kennengelernt und können auch für sich bessere Sachen arrangieren. Es hat ihnen viele Türen geöffnet und ich denke, sie merken das. Ich sehe nicht, wieso nicht genug Platz für sie sein sollte, beides zu tun.
Es gibt die Möglichkeit, daß – wenn sie einen Vertrag bekommen oder so – wir einen Kompromiß finden müssen, z.B. für Aufnahmen. Nehmen wir an, sie könnten ein Album veröffentlichen, dann könnten sie es im Herbst rausbringen und touren und wir bringen dann unser Album im Frühjahr raus und touren dann. Aber das könnte durchaus positiv sein, denn vielleicht könnten wir dann alle genug Geld verdienen, um von unserer Musik leben zu können, ohne auf normale Jobs angewiesen zu sein.„
Falls ihr euch jetzt fragt, warum wir mehr über Broken Horse sprechen (eine Band,die ich immer noch nicht gehört habe) als über Tarnation, schaut euch nochmal das zweite Zitat meiner Mutter an. Trotzdem noch ein mehr 90er Jahre Lifestyle-Detail über Tarnation: Der Bassist, ein Ire namens Jamie Meagan ist Paulas Freund.
Ein weiterer Drahtseilakt? Über dieses Thema habe ich nicht mit Paula gesprochen, aber als Paula ein anderes Interview beginnt, erzählt Jamie:
„Ich ging nach San Francisco, weil ich einige Kumpels dort hatte und arbeitete auf einer Baustelle, wo Paula archäologische Arbeiten machte und wir fingen an, mit einander auszugehen. Dann fragte sie mich, ob ich in der Band mitspielen wollte. Es war eine Ehre, gefragt zu werden. Wir mußten auch über unsere Beziehung nachdenken. Wir dachten eine lange, lange Zeit darüber nach. Wir kamen zum Entschluß, daß ich es machen sollte. Wir können unsere Musik von unserem Liebesleben trennen. Everything’s fine so far.„