Zur Beruhigung vorneweg: Obwohl Mark Eitzel bei seinem zweiten Soloalbum eng mit R.E.M.-Gitarrist Peter Buck zusammenarbeitete, klingt die Platte nicht nach Michael Stipe und Konsorten. Trotz Eitzels Aussage, er habe mit der Musik auf „West“ praktisch nichts zu tun gehabt und sei qasi nur der Sänger, ist die CD ein unverkennbar typisches Eitzel-Werk geworden. Die Einflüsse der Gastmusiker sind zwar zu erkennen, dennoch bleibt sich der Sänger und Songschreiber des American Music Club treu.
Dies gilt in erster Linie für die von ihm verfaßten Lyrics, trifft aber auch auf die Musik zu, was zeigt, daß Peter Buck sensibel genug war, Mark Eitzel nicht mit Songs zu überschütten, die seinem künstlerischen Charakter entgegenlaufen.
Auffällig ist die breite Instrumentierung: Vibraphon, Streicher, Akkordeon, Orgel, Piano und akustische Gitarren bilden einen abwechslungsreichen Sound, der „West“ vielfältiger ausfallen läßt als den Vorgänger „60 Silver Watt Lining“, Eitzels erstes Soloalbum nach der Auflösung des American Music Club. Typische, melancholische Balladen („Helium“, „Then it really happens“) stehen neben einigen Mid-Tempo-Nummern („Free of Harm“, „In your Life“), die noch am ehesten Peter Bucks Input erkennen lassen.
Auf „Three Inches of Wall“ klingen Eitzel, Buck und ihre Mitmusiker Barrett Martin (Screaming Trees), Skerik (Critters Buggin), Scott McCaughey (Young Fresh Fellows), Mike McCready (Pearl Jam) und Steve Berlin (Los Lobos) wie eine experimentierfreudige Endsechziger Rockband, die unverkrampft und energiegeladen freie, fast atonale Passagen in den Songkontext integriert. Und um das mal klarzustellen: Das ist ein Kompliment! Mein Favorit ist „Move myself ahead“, das schnellste Stück des Albums. Beseelt und stürmisch läßt sich die Band auf ihren Sänger ein, der seine düstere und melancholische Grundstimmung in diesem Song in eine energische, nach vorn treibende Unruhe verwandeln kann. Mitreißend! Mit „Live or die“ zeigt Eitzel wieder einmal, daß er es meisterhaft versteht, existentielle Fragen in einem bewegenden Song umzusetzen (die einzige Komposition auf „West“, die von ihm allein stammt), und mit „Fresh Screwdriver“ fehlt auch der obligatorische Alkohol-Song nicht.
„West“ ist ein absolut gelungenes Album, trotz oder wegen Peter Buck, was wohl keiner mit Entschiedenheit sagen kann. Nie war Mark Eitzel dem Pop näher.
Und auch das ist ein Kompliment.