Tim Isfort Orchester

Geschichten wie sie nur das Leben schreiben kann: Alles wird gut. Auch für einen Musiker und Toningenieur Ende zwanzig, der sich als Allzweck-Bassist und Werbekomponist durchs Leben schlägt und sich sein eigenes kleines Studio aufbaut. Einer, der mit 80er-Jahre-Pop aufgewachsen ist, Jazz und Filmmusik mag und der davon träumt, Musik für ein Unterhaltungsorchester alter Prägung zu schreiben. Mit den dazugehörigen Arrangements und dem adäquaten Sound: warm, weich und analog. Einer, der genug Ausdauer aufbringt, um gegen alle Trends und Sachzwänge seine Ideen umzusetzen.

Der oben beschriebene Tontüftler heißt Tim Isfort und er hat sich einen Traum verwirklicht. Ein großes Orchester mit Streichern, Bläsern, Harfe, Bandoneon und Chor spielt seine Kompositionen, und das Resultat klingt, wie er es gerne hätte: Wider die digitale Inquisition.

Mit der gleichnamigen CD hat das Tim Isfort Orchester ein Album eingespielt, das ebenso schön ist wie die Geschichte seiner Entstehung. Und als ob dies allein nicht schon wundersam genug wäre, schafft er es auch, illustre Gastsänger und Texter für sein Projekt zu begeistern.

Außergewöhnliche Platten verlangen außergewöhnliche Maßnahmen. Deshalb folgt – wie beim Fußball in der Zeitung – die Einzelkritik:

Als sie 20 waren

Musik: Tim Isfort, Text: Tom Liwa, gesungen von: Tom Liwa

Tom Liwa, Singer/Songwriter, Kopf der Flowerpornoes, kommt aus Duisburg, genau wie Tim Isfort. Man kennt sich, man mag sich, man tauscht sich aus. Und als Liwa die ersten Töne von Isforts Aufnahmen hört, ist er Feuer und Flamme und will unbedingt singen und Texte schreiben. Er schafft es, den Komponisten von deutschen Texten zu überzeugen (die der eigentlich nicht mag) und die Dinge nehmen ihren Lauf. „Als sie 20 waren“ ist das swingendste, das groovigste Stück der CD und zeigt, wie phantastisch Tom Liwa die nachträglich formulierten Worte in die Musik einzufügen weiß. Ein Jazz-Orchester und ein deutscher Sänger – dafür den Manfred-Krug-Gedächtnispreis.

Nachteulen

Musik: Tim Isfort, Text: Tom Liwa, gesungen und gesprochen von: Christian Brückner

Christian Brückner ist bekannt, zumindest teilweise: Seine Stimme ist fast jedem vertraut, sein Gesicht kennt kaum jemand. Er ist die deutsche Synchronstimme Robert de Niros und einer der meistbeschäftigten Sprecher von Reportagen und Dokumentationen im Fernsehen. Über seinen Gesang in diesem Stück kann man geteilter Meinung sein (soll heißen: Mitty ist Kienzle, ich bin Hauser), die Atmosphäre, die aus der Kombination seiner Stimme und der luxuriösen Orchesterklänge entsteht, ist einmalig. (Kleine Anmerkung am Rande: Der Einfluß der Stimme Brückners ist bei einigen Kritikern offenbar so dominant, daß bei ihnen prompt das Thema „Taxidriver“ in den Sinn kommt. Obacht, Leute: Dies ist ein Liebeslied!)

Die ganze Zeit

Musik: Tim Isfort, Text: Blixa Bargeld, gesungen von: Katharina Thalbach und Blixa Bargeld

Auch der Altmeister der deutschen Avantgarde ist mit von der Partie. Wer den Werdegang der Einstürzenden Neubauten und personell verwandter Projekte verfolgt hat, den dürfte das Mitwirken ihres Sängers nicht verwundern. Nie war Bargeld lieblicher als auf dieser Aufnahme. Wie beim Neubauten-Stück „Stella Maris“ hat er für ein Duett geschrieben; hier singt er mit der Berliner Schauspieler-Ikone Katharina Thalbach. Das kann man auch Chanson nennen, wenn man ihm übel will.

Houston Sauerland

Musik: Tim Isfort, Text: Tom Liwa, gesungen von: Tom Liwa

Tom Liwas Major-Tom-Version. Ein wehmütiges Liebeslied eines in einer Weltraumkapsel im All Schwebenden. Das längstes Stück des Albums, das sich im Laufe der acht Minuten vom Hollywood-Schmachtfetzen-Soundtrack zum lockeren Swing-Jazz wandelt.

Absolute Activity

Musik: Tim Isfort, Text: Christian Junk, gesungen von: Sam Brown und Christian Junk

Einer von zwei Tracks, die von Beginn an mit Gesang geplant waren. Beide fallen durch ihren englischen Text aus dem Rahmen, den Christian Junk geschrieben und zusammen mit Sam Brown (genau, „Stop“ aus den finsteren Achtzigern) auch interpretiert hat. Post-Sade-Jazz-Funk-Soul-Mucke, die keinem wehtut und ganz angenehm ist.(Das zweitwenigst interessanteste Stück auf der Scheibe).

Der erste Tag des Sommers

Musik: Tim Isfort, Text: Tom Liwa, gesungen von: Eva Kurowski

Ein großer, wunderbarer Song. Einer, der in einem Melodram von Douglas Sirk Leitmelodie sein könnte, vorgetragen mit (und jetzt zitiere ich einen Kollegen:) lächelnder Schwermut (Kompliment für diese Formulierung). Laut Info-Zettel ist Eva Kurowski eine Jazz-Sängerin. Vielleicht könnten wir sie auch den weiblichen Manfred Krug nennen. Ich jedenfalls habe noch nie von ihr gehört und bin froh, daß ich nicht weiß, wie sie aussieht. So kann ich einfach der Musik und dem Klang ihrer Stimme lauschen und weiterträumen. Zum Verlieben.

Es fehlt etwas

Musik: Tim Isfort und Christian Junk, Text: Blixa Bargeld, gesungen von: Blixa Bargeld

Ein typischer Bargeld-Text (Zitat: „Sektengelände, utopischer Ort: jeder hat sein eigenes Haus, Shakespeare ist dort“) mit für ihn untypischer Musik. „Es fehlt etwas“ ist ein lässiger, atmosphärischer Jazz-Song, der Blixa Bargelds Stimme Raum zum Erklingen gibt und uns so einen völlig neuen Eindruck des Mannes mit Hut vermitteln kann.

Hearts that cry

Musik: Tim Isfort, Text: Christian Junk, gesungen von: Sam Brown und Christian Junk

Der zweite Song , der etwas aus der Reihe tanzt … siehe „Absolute Activity“. Das uninteressanteste Stück des Albums. 80er-Jahre-Popelemente in einem Stück, das uns allen ziemlich bekannt resp. geklaut vorkam. Auf dieser Platte eher störend.

Drei Teile Gold

Musik: Tim Isfort, Text: Antek Krönung, gesprochen von: Christian Brückner

Und wieder eine Folge aus „Frontal“. Kienzle (Mitty) sagt: Grausamer Text! (vor allem wegen Safran-Überdosis). Hauser (Ich) sagt: Schön. Ein lyrisches Liebeslied, das dank Christian Brückner weder peinlich noch kunstbeflissen wirkt. Allerdings sollte man schon etwas für poetische Worte übrig haben, sonst ist man auf diesem Album ohnehin verloren.

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