in den gärten der stadt sproß zufriedenheit
die stammtische waren mit lorbeer drapiert
die bäder gekachelt die zäune lackiert
der überfluß lähmte die aufmerksamkeit
es gähnte die langeweile
der mann mit der angst bot zum sonderpreis
geschäfte zum vorzug bei eile
Dieser Strophe aus dem Lied „Der Angstverkäufer“ von den Puhdys findet sich auf der im Orwelljahr erschienenen Platte „Das Buch“. Ganz dem sozialistischen Zeitgeist des Kalten Krieges verschworen präsentierten die DDR-Rocker damit Agit-Pop der seichtesten Art mit der Message: Augen auf!, wer sich von Bürgerlichkeit und Langeweile einlullen läßt, der gerät in die Fänge des Angstverkäufers, der in dem Lied erstaunlicherweise den amerikanischen Namen „Jack“ trägt.
Vergessen wir mal, daß man Autoren von Texten mit derart platten Klischees so platt hauen sollte, wie ihre Klischees sind. Ein scharfsinniger Ansatz ist immerhin zu erkennen: Angst ist nicht einfach da, sie wird produziert und, wenn man so will, verkauft. Daß es sich durchaus lohnt, dieser These einmal nachzugehen und es nicht bei platten Klischees zu belassen, zeigt Alphons Silbermann in seinem Buch „Propheten des Untergangs“.
Silbermanns Auge ist aufgrund seiner Biographie gut geschult für solche Phänomene: Er durchlebte den Aufstieg des Nationalsozialismus und erlebte die täglichen Anfeindungen als Jude.Der promovierte Soziologe mußte 1933 als Jude aus Deutschland flüchten, um seine Haut zu retten und trat in den letzten Jahrzehnten immer wieder mit Arbeiten an die Öffentlichkeit, die sich mit der Massenkommunikation auseinandersetzen. Seine letzte Veröffentlichung „alle Kreter lügen“ beschäftigte sich mit der gesellschaftlichen Funktion von Vorurteilen.
Und Alphons Silbermann enttäuscht seine Leser nicht. Er nennt die Dinge beim Namen und greift die an, die Ängste produzieren, provozieren oder dazu beitragen, daß Ängste ihren festen Platz im Bewußtsein der Menschen finden. Wie schon Tom Kummer in „Good Morning L.A.“ gezeigt hat, wie die Wirklichkeit unter dem Sensationsaspekt – immer härter, immer brutaler, mehr Blut – von Medienanstalten erschaffen wird, so weist Silbermann Punkt für Punkt nach, wie ‚Das Geschäft mit den Ängsten‘, so der Untertitel des Buchs, funktioniert. Silbermann scheut sich auch nicht, als Nestbeschmutzer verschrien zu werden: „Wenn überhaupt, dann sprechen viele der an die Öffentlichkeit tretenden und sich nicht im Getto ihrer Fachzeitschriften versteckenden Soziologen in den pessimistischsten Tönen, sehen nichts Gutes in dieser Welt, ja werden zu Angstmachern, stützen geradezu die Angstmacherei, wo auch immer sie auftreten.“ Kaum einer kann sich dem Scharfsinn von Alphons Silbermann entziehen – ob als Verängstigter oder als Angstverkäufer.
Alphons Silbermann PROPHETEN DES UNTERGANGS - Das Geschäft mit den Ängsten Bastei Lübbe 12,90 DM ISBN 3-404-60447-4