Guildo Horn – Superstar. 71% aller Deutschen halten ihn für ein Medienprodukt und wie sollten sie auch nicht. Nach dem Sieg in der nationalen Vorausscheidung war die Berichterstattung heftiger als man sie bei einem neuen Golfkrieg hätte erwarten können. And the hype goes on and on and…
Nach der Walpurgisnacht der Abend des (Hexen-)Meisters: Am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, war es soweit – die Zeitenwende im Personenkult. Früher widmete man diesen Tag dem bekanntesten Sohn der Stadt Trier: Karl Marx. Heute hat Trier einen anderen bekanntesten Sohn und der hat sich diesen Tag gleich mit unter den Nagel gerissen.
„Das Phänomen Gerhard Schröder ist das Phänomen Guildo Horn“
(Guildo Westerwelle)Ort des Geschehens: ARD, Zeit: 20:15 Uhr. Das Dorf verabschiedet seinen Barden, der übers Meer reist und an einem Sangeswettbewerb teilnimmt. Das Dorf heißt Deutschland und es scheint bekloppt geworden zu sein. Noch nie gab es eine Show im deutschen Fernsehen, die sozusagen als Warm-up für eine andere Show stattfand. Und das ganze noch live zu besten Sendezeit.
Der 1. Mai 1998 ist auch für Dr. Zapp ein historisches Datum, kann er doch jetzt am Phänomen Guildo Horn nicht mehr schweigend vorbei gehen. Einen Tag nach der Nacht der Hexen erheben sich die Zombies der Fernsehunterhaltung und gestalten einen bunten Abend, weil Deutschland wieder einmal einen Sänger zum Grand Prix d’Eurovision de la Chanson schickt. Eigentlich ist das ja nix Neues, aber dieses Mal ist es Einer, der die Bild-Zeitung in Wallung brachte. Weil er lange Haare hat, einen leicht speckigen Bauch, den er auch noch vorzeigt und bunte Klamotten trägt. Das reicht schon aus. Ja sind wir denn hier in den Fünfziger Jahren, oder was? Das Klima der Wirtschaftswunderzeit, nur ohne Wirtschaftswunder?
Die Hysterien blühen, der Bildschirm glüht – ungezählte Guildo-Specials, Trier-Porträts, Nußecken-Rezepte und Birmingham-Vorberichte. Warum eigentlich?
Die in obskuren Diskussionsrunden zusammengetrommelten Kulturkritiker suchen nach einer Antwort. Nun muß man sich nicht unbedingt der von der Berliner Kulturzeitschrift „Salbader“ aufgeworfenen Frage stellen „Ist Guildo Horn der neue Adolf Hitler?“, auch wenn man die Latte etwas tiefer hängt, können sich interessante Aspekte ergeben. Noch keiner hat offenbar die Frage gestellt, warum Guildo mit seinem „piep- piep-piep“-Lied, das durch und durch achtziger Jahre Rockmainstream ist, immer noch als Siebziger Revival-Ikone gilt. Oder ist das im Grunde egal? Geht es den Hornisten gar nicht um die musikalischen Erinnerungen an eine angeblich so idyllische Zeit? Oder anders formuliert: Sind Guildo-Fans auch in der Lage, sich mit Freuden Wolfgang Petrys Ergüsse anzuhören? Anhand dieser Frage könnte man das Problem klären, ob „der Meister“ wirklich die Schar der alternativen Schlager-Fans, der mit dem Musikbusiness Unzufriedenen hinter sich versammelt.
Die Frage zielt ab auf den Anteil an Parodie und Ironie im Auftreten Guildos und seiner Orthopädischen Strümpfe.
Ist er ein Eulenspiegel und wird er auch als solcher erkannt?
Oder ist die Hornbewegung nur eine Frischzellenkur für die „Spaßfraktion“, die im Traum nicht daran denkt, das Unterhaltungsgeschäft und seine Protagonisten in Frage zu stellen?
Ist damit Guildo Horn (wie Gerhard Schröder) die beruhigende Neuerung für alle, die Angst vor zuviel Veränderung haben, ihren alten Wein aber gerne aus neuen (mediengerechteren) Schläuchen genössen?
Ist das Phänomen Helmut Kohl auch das Phänomen Ralph Siegel?
Und gibt es ein Mittel gegen Tony Marschall? Fragen über Fragen. Wer weiß die Antworten?
Dr. Zapp bleibt am Schirm und hofft auf Erkenntnis. Egal auf welchem Kanal.