Ächz, mein Kopf ist leer. Alte Bekannte mögen jetzt sagen: Ja und? War das bei Dir mal anders? Natürlich war´s das, säße ich sonst schon an Folge 6 meines Nähkästchens?! (Eben hab ich übrigens versehentlich erst „Mähkästchen“ geschrieben: auch nett, oder? Mäh!) Das Leere-Kopf-Syndrom ist die Berufskrankheit und der Alptraum eines jeden Kolumnisten. Was ist passiert? Möglicherweise liegt es an dem vielen Logierbesuch in letzter Zeit, der einem keine Zeit für krude Gedanken läßt. Zumal in einer Einzimmerwohnung. Vielleicht liegt es aber auch an meinen zahlreichen außerhäuslichen Verabredungen, die ich in letzter Zeit fast manisch organisiere, um Heim, Schreibtisch und Logierbesuch zu entfliehen. Nein, das letzte ist nicht wahr (ich muß ein bißchen aufpassen, Teile meines Logierbesuchs lesen diese Kolumne…).
Freunde hören mich in den letzten Wochen häufig sagen: Hey, das-und-das merk ich mir für meine Kolumne. Diese Hypersensibilisierung für Themen und Bonmots mag schuld sein an der Überflutung mit merkenswerten Details, die die mentale Festplatte einfach nicht mehr zu fassen vermag. Ein Info-Overkill sozusagen. Was tun? Ich komm ja nicht mal mehr zum Fernsehgucken. Naja, das stimmt nicht ganz. Mein Chefredakteur hat mir eine Folge „Ein Heim für Aliens“ aufgenommen. Das ist vielleicht cool! Viele kleine süße bunte Zeichentrick-Monster, die sich farblich übrigens bestens zu meinem Interieur machen. Ich mag´s nämlich poppig, nur die Möbel müssen schwarz sein. Das ist wie bei den Designern, die auch nur Schwarz tragen, weil sie ja den ganzen Tag so schrecklich kreativ sein müssen und mit einem wahren Farbmeer zu tun haben. Ist aber alles Nepp, denn die Modefarbe dieses Herbstes ist bekanntlich – Grau! Eine Freundin von mir hat sich neulich ein schwarzes Fahrrad gekauft, ein „Existentialisten-Fahrrad“, wie sie es nennt, es habe allerdings keinen Rollkragen! Aber vielleicht eine dicke Brille und ein paar Warzen? Spricht es mit algerischem Akzent?
Jedenfalls: zuviel Kommunikation ist der Kolumnenqualität offenbar eher abträglich: ich bin besser, wenn ich einsam und gelangweilt bin und mein Kontaktdefizit in Pseudo-Gesprächen mit mir selbst, den Wänden und meinem Computer kompensiere. Zur Zeit kann ich höchstens Kuriositäten meines Prüfungsstoffs publizieren, etwa daß Heine auf dem Heimweg von seiner Harzreise noch auf einen Sprung beim greisen Goethe vorbeischaute („Die Erzgebirgsreise“?), aber so enttäuscht von der Ignoranz des Dichterfürsten war, daß er diesen Besuch mit keinem Wort erwähnte. Was mag sich dort abgespielt haben? Vor meinem inneren Auge erblicke ich einen alten Mann, der lieber Pornos als jungdeutsche Prosa liest und aus Frust über die nachlassende Manneskraft seinen Zivi mit endlosen Botengängen schikaniert. War es so? Heine jedenfalls hatte sich das etwas anders vorgestellt, er war zerschmettert und rächte sich. In einem seiner Reisebilder macht er sich über Goethes notorische Naturschilderungen lustig und schreibt: „Als die Welt wissen wollte, wie sie aussah, schuf sie Goethe“. Heinrich Heine, der Harald Schmidt des Vormärz… Nächste Woche beschäftige ich mich mit Ingeborg Bachmann und den Gefahren des Rauchens. Aber nochmal zurück zu Stippvisiten bei Idolen. Das sollte man nie tun, denn auch Stars sind nur Menschen, und die Möglichkeit der Desillusionierung kommt immer mit. Wie könnte zum Beispiel ein Besuch bei James Hetfield aussehen? „Komm rein, motherfucker, aber putz dir vorher die Schuhe ab. Setz dich. Den Apfelkuchen hab ich selbst gebacken. Mit Vollkornmehl. Die fuckin´ Äpfel sind vom Biobauern. Kaffee gibt´s nur „bleifrei“, ist gesünder, wir sind ja schon lange von den harten Sachen weg bla bla…“. Hilfe! Nein, ich bleib lieber hier.
Zur Zeit ist übrigens mein Bruder bei mir zu Gast, und das gibt mir Gelegenheit, für mein Warenkörbchen endlich ein paar Lebensmittel zu testen – öhöm, äh – testen zu lassen, von denen ich selbst nicht mal im Traum kosten würde. Für die Zeit der Rekonvaleszenz meines Bruders hab ich einen Vorkoster beantragt, aber noch läuft hier bei Hinter-Net! ja alles ehrenamtlich und ohne Kohle, und Vorkoster sind teuer und leider auch unheimlich verschleißfreudig, aber gern lad ich mir Gäste ein… Praktikanten wären auch okay, denn die arbeiten ja for umme. Aber herrjeh, zu diesem Thema kann man inzwischen gar nichts mehr sagen, ohne daß es zweideutig klingt. Sind eigentlich Kinder unter den Lesern?
Kraft „Lunchables. Die Pausenmahlzeit“ (Weizencracker, Pizza Salami, Sandwich Gouda)
Manchmal werf ich einen Blick ins Kühlregal und denk, es darf nicht wahr sein! Dann guck ich nochmal hin, aber es ist immer noch da. Zuletzt ist mir das mit den „Lunchables“ von Kraft passiert, einer Art Pausensnack-Basisbaukasten aus Crackern, quadratischen Mini-Käsescheiben und kleinen, runden Wurstscheiben.
Wenn man alles geschickt in der Hand fächert, kann man vielleicht in der Schulpause damit Quartett spielen oder doppelte Scheibchen mit Klassenkameraden tauschen, die die Sorte „Putenwurst und Chester“ oder so haben. Vielleicht hilft es auch Erstklässlern die Schwellenangst vor der Mengenlehre abzubauen. Vielleicht legen sie sich in Zukunft ein paar bunte Plastikplättchen aufs Brot. Im übrigen steht die Anzahl der Cracker in keinem Verhältnis zu der der Käse- und Wurstteilchen: auf acht Cracker kommen ca. je zehn Käse- und Wurstscheiben. Wie hat sich die Firma Kraft das gedacht? Immer einen Cracker zwischen zwei Käse-Platten? Wie praktisch. Oder einen Cracker zwischen zwei Salami-Münzen? Bäh!!! Möglicherweise weiß das Kraft-„Ideen Center“ Rat (01802/258588). Aber da mag anrufen, wer will, ich mach mich jedenfalls nicht zum Aff´. Reicht schon, daß ich dieses Unzeug gekauft hab… Mein Bruder fand es ganz okay, es hat ungefähr seinen hohlen Zahn gefüllt.
Die heimliche Attraktion der „Lunchables“ besteht allerdings in der praktischen 3-Kammer-Plastikbox, mit der die Schulkinder schon mal auf die unkaputtbaren Geschirr-Tabletts mit Reliefstruktur vorbereitet werden, die ihnen später in der Mensa oder in der Haft begegnen. Wenn man die Verpackung spült, kann man sie auch als Schreibtisch-Organisator nutzen (die längliche Kammer für Buntstiftstummel und die beiden kleineren für Büroklammern und Gummibänder) oder als Setzkasten an die Wand nageln.
A-Note: 2 (die Cracker schmecken okay, und der Rest ist halt die übliche Synthetik, ich eß eh kein Fleisch, aber mein Bruder fand´s nicht schlecht)
B-Note: 3 (gut gedacht, aber um keine Fettfinger zu kriegen und alle Scheibchen so zu kombinieren, daß außen die Cracker sind, muß man sich schon gigantische Salami-Käse-Whopper bauen)
Langnese-Eis „Kick off“
Von der Kühltheke begab ich mich heute direkt zur Kühltruhe, ich ging nicht über „Los“ und kassierte keine 1000 Mark ein. An der Kühltruhe kam ich allerdings etwas widernatürlich ins Schwitzen, denn eigentlich hatte ich die Kultobjekte zweier Eis-am-Stiel-Generationen ins Auge gefaßt: das „Dolomiti“-Eis aus meiner Sandkastenzeit (das allerdings nicht mehr grell in pink-weiß-neongrün leuchtet, denn aus lebensmittelgesetzlichen Gründen muß das heute mit Rote Beete, Spinat usw. gefärbt werden und sieht deshalb natürlich nicht mehr so schick aus) und das Rothändle-farbene „Flutsch-Finger“-Eis aus den Sandkastentagen meines Bruders. Aber Fehlanzeige. Was tun, dachte ich, und entdeckte einen grünen Nachzügler der Fußball-WM namens „Kick off“. Sowas ähnliches, nämlich „Piss off“, hatte ich ohnehin schon an die Adresse der deutschen Nationalkicker auf den Lippen, die sich am Tage des Eiskaufs erstmals unter Ribbeck´scher Regie gegen die Türken blamieren durften.
Irgendwie hatte ich was knalliges Rundes erwartet, zumindest aber keinen Milcheis-Stollenschuh in weiß und rosé. Sowas würde nicht mal Andi Möller tragen. Im großen und ganzen bewahrheitet sich einmal mehr: Trau´ keinem Eis, das einen Alibi-Kaugummi als Draufgabe anbietet. Mit solchen Tricks versucht die Speiseeis-Industrie von den Fehlkreationen ihrer Design-Etage abzulenken. Unverständlicherweise, denn wer so doof ist, sich mit einem Bonus-Kaugummi ködern zu lassen, der nimmt grauenhaft altbackene Eis-Ideen ohnehin nicht wahr.
A-Note: 4 (süßlicher Erdbeer-Geschmack, was für Iiiiihh-Jugend-Kicker…)
B-Note: 3 (der Stiel am Eis ist schon ´ne praktische Sache, aber der seitlich aufgepappte Kaugummi weniger)
Wie nennt man das eigentlich, wenn man immer das, was man gerade nicht hat oder nicht kann, haben oder können möchte, wenn man es allerdings haben und können kann (tut?), nicht mehr haben oder können möchte? Stichwort „Verkaufsoffener Sonntag“: bald ist Weihnachten, und Saarbrücken übt schon mal ein bißchen das Gedränge, indem Samstags Feiertag ist, dafür aber einen Tag später verkaufsoffener Sonntag. Da faßt man sich doch an den Kopf, oder? Vor einigen Wochen war übrigens Weltkindertag und genau einen Tag später Weltalzheimertag. Auch klasse, oder? Naja, jedenfalls kann ich an einem verkaufsoffenen Sonntag natürlich nicht still zu Hause sitzen, sondern muß mir abends um sechs noch schnell im Kaufhof was zu Essen holen. Der Weg dahin war absolut tödlich, überall schleichende Leute mit Rieseneinkaufstüten, Kinder mit Werbeluftballons liefen mir vor den Füßen rum – das übliche Horrorszenario halt. Ich immer mit genervter Miene und gehetztem Schritt, geschlängelt und gedrängelt und mental kurz vorm Amoklaufen. Amoklaufen, haha. Amokschieben vielleicht. Wie auch immer: kaum war ich dem Mob entronnen, hab ich erstmal tief Luft geholt und gaaanz laaaaangsaaam gemacht, bin gemütlich geschlendert und hab mich des Lebens gefreut. Gibt´s sowas? Tick ich noch ganz? Erst keine Zeit haben, aber plötzlich, wo ich schnell machen könnte, da geht´s dann auf einmal! Nicht zu fassen.
Anderes Beispiel: im Erziehungsrepertoire einer jeden bildungsbürgerlichen Kleinfamilie darf der Klavierunterricht natürlich nicht fehlen. An die verheerenden Konsequenzen für junge Klavierschülerinnen denkt dabei allerdings niemand. Ich rede jetzt nicht von nervtötenden Fingerübungen oder sehnsüchtigen Blicken zum Fenster, durch die man dieselbe Sonne erblickt, welche zur gleichen Zeit die Freundinnenschar im Freibad wärmt und ähnliches. Nein, ich rede von der Stigmatisierung als Kurzefingernägelträgerin! Was das für eine weibliche Pubertierende bedeutet, muß ich wohl nicht erklären… Obwohl, wenn ich mich so erinner, dann fällt mir niemand ein, der mal mit zehn wirklich schönen, langen Fingernägeln in der Schule neben mir saß. Im Gegenteil, wenn man genau hinsieht, haben die meisten Mädels einen einzigen wirklichlich und ziemlich ätzend langen Fingernagel – wenn´s hoch kommt auch mal zwei an einer Hand, der Rest ist auf Normalpegel und das noch nicht mal gleichmäßig. Wie kommt sowas? Ist das nur Unvermögen oder gibt es einen ungeschriebenen Ehrenkodex, der besagt, daß sowas nett anzuschaun ist? Und jede Generation macht das wieder! Ich schiel manchmal im Bus auf die Hände halbstarker Schülerinnen, daher weiß ich das. Jedenfalls: heute hab ich natürlich keinen Klavierunterricht mehr, das wär echt dekadent in meinem Alter, und üben tu ich auch nicht, wahrscheinlich würd ich mir im Falle eines Tastentests sofort alle Finger brechen – aber hab ich jetzt, wo ich´s darf, vielleicht lange Fingernägel? Nein, natürlich nicht!!! Aber früher immer gejammert und an jedem Ferienende bittere Tränen vergossen.
Heute hab ich nicht nur keine langen, sondern so dermaßen gewissenhaft kurze Fingernägel, daß ich für viele Mitmenschen irrtümlicherweise ein Fall für „Stop´n´grow“ bin, den übelschmeckenden Nagellack, ein Mythos der BRAVO-Werbung. Gibt´s den überhaupt noch? (Ja, wahrscheinlich schon, oder? Zumindest solange die Pubertät nicht abgeschafft wird…) Ich trag das sogar völlig freiwillig so, weil meine Hände irgendwie nicht nach langen Fingernägeln und Ringen und so sind. Nein, ein Handmodel wird aus mir wohl nicht mehr. Nicht in diesem Leben. Eine Zeitlang hatte ich in meiner Jugend übrigens auch noch Gitarrenunterricht, und da braucht man ja zumindest an der Zupfhand lange Fingernägel. Das war vielleicht ein Dilemma! „Double bind“ nennt man sowas in der Psychologie. Das Ergebnis sehen wir heute: für eine Karriere als Konzertpianistin hat´s nicht gereicht, und weil ich nicht mal ´nen Schreibmaschinenkurs besucht hab, muß ich heute in Heimarbeit Kolumnen fertigen. Im Akkord. Ohne Bezahlung. Schnief.
Ach, das ist nur das trübe Herbstwetter, das mich auf solch trübe Gedanken bringt. Der feuchte Modergeruch von Abschied und Verfall, Vergehen, Verschimmeln und Nichtmehrwiederkommen… Memento mori. Zeit, mein Testament zu machen! Außerdem flieg ich nun auch bald nach New York, und über die Gefahren des Fliegens sprach ich ja schon in meiner letzten Kolumne. Hoffentlich stürz ich nicht schon auf dem Hinflug ab, das wär vielleicht bescheuert! Dann kann ich gar nicht mit der Staten Island Ferry fahren und mir Manhattan von Weitem anschaun. Das soll aussehn wie ein Haufen Legotürmchen auf einem Bachblech, hab ich mir sagen lassen. Hübsches Bild, oder? Überhaupt hab ich mir neulich ein Touri-Video über New York reingezogen, in dem Breakdance-Szenen mit süßlicher Industriefilm-Musik unterlegt sind. Und in der Staten Island Ferry waren viele Leute mit einem Miss-Liberty-Strahlenkranz aus Schaumstoff im Haar zu sehen (muß ich unbedingt haben!). Vor den amerikanischen Ernährungsgewohnheiten wurde ich allerdings gewarnt. Gibt es in ganz New York wirklich keinen einzigen Ballaststoff? Nicht mal einen klitzekleinen? Naja, dafür aber sicher viele dampfende Gullideckel, brennende Mülltonnen, immerwährendes Sirenengeheul, Wasserspender aus Plastik, Rapper mit riesigen Ghettoblastern, Madonna beim Shoppen, John F. Kennedy Jr. beim Streit mit seiner Frau im Central Park und was man halt noch so kennt aus den einschlägigen seriösen Informationsquellen über New York wie Woody-Allen-Filme, Cagney-und-Lacey-Folgen, Bunte und MAX.
Nee, auf dem Hinflug abstürzen wär nicht so gut. Dann lieber New York sehen und sterben. Für andere hieße das: hierbleiben und erben. Erben? Will den ganzen Schrott überhaupt jemand? Und ob: verschiedene Leute hörten von meinem Vorhaben und sicherten sich rechtzeitig ihre Pfründe. Angelika kriegt meine gesammelten „Galas“, Uta meinen Skulpturen-Baukasten „Der kleine Künstler“, Pia soll bitte Sean, das Plüsch-Schaf, unter ihre Fittiche nehmen, Heike hab ich meine 80er-Jahre-Kassetten zugedacht, Steffi bekommt meine Mond-Schneekugel und mein Chefredakteur erbt das große Jazz-Lexikon. Da wird er sich bestimmt freuen, denn tief in ihm drin, unter der harten Schale des Independent-Fans, schlägt das empfindsame Herz eines Jazz-Liebhabers… [Anm. d. Chefred.: Ist das Jüngste Gerücht auch für üble Nachrede zuständig??]
Wer sich hier nicht berücksichtigt sieht, sollte sich im Falle des Falles mit meinem Bruder in Verbindung setzen, dem eigentlichen Alleinerben, der mich hat wissen lassen, der Titel „Erbverweser“ gefalle ihm noch viel besser. Er kann sich ja von seinem Erbe Visitenkarten drucken lassen… Wenn ich tatsächlich nicht mehr zurückkomm, muß ich dann eigentlich vorher noch mein Zimmer aufräumen? Nee, ne?! Also: tut mir leid mit dem Chaos, aber im Kühlschrank steht noch ein Päckchen Butter und Kräuterquark, der müßte noch gut sein…