So, die Feiertage sind rum, viele Leser kommen gerade zurück aus der Ski-Freizeit (ein schönes Wort aus meiner Schulzeit, gefiel mir einfach besser als „Ski-Urlaub“ oder gar das prosaische „Ski-Fahren“), vom Magenauspumpen oder aus der Psychiatrie, wo sie sich vom weihnächtlichen Familienzwist erholt haben – und da kommt ein neues „Nähkästchen“ zur Aufmunterung gerade recht!
Zahllose Ratgebersendungen oder auch nur Ratgeber-Ecken in auch sonst todlangweiligen Fernseh-Sendungen weisen ja immer wieder darauf hin: Weihnachten ist in Wahrheit das Fest der Hiebe! Diese Einstellung ist längst zum Anti-Topos aufgeklärter Bürgerlichkeit avanciert und auch mir in Fleisch und Blut übergegangen, wie ich immer wieder erstaunt an meinen Geschenken feststelle, die ich nämlich primär nach ihrer De-Eskalations-Eignung auswähle und erst sekundär nach ihrer Zweckmäßigkeit für die restlichen 363 Tage. Gern verschenke ich zum Beispiel komplizierte Strategiespiele ab mindestens drei Mitspielern, für die sich mein Bruder schon diverse Erweiterungen zugelegt hat. Meine Mutter scheint das Prinzip jetzt auch begriffen zu haben, denn dieses Weihnachten wünschte sie sich – Kopfhörer(!).
Ich kam mir ganz besonders schlau vor und hab mir das größte 3D-Puzzle der Welt gewünscht („The most challenging Puzz-3D ever!“): die Südspitze Manhattans aus über 3000 (in Worten: dreitausend) Teilen. Allein, es hat nichts genützt, da meine Familie nicht einkalkulierte, daß im örtlichen Toys-R-us nicht alle 3D-Puzzles im selben Regal aufgereiht sind, sondern daß es ums Eck tatsächlich noch weitergeht und man seinen Blick zudem auch noch bis zur untersten Reihe schweifen lassen muß!!! Vielleicht dachten sie auch, drei No-Name-Wolkenkratzer von Ravensburger, die im Dunkeln leuchten, seien die Südspitze Manhattans von MB – aber zumindest meine Mutter kann sich damit nicht rausreden, denn die war ja erst kürzlich mit mir zusammen in New York, und ich glaub nicht, daß die in den letzten zwei Monaten da alles abgerissen haben und nur ich nicht auf der Höhe der Zeit bin.
Wie auch immer – so begab es sich aber zu der Zeit, daß sich Maria und Josef am ersten Montag nach Weihnachten in die Schlange der Umtauschenden bei Toys-R-us einreihten, direkt hinter eine Familie, die eine Zahnarzt-Barbie zurückgab, und mit einer positiven Differenz von über 2000 Puzzle-Teilen bzw. einem mittelgroßen Gepäckstück wieder herauskamen. Nur damit keine Mißverständnisse aufkommen: wenn ein Schlager-Quiz-Buch behaupten darf, Maria und Margot Hellwig seien Schwestern (!), dann sind mein Bruder und ich Maria und Josef – in der Reihenfolge!
Mein Bruder brachte mich hernach noch zum Bahnhof und bescherte mir ein seltsames Erlebnis der dritten Art. Ich muß ein klein wenig ausholen: mein Bruder hat mich ja bis zu seiner Ankunft sieben Jahre vor Langeweile fast verschimmeln lassen, weshalb ich auch als halbes Einzelkind durchgeh (wieviel sind eigentlich sieben Menschenjahre umgerechnet in Hundejahre?), aber als er dann mal da war, hatten wir viel Spaß miteinander. Gern stand ich am Fenster, wenn ein Elternteil mit ihm im Auto irgendwohin fuhr – nur weil es so lustig anzuschaun war, wie mein vergnügter Bruder mit glänzenden Augen auf dem Rücksitz saß und abfuhr.
Zurück in die Neuzeit: mein Bruder, mittlerweile fast zwanzig und mit Führerschein versehen, hatte noch ein bißchen mit Wenden zu tun, während ich mein Gepäck schon fast bis zum Bahnhofseingang geschleppt hatte und dort wartete, um ihm noch einmal zum Abschied zu winken. Tja, und als er vorbeibrauste, hatte ich ein echtes Déjà vu-Erlebnis: mein Bruder sitzt noch genauso vernügt und mit glänzenden Augen im Wagen, nur halt jetzt einen halben Meter weiter vorn. Und ich schau´s mir noch genauso gerne an. Schnüff.
Aber nochmal kurz zu meinen Puzzle-Erfahrungen, die sich allerdings in Grenzen halten, da ich es erst einmal verliehen hab, damit sich die Chance erhöht, noch in diesem Frühjahr mein Studium zu einem glücklichen Ende zu bringen. Okay, der Umzug war auch nicht ohne, aber wer will schon ewig in einem 25 Quadratmeter-Loch in Alt-Saarbrücken vor sich hin vegetieren, wenn man das doch auch mitten in der City mit Blick aufs Stadtbad tun kann?!! Und überhaupt: in der alten Wohnung war Null Platz für mein Puzzle, ungelogen! Das ist ja 1 m auf 70 cm groß und über einen halben Meter hoch! Die horizontale Umrandung (sechzehnspurige Straßen mit winzigen Autos darauf) hatte ich in der ersten Woche schon geschafft und ein kleineres gelb-schwarzes Hochhaus, ungefähr eines von dreißig, die sich mitunter farblich kaum unterscheiden und eklig verschachtelt sind. Jedenfalls standen in meinem Zimmer etwa zwanzig Gefäße, Schüsseln, Eimer, Töpfe etc. herum, in die ich wenigstens mal grob die Steinchen sortierte. Und dann geschah es, daß ich im Bus saß, unaufmerksam die Häuserzeilen an mir vorüberziehen ließ und wie in Trance im Geiste die Fassaden nach ihrer Farbe in meine häuslichen Gefäße, Schüsseln, Eimer, Töpfe etc. einsortierte…! Mal sehen, wann ich meine Freundin, der ich das Puzzle geliehen hab, mit ihrem ersten Nervenzusammenbruch am Telefon hab. Diese Woche jedenfalls noch nicht, weil die —— (Wort leider zensiert wegen unbotmäßiger Ausdrucksweise) von der Telekom erst nächste Woche unser Telefon verlegen.
Übrigens – mein Manhattan-Puzzle ist echt super und von der Perspektivik her total unverzerrt. Vor allem ist alles mit drauf, sogar das Empire State Building und auch das Chrysler Building mit seiner hübschen Art Deco-Spitze in Fischschuppen-Manier, immerhin zwei Top-Sehenswürdigkeiten New Yorks. Nur zum Vergleich: der Puzzle-Ausschnitt geht vom Battery Park ganz unten bis zum rechten Ende der Canal Street bzw. bis zum südlichen Ende des East River Parks, das sieht ungefähr so aus:
Und jetzt aufgepaßt: das Empire State Building steht in der 34th Street (A) und das Chrysler Building in der 42nd Street (B). Wohlgemerkt – beides auf dem Puzzle mit drauf!
Nach wie vor bin ich auf der Suche nach adäquaten Jobs für frisch abgeschlossene Germanistinnen, und da hab ich jüngst noch einen weiteren Traumberuf entdeckt: „Lotse“ in der Sendung „Ich trage einen großen Namen“! Das ist ein Quiz mit Hansjürgen Rosenbauer im SWR, wo ein Nachfahre oder Verwandter eines prominenten Menschen zu Gast ist, und ein Rate-Team (meist Georgia Tornow, Ernst-Dieter-Lueg, Gabriele von Arnim, Wilhelm Wieben etc.) muß mit Ja/Nein-Fragen drauf kommen. Am Anfang wird immer eine Musik aus der Zeit des zu Ratenden gespielt und zugleich dessen Name eingeblendet, so daß Zuschauer, die mitraten wollen, während der Musik einfach nur die Augen zumachen müssen. Das Rate-Team natürlich auch, sonst wärs ja zu einfach.
Und dann gibts eben noch den „Lotsen“, in der Regel Gerd Appenzeller von irgendeiner süddeutschen Tageszeitung, der am Ende jeder Runde einen dezent ironischen Abriß über Leben und Werk des Prominenten gibt und immer so gut vorbereitet sein muß, daß er jederzeit einspringen kann, wenn sich das Rate-Team in eine Sackgasse manövriert hat, in die es der Lotse mit seinen unnachahmlichen Hinweisen noch ein wenig weiter hineintreibt. Nein, im Ernst, der Mann ist wirklich Klasse und für mich der eigentliche Kult dieser Sendung. Als die Schwester von Janis Joplin (!) zu Gast war, hat er das Rate-Team mit der Bemerkung gefoppt, die gesuchte Prominente habe im Teenager-Alter mal versucht, in der Badewanne Bier zu brauen. So konnten sie natürlich nie auf Janis Joplin kommen, denn die hat sich mit Bier bekanntlich kaum abgegeben, höchstens bei Erkältungen (heißes Bier mit Honig…) oder um ein paar Aspirin drin aufzulösen.
Ja ehrlich, den Lotsen-Job in „Ich trage einen großen Namen“ würd ich sogar ehrenamtlich machen, so klasse find ich den, aber noch mehr wünsch ich mir natürlich, Gerd Appenzeller bliebe uns noch lange erhalten, denn ohne ihn ist das Ganze nur eine altbackene Rate-Runde aus der TV-Paläontologie, wo ausgemusterte Kultur- und Nachrichten-Journalisten ihr Gnadenbrot bekommen. Wenn ich wieder ein bißchen Gift in der Feder hab, meld ich mich demnächst nochmal zu einem Neuzugang dieser Rate-Runde zu Wort, dem aufgeblasenen Dummschwätzer Gerhard Konzelmann, aber heute bin ich dazu einfach zu milde gestimmt…
Ich hab das Gefühl, mein „Nähkästchen“ wird diesmal eine Splitter-Kolumne. Vielleicht erinnert Ihr Euch noch, wie ich vor wenigen Monaten gewarnt hab, daß zuviel soziale Kontakte der Kolumnen-Qualität nur abträglich sind, da der isolierte, von seiner Umwelt ab- und ausgegrenzte Kolumnist der beste ist! Aber die biologische Uhr tickt, und diese Gesellschaft ist nunmal eindeutig Paar-orientiert, da nimmt es nicht Wunder, wenn sich auch Fräulein Katja wieder fest bindet. „Fest bindet“ – nicht „festbindet“, das ist etwas vollkommen anderes – äh, oder vielleicht doch nicht? Hätte ich das Kleingedruckte aufmerksamer lesen sollen…? Ja, bestimmt, denn vermutlich kommt nun eine arbeitsrechtliche Verfassungsklage vor dem Europäischen Gerichtshof auf mich zu, da ich beim Kolumnisten-Einstellungsgespräch natürlich gefragt wurde, ob ich geselligen Umgang pflege und mir vorstellen könnte, auch mal wieder eine „Beziehung“ einzugehen. Hab ich natürlich alles verneint: „Nein, sowas hab ich nicht. Nein, völlig ausgeschlossen, ich doch nicht.“ Aber wer konnte denn ahnen, – ?!!
Jetzt hab ich natürlich ein Problem mit dem Herausgeber, denn der findet das nicht so witzig, fürchtet um seine Klientel und um seine Kolumne. Aber der Chefredakteur steht hinter mir (der kann den Herausgeber auch nicht leiden…), und außerdem ist mein Anwalt ein schlauer Fuchs, der war schon Lady Di´s Scheidungs-Advokat, rehabilitierte General Kiessling, rettete Frank Förster vor den Malaysischen Henkern, holte Mathias Rust aus dem sibirischen Gulag, bescherte den Bewohnern eines belgischen Kaffs viel Publicity mit ihrer Klage gegen Napoleon, hielt flammende Plädoyers vor der Spanischen Inquisition, verschaffte einem verschrobenen Mandanten Recht, der doch nur gesagt hatte, daß sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt (aber die Katholische Kirche hatte damals millionenschwere Werbeverträge mit der Sonne und war zudem noch vor den Fuggern und der Westindian Company die erste Macht im Staat…), vertrat Jesus gegen römische Lobbyisten und betreute gleichzeitig noch Vera Brühne, Ingrid van Bergen und Monika Böttcher (vormals Weimar), die Eltern von Ulrike Meinhof und die Nichten von Hanns-Martin Schleyer. Nebenbei kümmert er sich noch um diese dumme Amtsenthebungs-Sache von Clinton, und er vertritt Susan Stahnke gegen die „Tagesschau“ und den gesunden Menschenverstand. Zugegeben, die Umstellung vom alten Scherbengericht auf moderne Zivilverfahren fiel ihm nicht ganz leicht, aber er hatte ja ein paar Jahrtausende Zeit, sich daran zu gewöhnen und kommt mittlerweile ganz gut mit der neuen Situation klar.
Wir, mein Anwalt und ich, berufen uns jetzt darauf, daß ich zwar gelogen hab, aber die Fragen nach meinem persönlichen Umgang und Beziehungs-Plänen von vornherein unzulässig waren, weil viel zu intim und mit meinen beruflichen Fähigkeiten in keinerlei Zusammenhang stehend. Wünscht mir Glück!
„Splitterkolumne“ deshalb, weil mir zur Zeit nur kleine Themen-Schnipsel einfallen – der Großteil meines Hirns (klingt, als gäbs viel davon – ist aber nur ein Trick!) ist momentan natürlich mit ganz anderen Dingen beschäftigt, denn Fräulein Katja hat ja nicht nur einen neuen Partner, sondern in Bälde auch einen neuen Mitbewohner, sie zieht nämlich wieder in eine WG. Dann gibts nur noch Fragment-Kolumnen… Nein nein, keine Angst, das würde mein Chefredakteur nie zulassen. Er ist der Hauptmieter… Nein, stimmt so auch nicht.
Also, ich liste einfach mal meine Splitter auf… Zum Beispiel hab ich zur Zeit das zweifelhafte Vergnügen, mich mit einem hundert Jahre (okay, von 1897) alten Klassiker der Soziologie zu beschäftigen: „Der Selbstmord“. Nein, so schlimm ist das nicht, im Gegenteil, sogar stellenweise ganz amüsant, denn Emile Durkheim, der unter anderem mit dem späteren Sozialistenchef Jaurès und dem späteren Lebensphilosophen Henri Bergson zur Schule gegangen ist, hat sich höchst interessante Gedanken über gesellschaftliche Selbstmord-Ursachen gemacht, denn alles andere ist Nebbich, etwa „Mmh, was der Werther kann, kann ich auch“, „Wow, der Steppenwolf ist ja so inspirierend“, „Oh, im ZDF läuft heute abend ´Tod eines Schülers´ Teil 16, das tu ich mir nicht mehr an“, „Meiner Ex, der zeig ichs jetzt mal, der wird das noch leid tun“ oder „Hilfe, ich bin bei MTV in der Heavy Rotation, unser zweites Album schreibt Musikgeschichte, und die „Unplugged“-Session ist auch erledigt – ich pack´s dann mal…“. Nein, in Wirklichkeit sind wir nur Opfer sozialer Strömungen, und in Wirklichkeit hat sich Durkheim auch weniger Gedanken über individuelle Selbstmord-Anlässe gemacht als über das Zustandekommen auffallend stabiler Selbstmord-Raten spezifischer Gesellschaften, aber das interessiert hier weniger, sondern ich wollte einfach nur meine Hitliste der schönsten Sätze aus dem „Selbstmord“ aufstellen, Best of Durkheim sozusagen:
Platz 3: (zur Feststellung, daß eine Frau nur über rudimentäre Empfindungsfähigkeiten, namentlich in Sachen „Geselligkeit“, verfügt) „Sie hat nur wenig Bedürfnisse in dieser Richtung und befriedigt sie mit geringem Aufwand. Mit einigen Äußerungen von Ergebenheit, mit der Pflege einiger Tiere ist das Leben der alten Jungfer ausgefüllt.“ (Wie wahr!)
Platz 2: (zur Tatsache, daß oft sehr naheliegende Umstände die Wahl der Tötungsmittel bestimmen) „Darum wird zum Beispiel in den großen Städten der Tod durch Abstürzen viel häufiger gewählt als auf dem Lande, nämlich einfach weil die Häuser oft höher sind.“
Platz 1: „Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß sie (die Skandinavier, Anm. d. Verf.) intelligenter seien als die Italiener, und doch wählen sie zwei- bis dreimal so häufig den Tod.“ (!)
Und noch eine Hitliste, nämlich die der von mir in meiner Kindheit meistgehaßten Kleidungsstücken. Angeregt wurde ich dazu, als ich neulich im Bus saß und draußen ein Mensch mit einer dieser unsäglichen Wollmützen vorbeilief, die man sich ganz über den Kopf zieht, und vorn bleibt dann ein großes Loch fürs Gesicht frei, wo man durchgucken kann. Also ingesamt zwei Löcher, das untere für den Hals mitgerechnet. Hat was Kosmonautisches – wenns nicht so gruselig wär… Es war jedenfalls gar bitter kalt draußen, und ich weiß nicht mehr, obs ein erwachsener Mensch war, der die Mütze trug, denn gemeinhein quält man nur Kinder damit, aber es war auf alle Fälle ein Mensch!
A propos „Quälen“ – hat Euch Eure Mutter auch so lange morgens die Klamotten rausgelegt? Mit „lange“ mein ich: bis ins hohe Alter! Nein? Meine aber, und ich bin bis heute dadurch derart traumatisiert, daß ich es nicht fertigbringe, morgens einfach was aus dem Schrank zu nehmen, anzuziehen und fertig. Nein! Erstmal weiß ich ewig nicht, was ich anziehen soll, auch wenn ich die Lichter meines Busses schon von Ferne blinken sehen kann, und dann muß es meist auch noch gebügelt werden und so, jedenfalls ist es immer ein Riesen-Act. Naja, ganz so schlimm auch wieder nicht, aber hier scheint mir doch eine antrainierte Hilflosigkeit vorzuliegen, die auf übermäßige mütterliche Protektion zurückgeht.
Wie lang hat sie mir eigentlich die Klamotten rausgelegt, mal überlegen, aber wahrscheinlich schon so bis in die sechste Klasse hinein, also so bis ich zwölf war. Unfaßbar, oder?!! Ich hab das so dermaßen gehaßt und den Tag regelmäßig mit Schaum vorm Mund begonnen, denn diese Klamotten-Rauselege-Prozedur ist verdammt erniedrigend. Erstmal, nicht selbst rausnehmen zu dürfen, und dann auch noch die Angst, irgendwelche Horror-Kollektionen in die Hand gedrückt zu bekommen. (Bis heute repetiert meine Mutter übrigens immer mal wieder die Frage „Ich hab dich immer nett angezogen, nicht wahr? Das haben auch andere gesagt, die Silvia Fink zum Beispiel hat doch mal gesagt, Du wärst immer so nett angezogen, weißt du das noch?“) Als hätte ich mir nicht selbst was aus dem Schrank nehmen können! Und überhaupt, was wäre denn dagegen einzuwenden gewesen, vierzehn Tage lang in denselben Lieblings-Sachen rumzulaufen? Das ist unheimlich praktisch: nach einer Woche stellt man sie abends nur noch in die Ecke und steigt morgens grad wieder rein…
Platz 3: Diesen Rang der von mir meistgehaßten Kleidungsstücke meiner Kindheit teilen sich zwei Mützen. Eine davon ist natürlich oben erwähntes Woll-Ungetüm, bäh! Wer seinen Kindern sowas überstülpt, darf sich nicht wundern, wenn sie sich später nur noch zwei Sehschlitze in gestrickte Kopf-Tüten reinschneiden oder sich gleich ein paar Nylons über die Birne ziehen…
Ich hatte aber noch was „Besseres“: eine weiße Flokati-Mütze, die unterm Kinn zu schnüren war und an jedem Band noch einen Bommel dran hatte. „PomPoms“ (frz.) nannte man das in meiner Grundschulzeit. Mußten wir in „Textiles Gestalten“ (!) machen: da nimmt man zwei Papp-Ringe übereinander, umwickelt sie mit Wolle bis nix mehr durchs Loch durchgeht, schneidet das dann am Rand auf, bindet noch schnell einen Faden zwischen die Ringe, entfernt die Pappe und spreizt die Fäden zu einem lustigen, nutzlosen PomPom!
Diese Mütze ist so widerlich, daß ich auch nicht die Ausrede gelten lassen, das sei in den 70ern mal modern gewesen. Nein, irgendwo gabs auch in den 70ern Grenzen! Nur bei meiner Mutter nicht! Zu meinem achtzehnten Geburtstag hat sie mir ein Fotoalbum geschenkt, in dem mein bisheriges Leben dokumentiert war, und zwar ausschließlich meins! Ein paar Fotos mußte ich leider gleich mal zensieren bzw. eliminieren („Belastungsmaterial vernichten“ nennt man sowas in der Kriminologie), darunter auch jenes, wo ich mit fünf Jahren wie ein Idiot auf einem Baumstamm sitze, besagte Mütze trage und zusätzlich noch eine Cord-Schlaghose, orthopädische Schuhe (in ihrer knöchelhohen Form die Basketball-Stiefel-Mode der 80er und 90er vorwegnehmend, also gewissermaßen visionär!) und eine wollene Jacke mit solch überdimensionierten Karos, daß Frankenfeld sie mir ohne viel Federlesens vom Leib gerissen hätte. Wär ihm aber zu klein gewesen…
Platz 2: Hier sollte ja erst das Dirndl hin, das ich an meinem 4. Geburtstag beim Fotografen tragen mußte (woran man gleich erkennt, daß ich die Erstgeborene bin, denn solchen SchnickSchnack macht man mit den nachfolgenden Kindern nicht mehr, für meinen Bruder wurde auch nicht mehr in den ersten Lebensjahren ein ganzer Film pro Monat verknipst!). Aber dann fiel mir noch was viel Schlimmeres ein, nämlich ein karierter Faltenrock (rot-grün, natürlich Schottenmuster und stets kombiniert mit einem roten Rollkragenpulli), doch das Allerschlimmste war ein zum Rock gehöriges Accessoir – eine übergroße goldene Sicherheitsnadel!!!!!!!!! Muß ich dazu noch was sagen? Nein, dacht ich mir.
Platz 1: Der Spitzenplatz gebührt dem mit Abstand kuriosesten „Kleidungsstück“, das ich je ge- , das mich je be- , naja, daß ich halt je anhatte – und es trägt wie kein zweites die Insignien der 70er Jahre, denn es war aus Denim und von Quelle: ein kompletter Jeans-Overall!!! Eine Ganzkörper-Lachnummer mit Reißverschluß vom Kinn bis zum Nabel! Vielleicht ein früher Versuch, mir eine Lehre als Kfz-Mechanikerin nahezulegen… Auch dieses Stück wurde gern mit Rollkragenpullover kombiniert, und wahrscheinlich hab ich dann dazu noch meine Clogs getragen, die ich mir als Belohnung für meinen ersten Zahnarztbesuch aussuchen durfte. Mein persönliches Lieblings-Kindheits-Kleidungsstück – fällt mir grad ein – war ein bedrucktes T-Shirt (kam ja im Grunde auch erst in den 70ern auf) mit einem Emblem für das „Jahr des Kindes“ – eine Institution, die meine Eltern gleich wörtlich nahmen und Anno 79 meinen Bruder in die Welt setzten…
Ich erinnere mich, daß das Teil (der Overall) hinten eine Hosentasche hatte – nur eine zwar, aber das war Ende der 70er schon viel! Ich stand damals unglaublich auf Hintertaschen, ja, ich fand sie so klasse, daß ich mir gern lässig beim Gehen eine Hand reinsteckte im Glauben, das sei cool. Und Jeans an sich fand ich auch dufte. Jedenfalls hab ich den schweren Verdacht, damals mit „Jeans“, vor allem aber mit dieser Hintertasche zur Bestellung geködert worden zu sein: „Katja, hör mal, hier im Katalog gibts einen ganz tollen Nuschelnuschelnuschel aus Jeans, sollen wir den für dich bestellen?“ „Warte, ich komm mal rüber und schau mir das Foto an.“ „Ääääh, Nein! Spiel ruhig weiter, aber der Nuschelnuschelnuschel hat auch eine Hintertasche!“ „Ja okay, nehm ich!“
Es gestaltet sich nicht immer einfach, Nachschub für´s Warenkörbchen zu finden. Neulich trabte ich im Tran durch die Lebensmittel-Abteilung im Karstadt und mein Hirn zuckte bei allem Unbekannten – in der Neurologie auch bekannt als „Warenkörbchen-Reflex“ – nur daß mir das sogar vorm Hundefutter-Regal passierte! Eine Freundin, der ich davon berichtete, hat das Prinzip dieser Rubrik wirklich verstanden, denn sie meinte spontan: „Das kannst du ja machen, wenn dein Bruder wieder zu Besuch ist.“ Genau! Aber was mach ich bis dahin? In meinem Küchenregal stehen noch drei billige Tetra-Pack-Glühweine – sicheres Anzeichen dafür, daß ich bald mit dem Studium fertig bin und sich mein Freundeskreis bereits weitgehend aus abgeschlossenen Akademikern, Zwangsexmatrikulierten oder halt einfach nichtstudentischen Berufstätigen rekrutiert, die nur edle Tropfen schlürfen, und ich eben nicht mehr in Studenten-WGs wohne, denn da wär gewiß kein Tropfen billigen Glühweins übrig geblieben! Oder nehm ich mir mal LIDL-Fertigerichte für Einsfünfzig vor – die kann ich auch aus dem Kopf machen. Aus meinem, haha – nein (blöder Kalauer), aber im Ernst, ich glaub, das würd kaum anders schmecken. Bis jetzt kenn ich die Reisgerichte „Mexikanisch“, „Gemüse mit Pilzen“ und „Curry-Huhn“. Nur das letzte schmeckt so eklig, daß nichtmal ich es eß, der Rest der Menschheit wär schon bei den beiden anderen vorsichtig. Aber nun krieg ich ja bald einen neuen Mitbewohner, der ganz toll kochen kann (sagen auch andere), und vielleicht probiert der im Gegenzug mal meine Warenkörbchen-Palette, oder? Hm, mal sehn.
Frl. Katjas befindet sich, wie bereits erwähnt, im Liebesfrühling, und das heißt natürlich fürs „Warenkörbchen“: Austern, Pimpernell und andere Aphrodisiaka! Nein nein, die brauchen wir (noch) nicht, ist ja erst Frühling… Aber das Tollste an einer neuen Partnerschaft ist ja nicht guter Sex, fruchtbare Diskussionen vorm Schlafengehen oder am Geburtstag ein Geschenk mehr, sondern jemand, den man beim Fernsehkrimi-Gucken fragen kann, wenn man was nicht verstanden hat!
Äh, ich schweife ab, um von meiner Warenkorb-Misere abzulenken, denn die Ausbeute heuer war dürftig, nur ein einziges Produkt fand Gnade vor der Rezensentin Augen, was die Körbchentauglichkeit anging, und zwar:
„Swiss Miss: Marshmellow Lovers. A big bag full of marshmellows for each cup of cocoa“
„Cocoa“ ist amerikanisch für „Kakao“, was in diesem Fall für in heißem Wasser gelöstes, braunes Getränkepulver mit Schoko-Geruch steht. Mein Co-Tester, der an sich extrem gern „Heiße Schokolade“ trinkt, erkennt blind, ob ein Kakao mit Wasser oder Milch gemacht ist und wählt auch seine favorisierten Cafés nicht zuletzt anhand dieses Kriteriums aus. „Marshmellow Lovers“ hatten bei ihm keine wirkliche Chance.
Die Kombination von Marshmellows und Kakao erschien mir bizarr genug, um Eingang ins Warenkörbchen zu finden, aber vielleicht sollte ich erstmal erklären, was Marshmellows sind, oder? Es handelt sich dabei um eine Art eßbaren Airbag, hierzulande auch bekannt als „Mäusespeck“, bestehend aus geschäumtem Ichwillgarnichtwissenwas und zieht sich bei heftigem Lutschen blitzschnell zu einem nichtigen Häuflein Zuckerschmelz zusammen. Aufmerksame Peanuts-Fans kennen Marshmellows auch aus Stories, in denen Snoopy als Anrührer der Beagle-Scouts mit seinen gefiederten Schützlingen wandern geht und im Wald zeltet. Als Abendessen gibts am Lagerfeuer regelmäßig geröstete Marshmellows, die auf einen Holzstock gespießt und übers Feuer gehalten werden.
Zurück zu den „Swiss Miss.Marshmellow Lovers“. Der Inhalt besteht aus 8 Doppeltütchen (in einem das Pulver, im andern die Marshmellows), ein großes Pulverpaket plus einer Tüte Marshmellows hätts auch getan, aber das wäre nicht amerikanisch genug ohne dieses Flair von Fertiggericht.
Natürlich gab es neben der „conventional preparation“-Anweisung (wie rückständig) auch eine für „microwave preparation“! Hey, dachte ich, da geht´s bestimmt ab, das ploppt sicher ganz toll und ist besser als Fernsehen, und zufällig hat ja mein neuer Mitbewohner eine Mikrowelle mit in die We-Ge-He (Kombination von „WG“ und „Ehe“ gebracht, also mal ausprobieren! Doch dann las ich den entscheidenden Preparation-Unterschied, der einzig und allein in der Erhitzung des kakao-freienWassers bestand, das hernach zum Pulver zu gießen war. Das fand ich dann doch nicht so aufregend.
Ich erhitzte also das Wasser rückständig und konventionell, goß es auf das Pulver und schüttete anschließend eine muntere Schar kleiner weißer Marshmellows darauf. Mein Co-Tester fragte besorgt, ob ich auch korrekt vorginge, und ich zitierte ihm die Gebrauchsanweisung: „Add marshmellows and enjoy“. Die Marshmellows sogen sich ein klein wenig mit Wasser voll, schmolzen und gaben beim umrühren leise Zisch-Laute von sich. Alsbald waren sie verschwunden und der Co-Tester sehr enttäuscht. Ich auch, denn mehr als ein Wasser-Kakao mit einer Schicht synthetisch duftender Süßware war nicht drin. Aber ein Tütchen mit Marshmellows auf einen Kakao zu gießen, ist schon irgendwie lustig.
A-Note: 3 (die Tütchen-Abpackung suggeriert weniger Aufwand, aber es braucht doch immer noch ein Warmwasser-Gerät, Tasse und Löffel sowie eine Spüle, um den schalen Rest wegzugießen)
B-Note: 3 (Kakao mit Wasser ist doof, der Gag mit den Marshmellows ganz lustig, aber auch wieder nicht sooo lustig, daß es für eine 2 gereicht hätte)