Und wieder mal ein Abschied: 1993 sagten Blur dem Indie-Dance-Ding ihres Debüts „Leisure“ auf Wiedersehen und schufen ihre ‚Britpop‘- Trilogie, bestehend aus „Modern Life Is Rubbish“, „Parklife“ und „The Great Escape“, von der man sich mit dem Album „Blur“ wiederum distanzierte. Und was jetzt?
Natürlich haben sich Blur wieder mal selbst neu erfunden und sich, um auf den Abschied zu sprechen zu kommen, von ihrem langjährigen Produzenten Stephen Street getrennt. Statt dessen produzierte William Orbit, der, der die zahlreichen Spuren des letzten Madonna- Albums zugeknallt und ihr ein moderneres musikalisches Antlitz verschafft hat. Was entsteht, wenn so einer eine der kreativsten (quantitativ und qualitativ) britischen Bands im Studio coacht?
Das weiße Album. Jenes Spätwerk der Beatles wird oft in einem Atemzug mit der neusten Blur- Veröffentlichung genannt, und „Tender“, die Single und gleichzeitig erstes Stück des Albums (es enthält übrigens einen Gospel-Chor), klingt auch arg nach John Lennon, aber was danach kommt ist nun nicht gerade ‚beatlelesque‘. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten zwischen beiden Alben: Ebenso wie das weiße Album klingt 13 freier und weniger zusammenhängend als seine Vorgänger. Die Songs wurden nicht festgenagelt oder herauskristallisiert und in angenehme Drei- bis Vier- Minutenformate verpackt.
Streckenweise klingt das alles fast schon improvisiert, aber trotzdem nicht unmotiviert. Laut Aussagen der Band war die Herangehensweise von William Orbit eine gänzlich andere als die seines Vorgängers. Es wurde mehr experimentiert, gejammt, während er aufnahm und das alles zu einem großen Puzzle zusammensetzte. ‚In der Kürze liegt die Würze‘ war sicherlich nicht sein Motto, was das Format der Stücke angeht. Von mir aus hätte es auch manchmal ein bißchen weniger sein können, wobei das ‚mehr‘ nicht wirklich störend sondernd ungewohnt für Blur ist.
Auch was den Sound angeht, gibt es ein ‚mehr‘ an Experimentierfreude. Verzerrte Gesänge galore („Bugman“, „B:L:U:R:E:M:I:“), hysterische Gitarrensounds („Swamp Song“) einerseits und wabbernde Klangteppiche („Battle“) andererseits. Wenn der Gesang gerade nicht verzerrt ist, was natürlich auch noch oft vorkommt, erscheint Damon Albarns Gesang in voller Pracht. Es hört sich nicht immer leicht an, was er da singt. Einer der Höhepunkte des Albums ist dennoch „Coffee and TV“, das Stück, das von Gitarristen Graham Coxon gesungen wird, und eher als ’normaler‘ Popsong daherkommt, auch in Sachen Produktion.
Es gibt sogar eine sparsam instrumentierte Fast-Schon-Blues-Nummer: „No Distance Left To Run“. Es ist an dieser Stelle bereits leicht zu erkennen, daß dem Album mit Verallgemeinerungen schwer beizukommen ist. Im Prinzip ist jeder Song ein Universum für sich. „13“ ist kein ‚Konzeptalbum‘ (was für ein ekelhaftes Wort), wie „The Great Escape“ gewissermaßen eins ist.
Über die Texte läßt sich sagen , daß sie teilweise sehr persönlich sind, was daran liegt, daß Damon Albarn in ihnen Trennung von seiner langjährigen Freundin Justine Frischmann (Elastica) verarbeitet. Dennoch ist das Album nicht der reine Weltschmerz. Im Gegenteil: Eine Zeile wie „Love’s the greatest thing“ („Tender“) hätte man ein paar Alben vorher lediglich für einen zynischen Witz gehalten. Auf „13“ ist sie zweifellos ernst gemeint. Außerdem gibt es zahlreiche Textfragmente, deren Sinn wahrscheinlich nur Albarn selbst kennt. Da geht es in „Trailerpark“ um einen country boy, der sein Mädchen an die Rolling Stones verloren hat, und das.
Alles in allem läßt sich sagen, daß es nichts gebracht hat, sich mit älteren Blur-Alben auf das neue einzustimmen; wieder einmal ist das neue gewohnt ungewohnt: – Schade aber toll. „13“ wird sicherlich eines meiner Alben des Jahres 1999 werden.
Blur: 13 (Food) [3-99]
Wie erwähnt, hat unser Rezensent die früheren Blur-Alben noch einmal durchgehört und so findet Ihr auf Hinternet auch Kurzrezensionen zu
==>„Leisure“ (1991),
==>„Modern Life Is Rubbish“ (1993),
==>„Parklife“ (1994),
==>„The Great Escape“ (1995) und
==>„Blur“ (1997).
Viel Vergnügen!