Clinic: Internal Wrangler

Clinic, dachte ich einst, sind eine der besten Bands, die die Charts nie von innen sehen werden. Vermutlich werde ich Recht behalten. Dabei sind Clinic eine der raren Gruppen, die dem Rock tatsächlich nochmal ein neues Gesicht geben. Von allen aktuellen Bands sind sie mir mit Abstand die liebste. Ja, sie sind die einzigen, die mich in Sachen Neuentdeckung wirklich euphorisch gemacht haben. Jetzt ist der Longplay da, und meine Euphorie verstärkt sich noch.

„Krank“ und „primitiv“, aber „super“ waren der zweite, dritte und vierte Gedanke, den Clinic bei mir auslösten. Ihre Rhythmusbetontheit verleiht den Songs eine enervierende Penetranz. Mehr eine Art vertonter Alarm als sonstwas. Eine Art durchgeknalltes Kinderzimmer. Dazu die kleinen, abgehackten Lead-Vocals mit der spirreligen Stimme, die vor keinem Gefühlsausbruch, vor keine Ekstase zurückschreckt – mag es auch noch so schräg klingen. Es ist eben echt, ungekünstelt und vor allem ungeschönt. Da gab es doch mal jemanden, der klang so ähnlich. Richtig, Frank Black. Überhaupt klingen Clinic mitunter verdammt nach den Pixies, nur eben ohne Surf. Dafür rauschen hier im Hintergrund um so mehr Strandwellen. Wenn nicht grade auf- und abschwellende, textlose Harmonie-Gesänge den Hörer gruseln.

„Internal Wrangler“ stellt mehrere Dinge klar: unter der betont simpel gehaltenen Oberfläche liegt eine Goldmine an Virtuosität und Vielfältigkeit. Clinic als verspätete Punk-Truppe mit Liebe zur Monotonie abzutun, greift viel zu kurz. Als der liebe Gott die Songwriterkunst vergab, hat er viel davon über Liverpool ausgekippt, das ist klar. Aber dass sie selbst zur Jahrtausendwende noch nicht aufgebraucht sein würde – ?! Clinic schreiben durchweg hübsche, kleine Ohrwürmer. Und sie sind in der Lage, sie in der unterschiedlichsten Aufmachung aufzubereiten! Als sirenenhafte Teenager-Hymne mit viel Geblubber, als zart gezupfte Ballade, als Bass-gesteuertes Hook-Gerippe mit aprupten Pausen, wie es eben nur sie können. Oder als Down-Beat-Elegie mit stupidem Casio-Rhythmus. Hauptsache, die Atmosphäre stimmt.

Deutliche Reminiszenzen an Phil Spector, Beethoven und die Shangri-La´s winken mit dem Zaunpfahl: Retro! Tatsächlich scheint das Quartett vor allem vom amerikanischen Garagen-Rock der 60er-Jahre beeinflusst. Wenn nicht gerade kleine Fifties-Melodramen mit dem Punk kurzgeschlossen werden. Trotzdem: den Clinic-Sound erkenne ich mit verbundenen Ohren unter zehntausenden heraus. Und er gehört definitiv dem 3. Jahrtausend, auch wenn´s die Band schon ein paar Jährchen gibt. Und ich bleibe dabei: sowas hat die Welt noch nicht gehört. Clinic haben einen eigenen, einen neuen Sound kreiert. So gar nicht zwischen Rock und Pop zu unterscheiden, nicht das übliche Alternative-Geschrammel zu bieten und schon gar kein Brit-Irgendwas – das ist schon spannend. Und erfrischend.

Clinic: Internal Wrangler
(Domino WIGCD78P/Zomba)

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