Ganz zu Anfang der, wie wir Experten sagen, „computer history“ konnten Textverarbeitungen nicht einmal das, was sie in ihrem Namen versprachen. Man tippte einige Sätze ein, wartete auf die Verarbeitung und gab, als diese vergeblich auf sich warten ließ, den Speicherbefehl. In diesem Moment hatte man verloren, denn das Speichern der Texte war nicht vorgesehen, geschweige denn das Ausdrucken.
Solche Mängel der ersten beseitigte die zweite Generation. Texte werden eingetippt und verarbeitet: Da ein Kapitälchen, dort ein roter Unterstrich, hier fett, dort kursiv – und den ganzen Schmand schließlich noch mit einer vorgefertigten Grafik geschmückt, die dann vom jämmlicherlichen Inhalt des Geschreibsels ablenkt.
Denn genau das ist natürlich das Problem. Was nützt mir die beste Textverarbeitung, wenn die Texte so schlecht sind, daß das Papier, auf dem sie letztendlich ausgegeben werden, kotzen müßte., wenn es denn kotzte könnte?
Die Lösung wird noch in diesem Jahr mit der dritten Generation von Textverarbeitungssoftware geliefert. Sie heißt „Dichter-Word 2000“ und stammt, versteht sich, aus dem Hause Microsoft. Worum geht es?
Nun, rufen wir uns den üblichen Weg eines Textes aus dem Kopf in den Rechner vor unser geistiges Auge. Wir haben eine Idee. Sie ist bescheiden, aber sie gehört uns. Sagen wir, die Idee sei die, man könnte dem Fräulein Louise doch mal einen Liebesbrief schreiben, wer weiß, wozu es gut sein wird. Jetzt formulieren wir: „Liebe Louise. Ich steh auf dich. Das solltest du wissen. Jetzt weißt dus. Hochachtungsvoll.“ Dieses Wunderwerk deutscher Sprache vertrauen wir unserem Rechner mitsamt seiner Textverarbeitung an – und der Bursche frißt es tatsächlich! Kein Fenster öffnet sich und droht „Diesen Mist nehme ich nicht an!“, nein, die Textverarbeitung formatiert nach unseren Wünschen, der Rechner speicherts, der Drucker druckts, Fräulein Louise liests und schmilzt ob aller Poesie des geschriebenen Wortes dahin wie ein Amboß am Nordpol.
Genau an diesem Punkt liegt die revolutionäre Neuerung von Textverarbeitungen der dritten Generation. Sie beinhalten eine Reihe von Modulen, die unseren Schmonzes nach gewissen Qualitätsmerkmalen bewerten und, wenn diese nicht erfüllt sind, umarbeiten. Dieses Prüfmodul, dessen deutsche Version „Reich-Ranitzki“ heißen wird, leitet den Text mit einem entsprechenden Kommentar („Der schreibt wie meine Frau rechnet!“) an die sogenannten „Dichter-Module“ weiter. Der Anwender kann sich nun aussuchen, in welchem Stil sein Text aufgemöbelt werden soll.
Bleiben wir bei unserem obigen Beispiel des Liebesbriefs. Das Modul „Romantik“ würde ihn folgendermaßen umschreiben: „Liebstes Fräulein! Als ich gestern mit der Straßenbahn gen Osten fuhr, sah ich die Sonne zum Firmamente steigen und hörte der Taube gurrenden Ruf sowie des Postillon schmetterndes Horn. Da plötzlich war mirs, als ob mein Herz schier zersprünge, denn die Sonne, mein liebstes Fräulein, das waren doch Sie! Und war ich nicht das Firmament?….“ usw.
Schauen wir uns an, was das Modul „Marxismus-Leninismus“ zu bieten hat: „Genossin! Wieder einmal steht das Ende des Kapitalismus vor der Tür. Eine gute Gelegenheit, denke ich, eine Zweierkolchose auf der Basis des XX. Parteitags zu gründen. Unseren Fünfjahresplan, die Herstellung von sechs Kindern, möchte ich daher bereits heute abend mit Ihnen in Angriff nehmen. Bis dahin, mit proletarischem Gruß….“
Momentan sind neben den vorgestellten noch die Module „Bürgerlicher Realismus“, „Günter Grass“(auf zwei ExtraCDs), „neuer deutscher Roman“ und „Sigmund Freud“ bis zur Serienreife gediehen. Ein sogenannter Stilmixer erlaubt es, die vorhandenen Module nach dem Zufallsprinzip zu kombinieren. Etwa so: „Tussie! Ihre frühkindliche Prägungsphase ist nun vorbei“ Jetzt, da Oskar nicht mehr daheim in Masuren trommelt , sucht er ein dralles Weib, mit dem er, Louise, den Rest des Lebens verbringen möchte. Die Straßen sind grau. Die Häuser dunkel. In den Betten wird begattet, bis der Ödipuskomplex, der unsere Seelen in der Brust schier erfüllet mit bangen Gedanken, also ich fänd es echt cool, total geil, wenn du, Lou, ma mit mir, aber mir geht’s heut so scheiße, aber mit dir, denk ich, äh, ja, also…und also sprach Oskar: Übermorgen 15 Uhr, dort, wo der Hirsch im dunklen Tann sein röhrend Lied erklingen läßt, und zwar, bitte, ohne Kastrationsängste und Penisneid. Ich warte!“
Das ist Deutsch! Das ist Microsoft!