Lektion 24: Frühjahrsputz

„Vom Datenschrott befreit sind RAM und Festplatte.“: so würde ER, unser dichtester Dichter, wohl heute dichten, wenn er mit Schillers Fritz im Stadtpark zu Weimar säße, auf einer Parkbank, ein jeder sein Notebook auf den Knien, wenn es wieder einmal hieße: „Eh, Alter, hau mal ’nen Klassiker raus.“

Ja, ja, es ist immer das alte Lied: Sobald im Märzen der User den Rechner hochfährt, erlebt er sein blaues Wunder. Dateien sind verschwunden oder unvollständig, heißen nicht mehr „Nackige Weiber“, sondern plötzlich (wie es unserem Chefredakteur passierte) „Nackige Maler und Lackierer“, Programme laufen gar nicht oder ganz anders als früher – woran liegt das? Die Erklärung ist simpel.

Sobald es draußen früh dunkel und kalt wird, verfällt der PC in eine Art Winterschlaf. Man tut dann gut daran, ihn nicht zu stören, ihn nicht zu zwingen, übermäßig komplizierte Arbeiten auszuführen. Während dieser Zeit ernährt sich der PC von der in den Zeiten emsigen Verarbeitens gehorteten Datenvorräten. Morgens ein Stückchen leckeres Word-Dokument, mittags eine knusprige exe-Datei und abends dann einen kalorienarmen download file aus dem WWW. So vergehen die sonnenlosen, schweinekalten Tage und Nächte, bis die ersten Vögel vom Playa del Mallorca zurückkehren und der Rechner seine Prozessoren reckt, weil er weiß, daß nun wieder der Job beginnt.

Es ist also März, und der User stiert nach Monaten erstmals auf den geliebten Monitor, der aber nicht die bekannte Windows-Oberfläche zeigt, sondern den lapidaren Microsoft-Hinweis: „Hallo, User. Es ist März. Dein Rechner ist wach. Aber es ist eine Katastrophe. Du mußt zuerst die Fenster putzen.“ Diese in Fachkreisen als „Windows Cleaning“ berüchtigte und gefürchtete Prozedur beginnt damit, die Installations-CD des Betriebssystems einzulegen und den ganzen Dateienwust neu aufzuspielen. Da der Rechner nach seinem längeren Schläfchen noch nicht so ganz bei der Sache ist, kann dieser Vorgang schon einmal etwas länger als üblich dauern, doch Anfang Mai sollte auch diese Arbeit erledigt sein.

Dann beginnt der unangenehme Teil: ALLE Dateien müssen gesichtet, von Hand zu Fuß überprüft und gegebenenfalls ergänzt bzw. ausgetauscht bzw. ganz gelöscht werden. Das ist, wie gesagt, unangenehm. Eigentlich ist keine Datei mehr brauchbar, denn der Rechner hat hier etwas abgeknabbert, dort etwas zur Gänze aufgefressen und, weil er sich in den raren Phasen des Wachseins langweilte, Dateien miteinander vermengt.

Plötzlich startet also das Programm EXCEL, welches wir ansonsten zur zuverlässigen Tabellenkalkulation verwenden, als ACCESS, das Datenbankprogramm. Aber wir können weder Tabellen noch Datenbanken damit kreieren, sondern lediglich MINESWEEPER damit spielen, und auch das höchst unbefriedigend, da leider nur die Benutzeroberfläche von FLASH zur Verfügung steht.

Schlimmer noch haust der PC zu Zeiten seiner Winterruhe bei den Textdokumenten. Der Bursche ist ein verwöhnter Gourmet, der nur einzelne Wörter zum Frühstück verzehrt, so zum Beispiel „gewohnheitshalber“, „Qualitätsorgasmus“ oder „furztrocken“. Findet er diese Wörter nicht in ausreichender Zahl, wird er böse und generiert sie einfach aus Wörtern, die phonetisch ähnlich klingen. Dann wird aus „Gewehrhalfter“ „gewohnheitshalber“, aus „Qualitätszeugnis“ „Qualitätsorgasmus“ und aus „Guido Westerwelles Autobiografie“ eben „furztrocken“.

Leider generiert der Rechner diese Leckerbissen in übermäßiger Zahl und kann sie nicht alle verzehren, so daß sie im Frühjahr immer noch in den Texten stehen, die man endlich verschicken möchte. Bewerbungen, die „anbei finden Sie mein Qualitätsorgasmus“ versprechen, kommen beim Arbeitgeber nicht so gut, da sogleich die inkorrekte Verwendung des Possessivpronomens unangenehm ins Auge fällt. Und Reiseberichte, welche anheben „Die Luft in der Sahara war wie Guido Westerwelles Autobiografie“, sind eh für den Mülleimer.

Der HINTERNET-Expertentyp: Stellen Sie Ihrem Rechner für die harte Zeit des Winterschlafs ausreichend bekömmliche Nahrung in Form von eigens dafür angelegten Dateien zur Verfügung. Tippen Sie 1000 mal die Wörter „gewohnheitsmäßig“, „Qualitätsorgasmus“ und „furztrocken“ in ein Word-Dokument, dessen Überreste sie im Frühjahr bequem wieder löschen können. Entfernen Sie auch sämtliche Programme von Ihrem Rechner und bieten Sie dem Nimmersatt stattdessen ein paar nutzlose Free- und Shareware-Anwendungen, die sie so wie so nicht benötigen. Goethe und Schiller, würden Sie heute leben, hätten das bestimmt getan. Und könnten mit den ersten Strahlen der milden Frühjahrssonne frohgemut und gewohnheitsmäßig in den Stadtpark schlendern, dort ihre furztrockenen Klassiker schreiben, bei deren Lektüre jeder Schüler sofort ein Qualitätsorgasmus bekommt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert