Phat World (12)

Dieses Mal hörte ich mir (größtenteils mit Freude) All Natural, Erykah Badu, Jeep Beat Collective, Lone Catalysts, M-Boogie, J. Rawls, Self Scientists, Shyheim, Denyo, Jan Delay und Red Ribbon Beatz (Sampler) an.

Drüben…

Seit den frühen Neunzigern verdienen sich DJ Tone B. Nimble und MC Capital D als B-Boys den nötigen Respekt in der amerikanischen HipHop-Szene. Sie waren bereit, ihr Debüt zu veröffentlichen und konnten den Release kaum abwarten. Von Heute auf Morgen standen sie plötzlich ohne Deal da und der Traum platzte erst einmal. Sie gaben jedoch nicht auf und gründeten ein Label, auf dem in regelmäßigen Abständen eigene Singles, Maxis und das Debüt „No Additives, No Preservatives“ erschienen. Den US-Vertrieb übernahm von Anfang an das Chicagoer Indie-Label Thrill Jockey. Und so kommt, es dass All Naturals Zweitwerk „Second Nature“ (Thrill Jockey / EFA) auch den weiten Weg über den Teich zu uns fand. All Natural haben – wie viele ihrer Kollegen – den Glauben an die wesentlichen Dinge des HipHops zurück und glänzen mit eingängigen, smoothen Raps, besonnenen Texten und minimalistischen, dennoch durchaus effektvollen Beats, wie sie nicht jeden Tag an unsere Ohren dringen.

Sie ist die Mutter der Liebe. Die Vorreiterin, die Großartige. Sie ist und bleibt Erykah Badu. Die Grande Dame des Soul, deren Stimme Mauern zum Einstürzen bringt. „Mama’s Gun“ (Motown / Universal) heißt ihr neues Album. Eine schier perfekte Werkschau der Frau aus Philadelphia. Eines, das uns leider wie so oft keine Antworten auf die wichtigen Fragen des Lebens gibt. Aber immerhin hält es unsere Hand, steht uns bei, begleitet uns durch Dick und Dünn, erhellt unseren Tag und schenkt uns einen glühenden Funken Hoffnung. Danke, Mutter.

Nun ein kurzer Blick auf die Insel: Aus Manchester kommt das Jeep Beat Collective. Der Name ist allerdings nicht wörtlich zu nehmen, denn hinter dem Kollektiv versteckt sich Dave Davies alias The Ruf, die one man hiphop army, die produziert, rappt, scratcht und das Label Ruf Beats lenkt. Auf „Death Race 2001“ (Ruf Beats) zeigt Davies, was er auf der Pfanne hat. Glaubt man dem Bandinfo, sind John Peel, De La Soul, Freddy Fresh und Afrika Bambaataa begeisterte Fans des Briten. Kann man verstehen, denn Davies versteht sein Handwerk. Furztrockene Beats pumpen aus den Boxen, die Nadel rast über das schwarze Gold hektisch hin und her und die MCs rappen in bester Alte Schule-Manier. Man fühlt sich an die Achtziger zurückerinnert, als Breaken noch Volkssport war.

Neu ist nicht, dass sich Qualität durchsetzt. Von daher wird man sicherlich noch öfter über den Namen J. Rawls stolpern. Gerade erst veröffentlichte er sein vorzügliches Soloalbum „The Essence Of J. Rawls“ (siehe unten), schon steht das Album seiner Crew Lone Catalysts auf dem Plan. J. Rawls (Produzent) und Rapper J. Sands sind die geborenen Eigenbrötler, die sich nicht auf finanzstarke Unterstützung seitens der Plattenindustrie verlassen. Sie setzen ihre Ideen in Eigenregie um und kümmern sich um das Cover, die Website und die Veröffentlichung des Albums. Dieser Aktionismus sollte belohnt werden. „Hip Hop“ (B.U.K.A. Entertainment / Groove Attack) ist eines der Alben, das frischen Wind bringt und abseits der Nobel-Rapper-Szenen in Los Angeles und New York entstanden ist. Es steht ganz im Sinne des Purismus und knüpft an die seligen Native Tongue-Zeiten (A Tribe Called Quest) an. Verspielt, jazzig, relaxt und erhaben. Hier kommen die Kaffeehaus-HipHop-Sounds des Jahres, Ladies und Gentlemen.

Das in Hollywood ansässige Label Ill Boogie, das uns bereits die Samplerreihe „Beat Junkies“ sowie erste Alben von DJ Revolution und Mykill Myers bescherte, wartet ein zweites Mal mit HipHop-Produzent M-Boogie auf. Arbeitete er auf der ersten Ausgabe von „Laid In Full“ mit Rasco, Dilated Peoples, Peanut Butter Wolf und DJ Revolution zusammen, hat er nun erneut tief im Ost- und Westküsten-Underground gewühlt, um interessante Newcomer ins Rampenlicht zu zerren. Egal ob sie Born Allah, Jean Grae, Triple Seis (Mitglied der Terror Squad), Erule oder Buckshot heißen, M-Boogie schenkt ihnen seine soliden, satten Beats und DJ Revolution stellt ihnen seine Fähigkeiten an den Plattentellern zur Verfügung. Zu guter Letzt wurden die Stücke mit Samples versehen, die nicht so abgegriffen klingen wie die manch ihrer Kollegen. Interessant ist an „Laid In Full, Chapter 2“ (Ill Boogie/Groove Attack) vor allem der Aspekt, dass M-Boogie dem Nachwuchs eine Chance gibt. Allen voran Jean Grae, einer Rapperin, die schon jetzt mit Lil‘ Kim, Missy Elliott und Foxy Brown mithalten kann.

Er ist nicht nur Mitglied der Lone Catalysts (siehe oben), nein, J. Rawls ist auch solo unterwegs und das als Produzent und Reimer. Hauptsächlich widmet er sich natürlich der Arbeit hinterm Mischpult. „The Essence Of J. Rawls“ (Superrappin/Groove Attack) wartet mit vielen Gastrappern auf. Neben seinem Lone Catalyst-Partner J. Sands sind Rubix (Reflection Eternal-Mitglied), Mr. Complex, Newcomerin Apani B. Fly, J-Live und Five Deez (ebenfalls bei den Lone Cats) am Start. Während sie ihre Rhymes abfeuern, konzentriert sich der Protagonist Rawls darauf, satte Beats und Samples abzuliefern, die sich nicht zu sehr in den Vordergrund drängen und den MCs genügend Freiraum lassen. Das Spektrum reicht von Partyburnern wie „Great Live Capper“, „Check The Clock“ und „Far Away“ über 1A-Native Tongue-Querverweise in „Blue #2“ bis hin zu den lässigen Jazzern „Blue #2 (Reprise)“ und „Nommo“.

Eigentlich hätte ich diese CD gar nicht rezensieren wollen, denn um der Verbreitung durch Raubkopien Vorschub zu leisten, hat man sie ohne Cover und mit immer wieder nervtötendem Störgeräuschen versehen. Das vermindert das Hörvergnügen erheblich. Beruhigt man jedoch die Nerven und konzentriert sich auf das, was zwischen den Brrrrriiiiiieeeppppppps ertönt, offenbart sich dem Hörer ein Sahnestückchen an HipHop. Chace Infinite und DJ Khalil sind die Self Scientifics und erklären uns, was sie unter „The Self Science“ (Sol Music Works / Groove Attack) verstehen. Verträumter, straighter HipHop der alten Schule mit Jazz- und Blues-Anleihen, einem sehr guten MC und ohne gängige US-Klischees. Das macht eigentlich Spaß, wäre da nicht das Brrrrriiiiiieeeppppppps.

Er ist erst 21 Jahre alt und hat es doch schon in den HipHop-Olymp geschafft. Will heißen: Er hat die Ehre, sich Mitglied des Wu Tang-Imperiums zu nennen. Eine wahrlich große Ehre. Dass dieses seltene Angebot nicht von Ungefähr kommt, kann man verstehen, hört man sich Shyheims neuestes Album „Manchild“ (Wu Tang International / NTT) an. Nach „Rugged Child“ (1994) und „The Lost Generation“ (1996) liefert der Sprössling ein atemberaubendes Album ab, das natürlich – wie sollte es sonst sein – von Wu Tang-Mastermind RZA produziert wurde. Es scheint, als habe der zu alter Bestform zurückgefunden. Die Raps teilt sich Shyheim mit Big L auf dem genialen Track „Furious Anger“ (mit Pulp Fiction-Sample), dem gnadenlosen Method Man („Am I My Brothers Keeper“), dem R&B-Sänger Ray J („Unconditional Love“), The PR Terrorist („One Live To Live“) und der Soul-Sängerin Tekitha im Titelstück. Fazit: „Manchild“ sollte man sich anhören.

… und hüben.

Sie haben ihre Soloalben zusammen promotet, sie veröffentlichen sie am gleichen Tag und sie werden im Mai gemeinsam auf Tour gehen. Denyo („Minidisco“, Buback / Motor / Universal) und Jan Delay („Searching For The Jan Soul Rebels“, Buback / Groove Attack), eigentlich als zwei Drittel der Absoluten Beginner bekannt, wissen sich zu inszenieren. Sie legen Wert darauf, dass ihre Alben keine Konkurrenzprodukte sind. Das wäre der falsche Ansatz, denn bis auf einige wenige Parallelen sind sie sehr unterschiedlich. Beiden gleich ist die teils politische Ambition. Denyo bezieht in „Nazi, Nazi“ Stellung gegen Rechts und Jan Delay gibt in „www.hitler.de“ und „Die Soehne Stammheims“ seine Meinung preis. Es war eben „wieder Zeit für einen politischen Track, Zeit für Ernsthaftigkeit“ (Denyo). Musikalisch gehen die Beginner getrennte Wege. Denyo, unterstützt von D-Flame, Illo 77, Das Bo und Jan Delay, bleibt dem HipHop, wie man ihn von „Bambule“ her kennt, weitestgehend treu – so wie in „60 Hz“ und „Lalala“. Dazu gesellen sich Sprenkel warmherzigen R&Bs. Seinen Kollegen Jan Eißfeldt verschlägt es indes in die Karibik, wo er ungeniert seine Vorliebe für Reggae ausleben darf. Ihm stehen Rocko Schamoni, Sam Semilia, Xavier Naidoo, D-Flame und natürlich Denyo zur Seite. Skeptiker werden überrascht sein, wie überzeugend „Minidisco“ und „Searching For The Jan Soul Rebels“ sind. Denyo und Eißfeldt setzen neue Maßstäbe und andere um Längen in den Schatten. Es darf kräftig applaudiert werden.

Die deutsche HipHop-Gemeinde hat sich vereint, um zugunsten des „Arbeitskreises der sechs großen Aids-Hilfen Deutschlands“ ihre Beats pumpen und ihre Reime fließen zu lassen. Der Zweck dieser Gemeinschaftsaktion ist es, mit Hilfe des Gewinns weitere Aufklärungsarbeit in Sachen Aids zu unterstützen und speziell im Kreise der HipHopper auf die weiterhin unheilbare Geschlechtskrankheit aufmerksam zu machen. Zu diesem Anlass haben Fettes Brot, Plattenpazt, Fünf Sterne Deluxe, Stieber Twins, Gentleman und Curse in ihren Archiven gewühlt, um passende Tracks zu finden, die mehr oder weniger die Thematik Beziehung ansprechen. Auch die jüngere HipHop-Generation Deutschlands ließ sich nicht lange bitten, ihren Teil zur Aids-Aufklärung beizutragen. So sind auch Flowinimmo, Nico Suave, Dejavue und Blumentopf mit von der Partie. „Red Ribbon Beatz“ (Bellaphon) ist eine wirklich runde Sache geworden, die Unterstützung verdient hat.

Phat World XIII erscheint irgendwann hier.

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