Ein schüchterner weißer Junge namens Jimmy „Rabbit“ Smith steht im Klo eines Detroiter Clubs, Headphones über dem kapuzenbedeckten Kopf, sich auf seinen Auftritt bei einem Rap-Contest vorbereitetend. Der Hase probt den bösen Blick vor dem Spiegel, aus dem ihm nur ein nervöses, ängstliches Etwas anstarrt, das sich gleich übergeben wird. Auf dem Weg zur Bühne will man ihn gar nicht durchlassen, als er endlich dran ist, entweicht nichts als stumme Ohnmacht. Das durchweg schwarze Publikum buht ihn von der Bühne. Der Hase schleicht davon, zurück in sein kümmerliches Leben. Keine Frage, ein verstörender Filmbeginn für ein Bio-Pic über Marshall Mathers den Dritten – alias Eminem – , denn „8 Mile“ gibt vor, biographisch lose und atmosphärisch dicht die Anfangsjahre des heutigen Rap-Millionärs nachzuzeichnen: Das Bekenntnis eines Jungen, der beschloss als Bad Boy um jeden Preis Aufsehen zu erregen, um sich schließlich – 30 Millionen verkaufter CDs später – als Agent Provocateur gegen Frauen, Schwule und Politiker in den Wohn- und Kinderzimmern des weißen Mittelstandes einzunisten.
Nun wird mit „8 Mile“ die filmische Reinwaschung vom bösen musikalischen Alter Ego „Slim Shady“ zelebriert. Die alles nivellierende Kraft Hollywoods lässt Eminem endgültig zu einer akzeptierten Größe jenes glamourösen Pop-Business avancieren, das er in seinen Texten regelmäßig mit Spott und Hass überschüttet. Der Mann, dem Gefängnisstrafen drohten und dessen Songs auf MTV fast auf dem Index gelandet wären, erhält jetzt dank beeindruckend politisch korrekter Schreibweise den gesellschaftlichen Ritterschlag.
Jimmy Rabbit, ein Sohn der Arbeiterklasse, der sich in der Fabrik abrackert, um Miete für die mütterliche Trailer-Wohnung beiszusteuern, fristet eine harte aber bodenständige Existenz. Wenn er zu spät kommt und zusammengeschissen wird, entweicht seinem Mund kein „fuck you!“ und sein Mittelfinger bleibt unten, sttatdessen murmelt er kleinlaut wie leid es ihm tut, dass es nicht wieder vorkommt und bettelt um Extra-Schichten, um Geld für die Produktion einer ersten CD zusammen zu kriegen. Wenn die Mutter mal wieder zu tief in die Flasche geschaut hat, weil ihr der gewalttätige Lover zusetzt, kümmert sich Jimmy liebevoll um sein kleines goldgelocktes Schwesterchen, singt es zärtlich in den Schlaf und spricht der Mutter moralinsauer ins Gewissen. Angefeindeten schwulen Arbeitskollegen springt er rappend zur Seite, ein leerstehendes Haus wird abgefackelt, damit „dort nicht mehr so viele arme Frauen vergewaltigt werden können“. Ansonsten ist Gewalt tabu, dem schmächtigen Schweiger rutscht höchstens mal aus Empörung die Faust aus, wenn er den Schlägerfreund der Mutter aus dem Wohnwagen vertreibt oder einen Kumpel in seiner Freundin erwischt, aber auch das wird er im nächsten Revanche-Fight, im Kampf 10 böse Negerlein gegen einen armen Weißen schmerzvoll bezahlen.
Schusswaffen sind im ganzen Film über Mangelware, nur einmal fuchtelt ein Freund fahrig damit herum und schießt sich prompt selbst in den Unterleib. Dass die Wirklichkeit – vor allem im kriminalstatistisch rekordverdächtigen Detroit – anders aussieht, und die Mortalitätsrate von Rappern – auch bekannten Opfern wie Tupac, Notorious BIG, Big L, Freaky Tah oder unlängst Run DMC Frontman Jam Master Jay – durch Bleivergiftung höher ist als durch Krebs und Herzinfarkt zusammengenommen, wird hier unter den Teppich der Verharmlosung gekehrt.
Von großmäuligen Möchtegern-Promotern lässt sich Rabbit nicht den Kopf verdrehen, sondern geht lieber seinen eigenen geradlinigen, bescheidenen Weg. Keine Frage, Detroit wird zu eng für ihn, er will raus, aber nicht um jeden Preis. Dann lieber weiter Raptexte auf Zettel kritzeln, während einem der Bus zur Arbeit bringt und sich in verrauchten Musikschuppen uneinträglichen Rap-Battles stellen, auch wenn einem das Unbehagen fast die Kehle zuschnürt. Verwundert reibt sich der ein oder andere Fan die Augen angesichts der wertekonservativen Botschaft seines erbravten Idols. Das „böseste“ was Eminem in diesem Film macht, ist mit Farbbeutelpumpgun auf ein parkendes Polizeiauto zu schießen. Rebellen waren schon mal rebellischer, aber keine Angst, diese graue Maus wird spätestens im nächsten Videoclip wieder buntquietschend im Elvis- oder Bin-Ladenkostüm daher kommen und provozierende Verbalinjurien für Miss Chaney oder Moby bereit halten.
Regie: Curtis Hanson
Drehbuch: Scott Silver
Kamera: Rodrigo Prieto
Darsteller: Eminem, Kim Basinger, Mekhi Phifer, Brittany Murphy, Chloe Greenfield, Evan Jones
Länge: 118 Minuten