Polka Party

Oh ja, jetzt, beim zweiten Stück – nach dem eher betulichen Auftakt-„Ständchen“ – groovt sich das Ding schon richtig ein. Heisst ja auch „Trompeten Muckel“. Jaaa! James Last spielt die psychedelischsten Polkas, die ich je gehört habe. Wenn das Bierzelt-Musik ist, dann will man in einem Bierzelt leben! In Wirklichkeit ist das natürlich keine Bierzelt-Musik. Denn Bierzelt-Musiker können in der Regel nicht swingen. Und schon gar nicht so toll blasen, wie die James-Last-Bläser. Das ist einfach super: da wabert der Ton noch, wenn er lange schon geblasen wird. Das geht so wellenförmig. Nicht: Puff = Raus. Nein: der kriegt immer noch mal in den Hintern getreten, der Ton. Auch wenn er denkt, seine Verfolger längst abgeschüttelt zu haben.

Wollen doch mal sehen, womit der Polka-Siegeszug von James Last begann. Schließlich ist das die erste Folge der legendären Polka-Reihe: Trompeten Muckel, Schützenliesel, Tritsch-Tratsch, Untern Linden, Liechtensteiner Polka. She´s too fat for me, Die Mühle im Schwarzwald, Flieger-Marsch, Amboß-Pola, Annen-Polka und Heinzelmännchens Wachtparade.

Ich bin mir sicher, die Hälfte der Stücke hat er wegen ihrer tollen Namen draufgenommen. Leider kenn ich die Tritsch-Tratsch-Polka in einer wirklich kick-assenden Fassung von Max Greger. Dagegen ist das hier Wiener Walzer. Wenn auch mit tollen, strahlenden Trompeten. Ja, macht schon Super-Laune. Happy Music halt. Fröhlich. Optimistisch. 70er. Von wann ist die hier eigentlich? Keine Ahnung.

Oh, die Liechtensteiner-Polka: super, super, super. Klingt wie ein Wettkampf: wer kann lauter? Die Trompeten? Die Pauke? Oder dieser rasselnde Weihnachtsbaum, der irgendwie mit ins Studio geraten sein muss und sich fortwährend schüttelt? Und da hört man auch schon ein erstes, schüchternes Party-Gejohle im Hintergrund, wie es ja später Markenzeichen des James-Last-Partysounds wurde.

She´s too fat for me: entweder schlagen die Nachbarn gleich die Tür ein und konfiszieren meinen Plattenspieler. Oder alle Trachtengruppen dieser Erde marschieren in Zweiergrüppchen und winkend in meine Wohnung ein. Hey, jetzt geht´s aber los! Uffta Uffta…

Und die ungekrönte Königin der James Last-Polkas: die Amboß-Polka! Ertönt sie in einem Studio des Saarländischen Rundfunks, kann man altgediente Technikerinnen seufzen hören. „Ach, damals. Die deutsche Schlagerparade… Da haben wir mit den Single-Schallplatten nur so um uns geworfen. Konnte gar nicht schnell genug gehen, die flogen dann einfach hinter uns.“ Auch der Moderator jener legendären Deutschen Schlagerparade erinnert sich nostalgieumwölkt: „Ja, die hatte diese tollen Pausen, wo man so gut reinsprechen konnte.“ Was wie eine Beleidigung klingt, ist die berufsbedingte Sicht eines echten Fans: Dieter Thomas Heck. Und wie bestimmt jeder weiß, war diese Deutsche Schlagerparade auf der Europawelle Saar der legitime bildlose Vorläufer der ZDF-Hitparade. Nun, jedenfalls die Keimzelle der Idee, so was auch mal mit Bild, mit Sängern und Live-Gesang zu machen. Und mit sichtbarem Publikum. Und natürlich mit Dieter Thomas Heck. Genug davon.

Ah, die Annen-Polka: Ach die ist das… Auch sie spielt bei einem gewissen Programm des Saarländischen Rundfunks eine wichtige Rolle. Leitet sie doch die sogenannten „Erbschleicher“ ein. Die Glückwunsch-Liste für Jubilare jenseits der Bewegungsfähigkeit und meist auch der 80. Ist auch eher was für sich zierlich drehende Füßchen und ondulierte Löckchen als für wild galoppierende Paare und schweißnasse Haarsträhnen in ekstatisch erhitzten Gesichtern. Wie es bei echten Polka-Tänzern sein muss!

Toll natürlich auch die Party-Anleitung auf der Plattenhülle. Bei James Last hat die Polydor ja meistens richtige Hör-Instruktionen mitgeliefert. „Es muss nicht immer Beat oder Slow sein. Wie wär´s mal mit ´ner knackigen Polka?“ Hör ich hier etwa eine verschämte Rechtfertigung raus? Das darf nicht wahr sein! Sie fragen sich: was haben die Menschen in den 70ern nur zu solcher Musik getrunken? Steht alles hier drauf: „ein gutes Faß Bier und – auf los geht´s los.“ Aha. Aber es wird noch besser: „Die Band tanzt aus den Rillen und dreht sich mitten unter uns.“ Ich möchte einmal den Menschen, der die Covertexte für James Last geschrieben hat, in seiner Drogenhölle treffen und interviewen. „James Last hilft uns auf die Sprünge. Er weiß, was müde Leute munter macht.“ Der Texter sicher auch.

Und man vergleiche die deutschen Sätze mit der direkt daneben stehenden englischen Fassung. „Versuchen Sie´s doch mal mit dieser Polka-Party. Give yourself a chance“. Heisst auf englisch: “Try the Polka Party. Get with it!’.

Ja, try the Polka Party! Mit dem Mann, der deutscher Humpta-Marschmusik ein freundliches, ja mild lächelndes Antlitz mit übergroßen Pupillen gegeben hat. Danke, Mann!

Aber hat der Schöpfer dieser wunderbaren Musik sie am Ende selbst nie gehört? Warum schaut er auf dem Cover so melancholisch? Warum ist die altdeutsche Schmucker-Stube hinter ihm so leer? Fehlt hier der Aufdruck: „Vorher“? Nein, vermutlich nicht. Denn sieht man das Cover von „Polka Party 2“, dann kann man nur vermuten, dass sich die Konsumenten der James Last-Polkas in einer eigenen Therapiegruppe auf der geschlossen Abteilung für stark Suizidgefährdete zusammenfinden. Kann ich bitte mal den Fotografen sprechen?