Ein Bilderbogen aus der James Last Russlandtournee.
„Auch Musiker trinken gern“ steht unter einem Foto auf der Plattenrückseite. Auch Musiker? Soll das ein Scherz sein? Womöglich noch „unter anderem Wodka“, man ist schließlich auf Russlandtournee. Aber von vorn: eine Gruppe milchliebhabender Anti-Alkoholiker, nämlich das James Last-Orchester, tourt durch Russland. Und bringt von dort einen „Bilderbogen“ mit. Der ist natürlich musikalischer Natur und nur mit den Ohren wahrnehmbar. Es sei denn man nimmt die Fotos auf der Plattenrückseite. Wenn aber nicht – was mag dann auf einem solchen russischen Bilderbogen drauf sein? Kalinka? Der Säbeltanz? Die Schiwago-Melodie? Ja. Ja. Ja.
Es ist etwas peinlich, aber James Last überfordert halt niemanden. Erwartungen zu erfüllen, zu übererfüllen, ist vermutlich sein Hauptjob. Darüber täuschen auch eingeschobene Zusätze nicht hinweg: „James Last und seine Musiker – nicht in der Moskauer Oper – sondern in der weltberühmten Metro.“ Ich bin mir sicher, den meisten Betrachtern dieses Fotos geht es wie mir: wir können die Moskauer Oper eh nicht von der weltberühmten Metro unterscheiden. Jetzt hat er uns nur verwirrt: wieso laufen unter dem Kronleuchter auf dem Foto keine U-Bahn-Schienen lang? Aber gern sind wir bereit, uns damit abzufinden, dass er halt in der Metro ist statt in der Oper. Anyway.
Es ist die Last-Phase, in der schon viele Streicher und ein ätherischer Chor mitmischen. Der Sound hat etwas Magisches, Schwebendes, Entrücktes. Und das ist toll! Vielleicht hat James Last Russland tatsächlich so wahrgenommen – in selbstverständlich nüchternem Zustand: als andere, fremdartige Welt. Was er daraus gemacht hat, ist pures Easy Listening: gut bekömmlich, in mundgerechten Häppchen und ohne allzu exotische Gewürze. Aber James Last schafft es trotzdem, daraus eine bunte, aufregende Welt zu formen. Bei aller Vertrautheit und Voraussehbarkeit: die Arrangements sind ungeheuer phantasievoll und – wie bei James Last meistens: einfach und elegant zugleich. Und er hat traumhaft gute Musiker in seinem Orchester, das hört man.
Viel Hall liegt auf der Platte drauf, der Klang ist ungemein geschmeidig und schimmernd. Riesige Räume tun sich auf. Wabern in Midtempo den letzten Winkel voll. Türmen sich zu imposanten Walls of Sound auf und verschwinden wieder in ihrem Schneckenhaus. Melancholisch natürlich, wie man sich die Russen vorstellt. Und manchmal besoffen-ausgelassen. Das ist keine Nonstop-Party für die fototapezierte Kellerbar mehr. Nein, das ist selbst eine Fototapete. Eine Russland-Fototapete: geschmackvoll, in den Farben der Saison und abwaschbar. Anzuhören allein oder zu zwein. Am besten mit einem doppelten Wodka. Und nicht vergessen: „Die Brötchen zum Wodka kauft man in einem typisch russischen Bäckerladen.“