Das ist eine merkwürdige Kreuzung: Gutenachtvolkslieder. Irgendwie scheint James Last Anfang der 80er-Jahre auf dem Weichzeichnertrip gewesen zu sein. Alles gepufft, in Watte gehüllt, wie durch einen Schleier. Und natürlich in Slowmotion.
Die Vögel, die alle schon da sind, scheinen pastellfarbene Ballkleidchen zu tragen und wiegen sich sanft zu den – behutsam von einem leisen Drummer untermalten – Streicherklängen. Und ein paar Flöten dürfen auch nicht fehlen.
Dieser Sound ist superdekadent, wenn man bedenkt, dass hier richtige, kernige Volkslieder zugrunde liegen. Aber es hat was! So´n bisschen Disco in „Abend wird es wieder“ – aber nur ganz zart. Und wie sich alles auflöst und sich verflüchtigen will in Streicherar-Arabesken, bevor´s doch ein bisschen anfängt zu swingen. Wow.
Ich bin insbesondere Fan der ersten Seite. Die plätschert unwiderstehlich vor sich hin. Ist aber auch sehr abwechslungsreich! Mittendrin in „Abend wird es wieder“: eine freistehende Basslinie! Darunter zwar kühle Synthies, so wie in diesen Achtziger-Designer-Filmen. „American Gigolo“ und so. Was ja auch nur steht für: Yuppies, Dekadenz, Werteverfall, kaltes Chrom. Aber Mann, das ist mehr als Eighties. Und zwar in einem sehr coolen, prophetischen Sinn. Dekonstruktivismus bei James Last!
Es ist schon schräg, was Ännchen von Tharau im Laufe der Jahre so mitmachen musste. Sie ist ja so´n bisschen das Fundament, der Grundstein der Karriere von James Last. Jaja, ich weiß: Non Stop Dancing, Non Stop Party… Aber trotzdem. Die ersten beiden Ännchen-Platten stehen wie ein Fels in der James Last-Brandung. Sie sind meinetwegen die Propheten, die Weisen aus dem Morgenland, die Autobahnschilder auf dem Weg zum Erfolg. Sie bündeln alles, was James Last reich und berühmt machen sollte: aus Bekanntem mit seinem Happy Sound den Nerv des Volks zu treffen. Aber man hört ihnen noch den Wagemut an. Auch wenn sie ein glatter, revolutionärer, kühner Durchmarsch sind.
Und jetzt, 1981, muss sich die Recycling-Figur Ännchen noch mal recyceln lassen. Nicht zum ersten Mal, klar. Es gab ja auch schon „Swinging Ännchen von Tharau“. Und nun also „Ännchen von Tharau bittet zum Träumen“. Musikalisches Softeis. Die zweite Seite ist eher langweilig und eintönig, auch ein bisschen düster. Aber die erste Seite ist schon ein Fest, wenn man sich mal drauf eingelassen hat. Auch wenn die Instrumentierung ähnlich scheint: aber im Gegensatz zu den „Classics up to date“ geht hier die Rechnung auf. Möglicherweise durch die kleinteiligeren Formen. Hier funktioniert die Abwechslung, hier darf sich James Last alle zwei Minuten an einer neuen Überleitung austoben und nach Herzenslust Solo-Ausflüge und Arabesken einfügen.
Wobei hier keine Potpourris im gewohnten Sinne drauf sind, sondern exotisch ausgeschmückte ganze Lieder in einzelnen Takes: Ännchen von Tharau, Der Mond ist aufgegangen, Alle Vögel sind schon da, Es waren zwei Königskinder… Schwelgen und genießen.