Kann man in Beverly Hills leiden, auf dem Sunset Boulevard, dem palmengesäumten Paradies der Schönen, Satten und Reichen? Man kann. Wie und woran, zeigt Laura Waco, 1996 bekannt geworden mit ihrer Autobiographie Von Zuhause wird nicht erzählt, für den Spiegel die „bislang ergreifendste deutsch-jüdische Gegenwartsgeschichte“. Ihr neues Buch Drei Uhr früh in Hollywood umfaßt Kurzgeschichten über das Leiden in Los Angeles. Es sind einzelne, fast akribisch kalt beobachtete Schicksale, poetisch-lakonisch erzählt.
Manche lesen sich kurzweilig, scharfsinnig wie die Episode Rachel oder Rivka auf dem Friedhof am Freeway, andere, wie die Titelgeschichte, ausufernd, schleppend wie eine durchwachte Nacht. Doch der Stil paßt zur Hauptfigur, einer Anruferin in einer Radioshow, die sich nach einer sinnlosen Wortschlacht um Hitler und den Holocaust durch einen neuen Tag schleppt, der wieder ausgehalten, ertragen werden muß.
Die Geschichten der kalifornischen Autorin sind stets bitter und heiter, klare Momentaufnahmen, schonungslose Skizzen von paranoiden Hausfrauen, armen Verwandten aus Übersee, alternden Malern, übergewichtigen, hypochondrischen Tanten, geprellten Presseopfern und kühl rechnenden Witwern. Ihr Buch ist eine Sammlung sonniger Geschichten von gebrochenen Menschen. In Vorspiel – Szene für zwei Personen in einer Küche Amerikas klagt eine Frau ihrem Mann bei Bier und Backkartoffeln: „Meine Mutter sagte, ich habe hohle Brüste, weil sie bereits ein Jahr, nachdem sie zwischen den Leichen in Bergen-Belsen gelegen war, schwanger wurde. Wie konnte ich denn da vollkommen sein?“ Überall bricht Erinnerung durch.
Laura Waco, 1947 in Freising geboren, ist als Achtzehnjährige nach Kanada ausgewandert und seit 1968 in Los Angeles mit einem Rechtsanwalt verheiratet. Sie ist die Tochter deutsch-polnischer Juden. Ihre Eltern haben Dachau und Bergen-Belsen überlebt. „Meine Eltern waren die direkten Opfer, und wir waren die indirekten“, hat sie einmal gesagt. Laura Waco schreibt nicht in Englisch, sondern in Deutsch, „in einer merkwürdigen Distanz und in einer Sprache, die wie stehengeblieben erscheint“, urteilte Elisabeth Bauschmidt in der Süddeutschen Zeitung über ihr Debüt 1996, das Regisseur Michael Verhoeven verfilmte.
Kritiker beeindruckten stets die unaufdringliche, unideologische, verstörende Prosa, ihre „freundlich verpackten Horrorgeschichten über die zerstörerischen Folgen des Holocaust“. Nach dem Erstlingserfolg Von Zuhause wird nichts erzählt – eine jüdische Geschichte aus Deutschland erschien Good Girl, ein Roman über Miriam, eine arme Jüdin aus Europa. Ihre Herkunft ist ihren US-Verwandten peinlich, die aus ihr eine gute Amerikanerin machen wollen. Doch Miriam bemerkt: „Ohne Geld war der Mensch keinen Cent wert.“ Und: Hinter dem amerikanischen Paradies von Freiheit, Hoffnung und Wohlstand verbargen sich ähnliche Albträume wie die ihrer Eltern in Deutschland.
Der einst quälende Hungerschmerz in den Todeslagern der Nationalsozialisten kehrt bei den Kindern der Opfer als Eßstörung wieder: „Während der Mahlzeiten schnauften sie wie die Bergsteiger, sie bissen in das Fleisch wie in einen Apfel, Saft rann ihnen den Arm hinunter“, heißt es in Good Girl. Auch in Drei Uhr früh in Hollywood beschreibt Laura Waco eine jüdische Gesellschaft, die nichts von ihren Defekten weiß, vielleicht ahnt, und sie in diesem Fall, mehr oder weniger geschickt verdrängt.
Für Tante Ettu etwa, die Krautwickelspezialistin, ist Essen alles – und nur das übermäßige Schwitzen und der schmerzende Rücken sind lästig. Die chinesischen Ärzte Dr. Wong und Hong sollen ihr helfen, am besten gleich Morphium verschreiben. Ihrer Nichte ist das peinlich, sie liest in den teilnahmslosen Gesichtern der beiden: „Was war so heldenhaft an ihrer Aufopferung für Küche und Kinder?“, an ihrer Geschichte als Schoaüberlebende? Hatten nicht „Mama und Papa Wong täglich bis Mitternacht mit einer Pistole in der Schublade hinter der Kasse eines Spirituosengeschäfts gestanden, jahrelang?“ Die Nichte erkennt: „Nicht nur die Juden beherrschten das Monopol des Leidens. Frag die Chinesen.“
Weil Laura Waco in der Ferne fremd ist, vermag sie kritischer zu betrachten, was um sie herum geschieht. „Ich war ein deutscher Import in Amerika. Man nannte mich ‚the continental'“, sagt sie. „1971 schwor ich Treue zu Amerika und wurde ein (deutscher) US-Bürger, immer deutsch. Mit Coupons und Kreditkarten wurde ich eine gehorsame amerikanische Ehefrau.“ Vergleiche zog sie immer, ironisch, sezierend, mit großem Abstand – wie in der Geschichte Die arme Verwandte.
Belle, eine nur einen Meter große, elegante Greisin aus fürstlicher jüdischer Familie in Brest-Litowsk, aufgewachsen in Seide und Spitze, ist eine Davongekommene, mit Verwandten in den Massengräbern und unerschütterlichem Stolz, daß es das Leben mit ihr gut gemeint hat. Laura Waco hat ein Gespür für das Exemplarische der Schicksale einer traumatisierten Generation, die frei ist, aber nicht entkommen, die der Vergangenheit trotzt.
Belle verkörpert all das. Siebenundneunzig Jahre alt, weiße Lederhandschuhe, schwarze Hose, schwarze Bluse, elfenbeinfarbenes Halstuch, an einer Kette baumelnde Gläser, dick wie eine Taucherbrille. „Ihre Frisur ist ein Vogelnest, toupierte, maulwurfsgraue Zuckerwatte über Falten und Spalten und spitzen Winkeln“, heißt es. Belle ist ein Frau, die ungefragt Gespräche mit Jüngeren führt, Butterstücke und Zahnstocher mitgehen läßt, Kellner beschäftigt und sogar mit Jack Lemmon im Museum of TV and Radio spricht – unverfroren, wie mit einem alten Freund. „Alle bewundern sie, weil sie nicht tot ist. Eine Kämpferin mit einer Faust voller Zahnstocher“, schreibt Laura Waco. „Man liebt sie, weil sie sich nicht unterkriegen läßt.“ Belle spielt die Rolle für sich und die anderen musterhaft. Sie gibt die Würde in Person, die Witwe eines berühmten Zahnarztes und einer Tochter in Malibu – ein unbedingt gewolltes Leben im Gleichgewicht.
(Viola Keeve)
Laura Waco: Drei Uhr früh in Hollywood
Ullstein Verlag, München 2004
gebunden, 135 Seiten
Preis: €18,00