„Watching the detectives“ lässt lesen. Diesmal Dr. Bernd Kochanowski den neuesten Krimi von Andreas Hoppert, „Die Medwedew-Variante“.
Jeden Morgen das Gleiche. Ratlos liegt Marc Hagen da und weiß nicht, wer er ist, wo er ist und was gestern war: Er leidet an einer partiellen Amnesie. Alle Erinnerung an sein früheres Leben, an Familie, Freunde und Bekannte sowie an alles was sich gestern ereignete, ist in einem schwarzen Loch verschwunden. Seine einzige Verbindung zu der jüngeren Vergangenheit ist das Tagebuch, welches er führt. Tag für Tag kann er dort wieder nachlesen, was er in den Vortagen erlebte oder was ihm erzählt wurde. Nicht-personenbezogenes Wissen und sein logisches Denkvermögen sind nicht beeinträchtigt.
Marc Hagen verlässt seine Wohnung in Bielefeld kaum: Agoraphobie (Platzangst). Mit Ausnahme kleinerer Episoden spielt sich das ganze Geschehen des Romans in den Räumen seiner Wohnung ab. „Die Medwedew-Variante“ von Andreas Hoppert schafft eine Stimmung wie bei einem Theaterstück: Ständig klingelt es an der Wohnungstür, Unbekannte treten auf, erzählen ihm wer sie sind, wer er ist, was sie von ihm wollen und dass andere Unbekannte ihn belügen. Dabei ist der Wissensvorsprung des Lesers gering, die schemenhaften Beschreibungen der Personen erlauben ihm keine sicherere Zuordnung als Marc Hagen. Im Gegenteil. Zum Ende hin kommt Marc zu ähnlich blitzgescheiten Schlussfolgerungen wie sie einst Poirot aus dem Hut zauberte.
Rätselhaftes gibt es genug: Einer der sich als Freund ausgibt, kommt regelmäßig vorbei, Marcs Tagebuch verschwindet, ein Koffer mit einem belastenden Video taucht auf und plötzlich ist da eine Leiche. Die Geschichte die anfänglich gemächlich, ja fast träge daher kommt, gewinnt an Fahrt. Kaum noch überschaubar scheinen die Möglichkeiten, und wo das gute Ende für Marc sein mag, ist für den Leser nicht zu erahnen. Und in diesem Gewühl steht dann plötzlich unser Hagen und durchschlägt den entscheidenden Knoten.
Dennoch führt dieses Buch nicht dazu, dass der Leser sich vor Spannung die Fingernägel abkaut. Und die Amnesie ist kein literarisches Thema, welches der Autor bearbeitet und mit dem sich der Leser auseinandersetzen muss, sondern Stilmittel, um einen Krimi zu strukturieren. Nein, es ist eher eine launige Story, bei der sich die Geschichte wie ein Zitteraal hin und her windet, Tatsachen ständig neu zu deuten sind und Klarheit erst nach dem Ende besteht. Kurzum, wie es der Titel, als erster und letzter Spaß des Autors mit dem Leser, andeutet, ein Buch für „Schachspieler“. Auch vom sprachlichen Aufbau her besteht eine Nähe zum Theaterstück. Hier wird wenig Spannung durch Beschreibungen geschaffen, wenige Innenansichten sind zu betrachten, sondern die Dialoge vermitteln die vermeintlichen und tatsächlichen Fakten, aus denen Marc und der Leser ihre Schlüsse ziehen.
Das erinnert ein wenig an eine Langfassung von Roald Dahl und das muss ja nichts Schlechtes bedeuten. Andreas Hoppert kann man zugestehen, hier ein eigenständiges Werk vorgelegt zu haben, keine Übertragung New Yorker Ästhetik nach Bielefeld, nicht frei von Humor, aber frei von dieser unernsten comedy-fröhlichen Leichtigkeit, die so gerne die Krimis deutscher Provenienz bevölkert.
Andreas Hoppert: Die Medwedew-Variante. Grafit 2005, 192 Seiten, 7 € 95