Extremlesen … und „literarische“ Krimis

Den Fforde hab ich, seufzend, in die Ecke gelegt. Helgason beeindruckt nach wie vor, 600 Seiten lang. Christoph Güskens „Faust auf Faust“ wurde zu Ende gebracht, Besprechung folgt. Und nu?
Zwei neue Krimis liegen bereit, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Horst Eckerts ja schon vielseitig besprochene „617 Grad Celsius“ und Nury Vittachis „Der Fengshui-Detektiv und der Computertiger“. Hier die nüchtern-düstere deutsche Wirklichkeit, dort der bizarr-witzige asiatische Okkultismus. Mal sehen.

Etwas anderes ist mir heute morgen wieder in den Sinn gekommen. Dass man mich nämlich, wo ich auch geh und steh, mit „literarischen Krimis“ ärgern möchte. Neulich erzählte mir eine Dame vom Fach, Verlag A verlege historische, Verlag B regionale und Verlag C literarische Krimis. Ich stellte mir sofort die dicke Headline im Feuilleton der FAZ vor: „Günter Grass hat einen neuen literarischen Gegenwartsroman geschrieben!“

Krass, nicht? Ich möchte ja gar nicht mit der berüchtigten Literatur-Definition kommen, die unsereinem in der „Einführung in die Literaturwissenschaft“ ins staunende Hirn doziert wurde. „Literatur ist die Gesamtheit alles Geschriebenen“.

Hä? Glaubten wir damals nicht, ist aber was dran. Vielleicht, wenn in tausend Jahren der Planet endlich in Trümmern liegt, wird irgendwer einen alten Einkaufszettel von mir finden („4 Paar graue Socken, Ravioli, Schuhcreme schwarz“) und in Ermangelung anderer schriftlicher Zeugen der Vergangenheit in den Literaturkanon erheben. Wie mit den Merseburger Zaubersprüchen seinerzeit, Autor unbekannt. Kann mir aber nicht passieren, weil ich auf alles, auch auf Einkaufszettel, meinen Namen nebst Kurzvita setze.

Aber schweifen Sie nicht ab, Herr dpr. „Literarische Krimis“ sind das Thema, und das heißt doch, wenn ich jetzt nicht ganz blöd bin, dass Krimis nicht per se literarisch sind. Sondern?

Mal googeln… Moment, habs gleich…

Sie mögen die Bezeichnung ‚literarischer Krimi‘ nicht?

Ach, eigentlich interessiert mich die Frage, ob etwas ‚Kunst‘ oder ‚Literatur‘ ist, gar nicht besonders. Ich lese gerne gute Bücher, die mir auf interessante Weise etwas über die Welt und die Menschen erzählen, das ist alles. Aber Sie kennen vielleicht die Anekdote, dass Georges Simenon angeblich nächtelang nicht schlafen konnte, wenn man einem seiner „Maigrets“ nachgesagt hat, das sei ja richtige Literatur. Er versuchte, alles ‚Literarische‘ zu tilgen. Ich glaube ganz einfach, dass noch zu viele deutsche Krimiautoren ein etwas gehemmtes Verhältnis zum Genre haben. Dass sie sich nicht trauen, die Gesetze des Krimis zu erfüllen. Sie wollen immer zeigen: Eigentlich bin ich ein Künstler, ein Dichter. Aber ein Krimi-Leser will nicht den Virtuosenstückchen des Autors applaudieren, er will mit solidem Handwerk gut unterhalten werden. Allerdings: Es kommt jedem Buch zugute, wenn sein Autor sich in der literarischen Tradition auskennt.

Die Antwort stammt von Autor Jan Seghers anlässlich eines →Interviews, und das ist ja soweit alles in Ordnung, was er von sich gibt. Aber dieses „gehemmte Verhältnis zum Genre“, das hier deutschen Autoren unterstellt wird, ist allgemein eher das gehemmte Verhältnis zur Literatur, zum soliden Handwerk und zur Unterhaltung.

Wir kennen hierzulande ja die unselige Unterscheidung von U und E in allen kulturellen Lebenslagen,und es ist nur merkwürdig, dass selbstverständlich jeder „dagegen“ ist, sie aber weiterhin munter praktiziert wird. Dass es den „Krimi“ als solchen, das biedere, den „Gesetzen“ folgende Rätselratestückchen in ungelenkem Legodeutsch besonders hart trifft, hat sicher vor allem historische Gründe. Die meisten von uns sind mit Krimis erstmals im Heftchenformat in Kontakt gekommen oder halt übers Fernsehen. So etwas tradiert sich, da kann ich mich noch so sehr von U / E emanzipieren. Das Publikum will unterhalten werden, und wie das gemeinhin aussieht, mag ein jeder allabendlich vor der Glotze bestaunen.

Na und? Dann ist der handwerklich solide, aber nicht virtuosenstückchenhafte Krimi eben handwerklich solide, nicht virtuosenstückchenhafte Literatur. Aber nicht Nicht-Literatur, halt bloß Krimi. Irgendwie müsste es uns gelingen, sprachliche Gedankenlosigkeit ebenso gesellschaftlich zu desavouieren wie Kinderlosigkeit oder Arbeitslosigkeit. Okay, das war jetzt ein Scherz, aber leider ein schlechter, weil hart über den Boden der Wirklichkeit schrammend.

Eines noch: Mir ist aufgefallen, dass deutsche Krimiautoren dies zumeist im Zweitberuf sind. Will sagen: Sie betreibens steckenpferdmäßig und passen somit in die Schopenhauersche, ursprünglich sehr wohlwollende und positive „Dilettanten“-Definition. Im Gegensatz zu englischen und amerikanischen Autoren, wie mir scheint, die das hauptberuflich machen (und dass es auf dem Gebiet der Popmusikliteratur genauso, wenn nicht schlimmer ist, sei nur am Rande erwähnt. Ratet mal, warum wir keine Popmusikliteraturkultur in Deutschland haben).

Was der Deutsche aber nicht haupt- und brotberuflich macht, das macht er mit Liebe. Und was er mit Liebe macht, das betrachtet er sich lieber nicht so genau. Ich möchte ja morgens auch nicht neben einer Frau aufwachen, neben der ich besser nicht aufgewacht wäre.

Bitte an die Autoren: Macht es nicht nur mit Liebe, sondern auch so, dass eure Werke in tausend Jahren, wenn einer sie ausbuddelt, dem Ansehen der Kultur des 3. Jahrtausends keine Schande machen. Schreibt Literatur. Damit ich endlich aufhören kann, meine Einkaufszettel diskret zu vergraben.

Ein Gedanke zu „Extremlesen … und „literarische“ Krimis“

  1. Lieber dpr,

    erlaube mir zweiundhalb Anmerkungen.
    Erstens, als literaturwissenschaftlicher Laie finde ich das Adjektive literarisch zur Bezeichnung bestimmter Krimis tauglich ! Wie es ja nun einmal bei Sprache so ist, lebt sie und deshalb kann sich die Bedeutung eines Wortes auch verschieben [wenn alle Bücher Literatur darstellen, ist „literarisch“ in Bezug auf Bücher erst einmal sinnlos]. Für mich persönlich bezeichnet „literarisch“ Krimis, bei denen sich der Autor über Humor, Spannung und Rätsel hinaus, Mühe mit der sprachlichen Gestaltung gegeben hat (z.B. Ruth Rendell) oder aber wie in „richtigen Büchern“ Darstellungen schafft, die über den Krimitext hinaus gehen (A. Vachss „Shella“) oder sein Buch in einen Literaturkontext einbindet (M. Connelly „The Poet“ – E. A. Poe -, M. Walters „The Scold´s Bridle“ – „King Lear“ -, P. Lovesey, Bloodhounds – Krimiliteratur).
    Zweitens, wäre ich mir gar nicht einmal so sicher, dass der Anteil der hauptberuflichen Autoren in den USA, Kanada und England sehr viel höher ist. Auch dort gibt es ja einige gut beleumundete Autoren (z.B. Kathy Reich, Andrew Vachss) die „nur“ nebenberuflich schreiben. Du darfst auch nicht vergessen, dass das was aus Amerika zu uns kommt, meistens das ist, was Erfolg hat. Die breite Masse der amerikanischen Autoren, die nicht vom Schreiben leben kann, wird bei uns (vermutlich) kaum wahrgenommen, Dagegen sehen wir einen wesentlich breiteren Ausschnitt der deutschsprachigen Krimiautoren.
    Undhalbstens, warum ist es den so, dass deutschsprachige Autoren sich Ihr Brot anderweitig verdienen ? Neben dem „gehemmten Verhältnis“ der Autoren, gibt es ja wohl auch ein solches der Leser, einen wesentlich kleineren Markt und eine Fixiertheit auf große Namen.

    Mit besten Grüßen

    bernd

    PS Medwedew ist angekommen, ich arbeite dran.

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