(Neu: Rezensionen fremdsprachiger Krimis auf der Grundlage der Originale. Nebeneffekt: Man freut sich auf Bücher, deren deutsche Übersetzung noch aussteht oder fragt sich, warum dieser Krimi bis heute nicht ins Deutsche übertragen wurde. So wie S.J. Rozans „Winter and night“ aus dem Jahr 2003. Der Rezensent wundert sich…)
„Du bist nichts, Dein Team ist alles“ so steht es in den Umkleideräumen des Hamlin Training Centers, welches Heranwachsende aus Warrenstown zu guten American Football Spielern ausbilden will. Eine eigenartige Faszination übt dieser Sport ja aus. Die einzelnen Spielzüge können ausgefuchste taktische Meisterleistungen und Zeichen einer ausgefeilten Choreographie sein, … aber … trotz Schutzausrüstungen: Er geht auf die Knochen. Er ist rau. Um die Unterordnung des Einzelnen unter die Mannschaft, auch darum geht es im Buch „Winter and Night“ von S.J.Rozan.
Mitten in der Nacht wird Bill Smith, Privatdetektiv, wohnhaft in New York City, von der Polizei aufgeschreckt und in eine naheliegende Polizeistation gerufen. Stunden später kommt er mit seinem Neffen Gary zurück. Diesen hatte er viele Jahre nicht gesehen. Zuletzt lebte Gary in Florida. Wo er zur Zeit mit seinen Eltern lebt und warum er mitten in der Nacht von der Polizei in New York aufgegriffen wird, weigert er sich zu sagen. Später zerschlägt Gary ein Fenster und entkommt in die Nacht.
Gary erinnert Bill an seine eigene Jugend, er fühlt sich verantwortlich für Gary und macht sich auf die Suche nach ihm. Diese Suche führt Bill nach Warrenstown, New Jersey. Dort kreist alles Denken und Handeln um die Football-Erfolge des Highschool-Teams. Diesen Erfolgen müssen sich Alle und Alles unterordnen. Er findet dort eine sehr hierarchische Jugendkultur vor, bei der die Jocks (Sportsasse) alles dürfen und die Spielregeln vorgeben. Nur auf dem Trainingsplatz und innerhalb ihrer Gruppe gilt : „Du bist nichts…“.
Der Sport als Spiegelbild der Gesellschaft. Die Konsequenzen rigoroser Wertesysteme sind ja immer die gleichen. Und so fragt sich Bill und mit ihm der Leser irgendwann im Buch auch ´mal, ob hier ein Jugendlicher Verbindungen zu amerikanischen Nazis hat.
Eine junge Frau wird nach einer Party, auf der keiner gewesen sein will, tot aufgefunden, eine jugendliche Journalistin wird zusammengeschlagen, ein weiterer Jugendlicher verschwindet, ein Waffenhändler verkauft Waffen an Jugendliche. Es entwickelt sich eine komplexe Geschichte, die Bill mit seiner Jugendzeit, Warrenstown mit den Taten der Väter und die (scheinbar homogene) Gesellschaft einer Kleinstadt mit den Schattenseiten ihrer moralischen Doppelbödigkeit konfrontiert. Es ist aber auch ein Buch über Verantwortung, Verlässlichkeit und Treue. Es erzählt von Entscheidungen, die Jugendliche in einem gesellschaftlichen Wertekorsett zu fällen haben, ohne dass sie deren Konsequenzen überblicken noch jenen im weiteren Leben ausweichen können.
J.S. Rozan entwickelt die verschiedenen Erzählstränge in einem wunderbar komponierten Aufbau zu einem dichten Geflecht. Dabei steigert sie die Spannung schleichend ohne vordergründige Gimmicks, einfach daher heraus, dass der Leser Bill begleitet. Sprachlich ist ihr Buch etwas ganz besonderes, sie schreibt sehr atmosphärisch, dicht und die Personen, ihre Reaktionen und Handlungen verständlich machend. In Situationen wie etwa auf dem Trainingsplatz oder dem Gespräch mit einer „esoterisch angehauchten“ Mutter zeigt sie Beobachtungsgabe und Humor. Die Dialoge sind kurz und knackig und, wo es zulässig ist, spassig. Ein sehr gutes Buch einer sehr guten Serie.
Nur weswegen es dieses Buch nicht in deutscher Übersetzung gibt, ist nicht zu verstehen. Qualitativ kann sich „Winter and Night“ mit den Besten messen. Da die mehrfach ausgezeichnete Autorin bei den Verantwortlichen nicht als Geheimtipp bezeichnet werden kann, folgt wohl, dass die Marktnische für hochklassige moderne Kriminalromane in Deutschland gesättigt ist. Schade drum, den Lesern entgeht da etwas.
S.J. Rozan: Winter and night. St. Martin's Minotaur 2003. 400 S., ca. 6,49 €