Nora Kelly: Old wounds

(Diese Rezension hätte auch in unserer aktuellen Sommerkrimi-Rubrik ihren berechtigten Platz. Cozy, meint der Rezensent – und nickt zustimmend.)

Krimis beschwören gerne die Geister der Vergangenheit und betonen die Verwurzelung von Verbrechen in der Vorzeit. Auch hierin offenbaren sie, in unserer zunehmend beschleunigenden Zeit, ihren im Kern eher konservativen Geist. So lebt dann auch Nora Kellys „Old Wounds“ von dem Wechselspiel zwischen den Erinnerungen Gillian Adams‘ an ihre Jugendzeit und der Gegenwart, die diesen Erinnerungen nur noch teilweise entspricht.

Gillian Adams ist Professorin für Geschichte im Westen Kanadas und kehrt nach über zwanzig Jahren Abwesenheit für ein Jahr nach „upstate“ New York, in den Ort ihrer Jugend und Kindheit zurück. Dort will sie sich um ihre mittlerweile etwas gebrechliche Mutter kümmern. Um nicht ganz aus der Übung zu kommen, unterrichtet sie zudem aushilfsweise am dortigen Stanton-College.

Aus der vermeintlichen Idylle wird sie gerissen, als eine Studentin des College, die sie auch unterrichtet hatte, ermordet aufgefunden wird. Ein ehemaliger Mitschüler führt die Ermittlungen, das College macht sich Sorgen um seine Reputation, und im ganzen Ort schwirren die Gerüchte. Gillian Adams, die im Schnittpunkt zwischen College und der Bevölkerung des Ortes steht, gerät mehr durch Zufall als durch Absicht zu der Person, die die Informationen erhält, welche die Lösung des Falles voranbringen.

Nora Kelly, die tatsächlich promovierte Historikerin ist, schreibt klassische „Who dunits“. Bücher die gerne auch als „Cozys“ bezeichnet werden, Gemütlichkeit verbreiten, meistens voll sind mit älteren Damen, Katzen oder ähnlichen „Detektiven“ und mich mit ihrer freundlichen Belanglosigkeit meistens langweilen. Aber „Old Wounds“ ist eine positive Überraschung. Es ist sehr gut komponiert und der Autorin gelingt es, ihre Hinweise sehr unauffällig in den Gesprächen, die Gillian Adams als Teil des örtlichen Lebens führt, unterzubringen.

Als eigentliche Stärke des Buches muss jedoch gelten, dass es von einer intelligenten (und) Frau geschrieben wurde. Voller treffender und tiefsinniger Beobachtungen und Bemerkungen über Gesellschaft, Frauen, Älterwerden usw. Darüber hinaus unterhält Kelly den Leser mit zahlreichen Anspielungen, z.B. auf die Titel klassischer Bücher im Text. [So soll der fiktive College-Name vermutlich an Elizabeth Cady Stanton erinnern, einer der ersten Feministinnen Neuenglands.] Die Ortschaft und seine sie umgebende Landschaft im Herbst sind wunderbar dargestellt und wecken im Leser den Wunsch, die Gegend zu besuchen und dort zu verweilen. Wer seine luftige Sommerlektüre intelligent serviert bekommen mag und auch geistreiche Bemerkungen nicht scheut, ist bei diesem Buch ausgesprochen gut aufgehoben.

Nora Kelly: Old wounds. Ibooks 2004 (EA: Poisoned Pen Press 2000), 304 Seiten, 6,49 €
(deutsche Ausgabe: Nora Kelly: Alte Wunden. Ullstein 2001)

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