„Mouth shut, Eyes open“, unter dieser Maxime wurde Joe von seinem Vater ausgebildet. Abends ist Joe als Leibwächter, Bote und Fahrer seines Vaters unterwegs, tagsüber arbeitet er als Polizist, zuletzt als Aufseher im Staatsgefängnis. Im Alter von fünf Jahren wurde er von seinen jetzigen Eltern adoptiert und wuchs in einem sehr wohlhabenden Elternhaus mit engen Kontakt zu den sogenannten Eliten auf.
Zu Anfang des Buches begleitet Joe seinen Vater, einen hohen Aufsichtsbeamten des Orange County, auf einer seiner dubiosen nächtlichen Touren. Geheimnisvolle Unterhaltungen finden statt, kurze Worte werden ins Telefon gesprochen, viel, sehr viel Geld wechselt den Besitzer und ein etwa zwölfjähriges Mädchen wird im Auto mitgenommen – am Ende ist der Vater tot, erschossen. Joe fühlt sich schuldig und versucht zu rekonstruieren, was er jener Nacht nicht verstand, was sein Vater beabsichtigte und welches Geheimnis dieser vor ihm, seinem Sohn verbarg.
Das südliche Kalifornien ist ein Schmelztiegel der Kulturen. Der Anteil der Mexicanos ist hoch. Speziell in Orange County, zwischen LA und San Diego, findet man Amerikaner weißer, mexikanischer und asiatischer Herkunft zu ähnlichen Anteilen. Politische Weggefährten und Feinde (zumeist weiß), vietnamesische Gauner, mexikanische Underdogs und Reiche, die noch reicher werden wollen, waren die Gesprächspartner von Joes Vater in seinen letzten Lebenstagen. Sein Vater war Joes großes Vorbild, und Joe meinte bislang von ihm alles Wichtige gelernt zu haben. Nun aber ist er gezwungen, sich mit der politischen Arbeitsmethodik seines Vaters auseinander zu setzen.
Ein besonderer Reiz des Buches von T. Jefferson Parker liegt in der reduzierten Sprache. Die Geschichte wird aus der Sicht Joes erzählt, sehr zurückgenommen und sehr schlicht. Hier erzählt niemand, der dem Leser zeigen will, wie toll er ist und was er alles kann. In einfachen Sätzen beschreibt Joe, was er sieht und was sich ereignet. Seine Gefühle und Empfindungen kann der Leser verstehen. In seiner scheinbaren Naivität erinnert der Stil an den von „Shella“, oder (in der Danksagung namentlich genannt) „Motherless Brooklyn“. Parker schafft mit dieser Erzählweise eine sehr geheimnisvolle, wenig vordergründige Spannung.
Es dauert eine Weile, bis der Leser begreift, dass Joe kein Simpel ist. Joe, dessen Gesicht entstellt ist, beherrscht asiatischen Kampfsport, ist ein sehr guter Schütze, hat ein eidetisches Gedächtnis (i.e. „total recall“), ist „streetwise“ und moralisch integer. Auch wenn Parker bei den Fähigkeiten Joes etwas übertreibt, am Ende passt es. „Silent Joe“ ist kein Buch für Leser, die oberflächliche „Knaller“ brauchen. Die Konstruktion eines Krimiplots beherrscht Parker, wenn auch manche der Lösungen zu erahnen sind. Es ist ein innovativer und eigenständiger Krimi, der mit seiner Tiefendarstellung der Hauptperson alle denen Lesevergnügen bereiten wird, welche sich mit Personen und Seelenschichtungen beschäftigen wollen. Mir gefällt an T. Jefferson Parker sehr gut, dass er Bücher und keine Serien schreibt. Joe, seine Konsequenz und seine Innenwelten hat der Leser am Ende des Buches schätzen gelernt. Sie bieten ihm mehr als die üblichen Serienhelden – damit aber ist es auch gut. Möge Joe bei dem Versuch, in alle großen Flüsse der USA zu steigen, Frieden und innere Reinheit finden.
T. Jefferson Parker: Silent Joe. Hyperion Books 2002, 400 Seiten, 7,49 € (deutsch als "Der stille Mann", Ullstein 2002, 12€)