Ein Buch rezensieren: lesen, sich was dabei denken, aufschreiben. Ist man einigermaßen geübt: kein Problem. Doch dann kommen die Ausnahmen. Lesen, sich was dabei denken … und das Gefühl nicht loswerden, „falsch“ gelesen zu haben. Das ist mir bei Fred Vargas, „Der vierzehnte Stein“, passiert, und deshalb gibt es eine lange Rezension in drei Teilen. Wir beginnen mit dem deprimierenden Anfang.
Herrschaftszeiten, was hätte ich 120 Seiten lang nicht übel Lust gehabt, über diesen Roman herzuziehen! Über ihn, seine Autorin und die versammelte Rezensentenschar, die Fred Vargas’ „Der vierzehnte Stein“ über den grünen Klee gelobt hat. Nein, wir schienen füreinander nicht bestimmt, dieser Roman und ich.
Auftritt Adamsberg: brachialer Besserwisser, Bauchmensch, Supercop, der unbotmäßige Untergebene, die dreckige Witze reißen, auch schon mal mit einem abgebrochenen Flaschenhals attackiert und dann, wenn die Sache eskaliert, feige den Schwanz einzieht. Nee, tut mir leid, keine Sympathiepunkte.
Und erst der Fall! Ein Richter, das Böse schlechthin, spießt Menschen mit einem Dreizack auf, zuletzt in Schiltigheim im Elsass. Das Dumme nur: Der Richter ist seit Jahren tot. Na und? Dann mordet eben der Untote weiter, ist Adamsberg überzeugt. Nochmals: Minuspunkt. Mit esoterischem Quatsch braucht mir keiner zu kommen.
Und: Kein Plus für die Autorin. Geschwätzig. Sie erzählt mir alles, sie gibt mir keine Chance, meine eigene Vorstellungskraft walten zu lassen, Analogien zu erkennen, von denen der Roman nur so wimmelt, die man nicht breittreten müsste.
Beispiel: Adamsberg ist auf Fortbildung in Kanada und kommt zu einem See, unter dessen virilem Wasser eine unbewegliche Schicht aus Schlamm und Brackbrühe liegt, und darin existiert ein Fisch, ein Fossil. Also so gut funktioniere ich schon noch, dass ich von dieser Situation blitzschnell auf die Adamsbergs schließen kann. Die unbewegliche Schicht ist die Erinnerung, die immer „da“ ist, und der Fisch ist der dämonische Richter. Muss ich mir das also auch noch lang und breit auseinanderlegen lassen?
„Der vierzehnte Stein“: hochgelobt allüberall. Sinnbild des „literarischen Romans“, reine Poesie. Poesie? Willkürliches Beispiel S. 17:
„Diesmal schien der besondere Klang von Adamsbergs Stimme seine Wirkung zu tun. Wie ein Heilmittel wanden sich die Schwingungen der Kommissarstimme um den Gegner und lösten eine Ruhe oder auch ein Gefühl des inneren Friedens, der Heiterkeit und Freude oder auch völligen Unempfindlichkeit aus.“
Exakt. Gegen so was bin ich völlig unempfindlich. Poesie? Quark.
Ich könnte weitermachen. Wie Adamsberg das innere Muster der Morde des Richters erkennt: an den Haaren herbeigezogen. Eine Oma als geniale Computerhackerin: billiger Effekt. Endlich: großer Showdown, Held und Antiheld Aug in Aug. Der Böse entkommt, macht aber nichts. Adamsbergs Stellvertreter hat natürlich „alles mitgeschnitten“, gut der Mann. Fall gelöst, Adamsberg, selbst unter Mordverdacht geraten, vollständig rehabilitiert, große Fete am Schluss, Stellvertreter kriegt Orden, auch die kanadischen Kollegen sind da und sprechen ihren putzigen, gut ins Deutsche transferierten Dialekt.
So. Das musste man gesagt werden, und wenn ich auf weiter Flur allein damit stehe. Mein Urteil: Toller Roman. Und morgen gibt’s die Begründung.